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Ein Schild neben einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Berlin Köpenick.

© picture alliance / dpa

Flüchtlinge in Berlin: Bezirke empören sich über Flüchtlingsverteilung

Die Senatspläne für Containerstandorte stoßen auf Widerstand in den Bezirken. Die Standorte seien nicht abgestimmt und ungerecht. Eine Übersicht über die Lage in den zwölf Bezirken.

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Die Pläne des Berliner Senats für die Unterbringung von 45 000 Flüchtlingen in Containern und modularen Bauten werden von vielen Bezirken und dem Koalitionspartner CDU scharf kritisiert. Auch in sozialdemokratisch geführten Rathäusern wird die ungerechte Verteilung der Standorte auf die Bezirke beklagt.

Eine Liste mit hundert Grundstücken, die der Finanzsenator Matthias Kollatz- Ahnen am Dienstag den Bezirksämtern zugeschickt hat, wird nur teilweise akzeptiert. Viele Flächen sind nach Einschätzung der Bezirksämter für den Bau von Flüchtlingsunterkünften völlig ungeeignet. Offenbar sei die eine oder andere Immobilie mit Google Earth gefunden worden, spottete der Bürgermeister von Treptow-Köpenick, Oliver Igel (SPD).

In Spandau werde die Zahl der Flüchtlinge auf 18 000 steigen, sollten die Senatspläne realisiert werden, sagte der Bürgermeister des Bezirks, Helmut Kleebank (SPD). Im Bezirk Mitte hingegen hat der Senat bisher kein einziges Grundstück für neue Flüchtlingsbauten vorgesehen. Besonders belastet sind neben Spandau die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Pankow. Er habe die aktuelle Standortliste noch gar nicht zu sehen bekommen, sagte der Pankower Bezirksbürgermeister Andreas Köhne (SPD).

CDU spricht von "Giftliste"

Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Stefan Evers, sprach von einer „Giftliste“ des Finanzsenators. Mit der Union seien die neuen Standorte nicht abgestimmt. So gehe das nicht, sagte Evers dem Tagesspiegel. „Schließlich sind das Entscheidungen von großer Tragweite für die gesamte Bevölkerung.“ Eine Expertengruppe der CDU-Fraktion habe Kollatz- Ahnen eingeladen, um über die Flüchtlingsunterkünfte gemeinsam zu beraten, aber er habe darauf nicht reagiert.

Evers erinnerte daran, dass das Berliner Landesparlament klare Kriterien für die Auswahl der Grundstücke für neue Flüchtlings-Wohnplätze gefordert habe. Stadtquartiere, die jetzt schon stark belastet seien, dürften nicht noch weiter verdichtet werden. Außerdem müssten nicht nur Wohnplätze, sondern auch die notwendige Infrastruktur ortsnah aufgebaut werden. Evers kündigte namens der CDU eine parlamentarische Prüfung der neuen Standortliste an.

Ghettobildung vermeiden

Mit der Infrastruktur sind ausreichende Kita- und Schulkapazitäten, Sport- und Kultureinrichtungen gemeint, wie die Bürgermeisterin von Lichtenberg, Birgit Montero (SPD) erläuterte. „Das brauchen wir dringend.“ Ihr Amtskollege in Mitte, Christian Hanke (SPD), forderte außerdem eine gute soziale Durchmischung der neuen Quartiere. Es dürften sich keine Ghettos bilden.

Die SPD-Abgeordnete und Sozialexpertin Ülker Radziwill warnte aber davor, „jetzt loszupoltern und alles zu zerreden“. Die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge sei wichtig für die Integration und die Bezirke würden mit der Lösung der Probleme nicht alleingelassen. Auf den hundert Grundstücken, die der Senat als geeignet eingestuft hat, sollen jeweils bis zu 500 Flüchtlinge untergebracht werden. Insgesamt 24 000 bis 30 000 in modularen Unterkünften, weitere 15 000 in Wohncontainern.

Eine Übersicht über Standorte und Reaktionen

Michael Müller in der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf.
Ein Korb voller Arbeit. Michael Müller in der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf.

©  Kay Nietfeld/dpa

Charlottenburg-Wilmersdorf

Das sagt der Bezirk: Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) spricht von „ausgleichender Gerechtigkeit“, weil diesmal nur ein Standort für einen Bezirk vorgesehen ist. Im vorigen Jahr lag der Bezirk auf Platz eins bei der Flüchtlingsunterbringung – 5500 Asylbewerber leben dort.

Das ist der Standort: Spandauer Damm 148. Das Gelände gehört den Wasserbetrieben und liegt zwischen den DRK-Kliniken und der Kleingartenkolonie Westend.

Friedrichshain-Kreuzberg

Das sagt der Bezirk: Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) lobt die Zusammenarbeit mit dem Senat, ihr Bezirk muss bisher aber auch nur drei Standorte zur Verfügung stellen. „Wir leiden nun mal unter einem akuten Flächenmangel.“ Der Bezirk sei aber bereit, so Herrmann, weitere Flächen zu prüfen, etwa Parkplätze oder Bauland, die erst mittelfristig für andere Zwecke benötigt werden.

Das sind die Standorte: Franz-Künstler-Str./Alte Jakobstr., Vorhalteflächen für die Stadtautobahn A 100 und der Standort der Kältehilfe in Friedrichshain.

