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Auch freiwillig arbeitende Ärzte sind  vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit unterwegs. Die Lage dort verbessert sich nur langsam.

© DAVIDS

Flüchtlinge in Berlin: Ärztekammer kritisiert Zustände vorm Lageso

Auch am Dienstag kamen Hunderte, um einen Asylantrag beim Lageso in Moabit zu stellen. Das Amt wird der Lage kaum Herr. Mediziner fordern nun ein Budget für Hygiene und Medikamente. Eine Behandlung gemäß EU-Richtlinie sei derzeit kaum möglich.

Sicher, alles soll besser werden. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) will die Zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge im Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit entlasten – die auch am Dienstag überlaufen war.

Kurzfristig wollte Czaja, wie berichtet, mehr Personal nach Moabit schicken. Doch bis Dienstag sei – angesichts der Menschenmassen, die täglich vor dem Lageso warten – wenig passiert, sagen Anwohner, einzelne Beamte und helfende Ärzte. Nun will auch die Berliner Ärztekammer eingreifen.

Fehlendes Personal bei den Ämtern und zu wenig Heime für die Flüchtlinge führten „zu Obdachlosigkeit und fehlender medizinischer Versorgung der zum Teil schwer traumatisierten und kranken Flüchtlinge“, teilte die Ärztekammer mit.

Die hygienischen Bedingungen für die vor dem Lageso campierenden Flüchtlinge seien beispiellos: Eine Behandlung gemäß der zuständigen EU-Aufnahmerichtlinie, die das Erkennen einer besonderen Schutzbedürftigkeit von antragstellenden Asylbewerbern verlangt, sei unter diesen Bedingungen nicht ansatzweise möglich. Die Kammer fordert, Ärzte zu entsenden, dazu ein konkretes Budget für Medikamente sowie ausreichend Nahrung und Getränke für die Asylbewerber. Zudem sollten mehr Toiletten, Waschgelegenheiten und Hygieneartikel zur Verfügung gestellt werden.

Unbürokratisch Not lindern

Zuletzt waren rund um „Moabit hilft!“, eine Anwohnerinitiative, einige Ärzte freiwillig auf dem Gelände tätig. Ehrenamtliche Helfer hatten der Lageso-Leitung in den vergangenen Tagen immer wieder „Bürokratismus“ vorgeworfen. Viele Mediziner, hieß es von der Ärztekammer, wären bereit, „unbürokratisch die humanitäre Not“ zu lindern. Der Aufruf der Standesorganisation ist relevant, weil ihr alle fast 30.000 in Berlin zugelassenen Mediziner angehören müssen.

Die Caritas soll die Arbeiten vor dem Lageso nun koordinieren. Die Johanniter sind mit Sanitätern und einem Notarzt vor Ort. Weil jeden Tag aber 1500 Männer, Frauen und Kinder nach Moabit kommen, reicht das kaum. Hunderte wollen in Moabit jeden Tag einen Asylantrag stellen, andere brauchen ärztliche Behandlung, wieder andere warten auf eine Unterkunft.

Künftig drei Anlaufstellen?

Senator Czaja weiß um die Zustände, auch wenn sich nach dem öffentlichkeitswirksamen Auftritt mit Bürgermeister Michael Müller (SPD) vergangene Woche wenig getan zu haben scheint. Mittelfristig, so zumindest der Plan, sollen Asylbewerber ihre Anträge auch an anderen Orten stellen können, womit das Nadelöhr am Lageso entlastet wäre.

Flüchtlinge könnten dann beispielsweise in dem erst kürzlich von Asylbewerbern bezogenen Ex-Telekom-Haus in Karlshorst oder in den vom Lageso belegten Häusern der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf Erstanträge stellen. An diesem Montag hatte das erste Mal der neue Krisenstab des Landes getagt. Czaja sitzt dem Gremium vor – und hat vom Regierenden Bürgermeister Müller dafür eigens mehr Befugnisse erhalten.

Bundesweit mehr als 700.000 Flüchtlinge 2015

Für die Entscheidung über Asylanträge ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg zuständig. Auch dort fehlt Personal. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat nun entschieden, Zollbeamte für bis zu sechs Monate an das Amt abzuordnen. Sie sollen beim Klären der Fälle helfen. Inzwischen wird bundesweit mit mehr als 700000 Flüchtlingen in diesem Jahr gerechnet. Im Vorjahr wurden rund 203000 Asylanträge gestellt.

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