Lichtenberg

Das sagt der Bezirk: „Die aktuelle Liste ist mit uns nicht abgestimmt“, kritisiert die Bürgermeisterin Birgit Monteiro (SPD). Aus Sicht des Bezirks seien von den sieben Flächen für Modulbauten nur vier geeignet, von den acht Containerflächen nur drei. Monteiro wünscht sich eine gerechte Verteilung der Standorte auf alle Bezirke und sozial gemischte Quartiere. Zudem müssten neben den Wohnplätzen auch Schulen, Kitas, Sportstätten und Kultureinrichtungen für die Flüchtlinge geschaffen werden.

Das sind die Standorte: Der Bezirk will die Standorte noch nicht veröffentlichen. Die Wohnungsbaugesellschaft Howoge hat modulare Bauten für den Hagenower Ring und die Seehausener Str. ausgeschrieben.

Marzahn-Hellersdorf

Das sagt der Bezirk: Bürgermeister Stefan Komoß (SPD) sieht die Sache entspannt. Acht Standorte seien mit dem Senat abgestimmt, die neuen Wohnplätze „ein Gebot der Menschlichkeit“. Die Versorgung, Aufnahme und Integration der Flüchtlinge sei aber eine Herausforderung von bisher unbekanntem Ausmaß.

Das sind die Standorte: Martha-Arendsee-Str., Wittenberger Str., Buckower Ring, Pöhlbergstr., je zwei Flächen an Albert-Kuntz-Str. und Rudolf-Leonhard-Str.

Mitte

Das sagt der Bezirk: Der Bezirk ist nicht mit Grundstücken in der Liste vertreten. Bürgermeister Christian Hanke (SPD) treiben trotzdem Sorgen um, etwa die Frage, wie man Ghettos verhindert und eine gute soziale Durchmischung schafft. Statt die Modulbauten ausschließlich mit Flüchtlingen zu belegen, sollte man vielleicht auch Studenten, Senioren oder Geringverdiener dort einziehen lassen.

Neukölln

Das sagt der Bezirk: Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ist vor allem wichtig, dass der Mitmach-Zirkus an der Gutschmidtstraße nicht in Gefahr gerät. Trotz ihrer Beschwerde ist das Grundstück, auf dem der Zirkus steht, weiter auf der Senatsliste.

Das sind die Standorte: Kiefholzstraße, Schlosserweg und Gutschmidtstraße; neu auf der Liste sind zwei Friedhöfe an der Hermannstraße und ein BSR-Gelände am Matthäusweg.

Was sagen die weiteren sechs Bezirke zu den Standorten?

Flüchtlinge im Flughafen Tempelhof
Flüchtlinge im Flughafen Tempelhof

© dpa

Pankow

Das sagt der Bezirk: Pankows Bürgermeister Matthias Köhne (SPD) hat die neue Liste noch gar nicht zu sehen bekommen. In einer ersten Zwischenstandsliste von Mitte Dezember war Pankow mit elf Standorten für Modulbauten vorgesehen, davon lagen acht im Ortsteil Buch. Gegen diese Ballung wehrte sich der Bezirk. Köhne nennt Kriterien, die für ihn wichtig sind: die ausgewogene Verteilung der Flüchtlinge auf die Bezirke, die verkehrsmäßige Anbindung an die Stadt, und dass der Flächenbedarf des Bezirks für den Ausbau der sozialen Infrastruktur berücksichtigt werde.

Reineckendorf

Das sagt der Bezirk: „Die Standorte sind nicht im Vorfeld mit uns diskutiert worden", klagt auch Reinickendorfs Bürgermeister Frank Balzer (CDU) und vermisst eine vernünftige Zusammenarbeit. Einige der vorgeschlagenen Grundstücke hält man für nicht realisierbar. So soll ein dreigeschossiger Bau unmittelbar neben dem Flughafen Tegel errichtet werden. Diverse Objekte seien für den regulären Wohnungsbau vorgesehen. „Ob es der Wohnungssituation in Berlin Rechnung trägt, wenn all diese Potentiale mit Modulbauten oder Containern belegt werden, wage ich zu bezweifeln", sagt Balzer.

Spandau

Das sagt der Bezirk: Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) fordert eine gerechtere Verteilung der Standorte. 4700 Menschen seien schon im Bezirk untergebracht, 4000 Plätze entstehen derzeit. Mit weiteren 18 Grundstücken, die der Senat ins Auge fasst, würde die Zahl der Flüchtlinge auf 18 000 steigen. „Das sprengt die Infrastruktur des Bezirks“, sagte Kleebank. Schulen, Kitas und medizinische Versorgung gerieten jetzt schon an ihre Grenzen. Kleebank fordert bezirkliche Koordinierungsstäbe und einen Integrationsfonds für die Bezirke.

Das sind die Standorte: Die Grundstücke befinden sich in allen Ortsteilen, das Gelände der ehemaligen Landesnervenklinik im Radeland gehört dazu.

Steglitz-Zehlendorf

Das sagt der Bezirk: Bürgermeister Norbert Kopp (CDU) beklagt die mangelnde Abstimmung des Senats mit seinem Bezirk. Vor einer Woche habe ihm Staatssekretär Dieter Glietsch noch gesagt, er könne zu modularen Unterkünften in Steglitz-Zehlendorf nichts sagen. Außerdem sorgt sich Kopp, wie viele seiner Amtskollegen, um die nötigen Kita- und Schulplätze. Die Kapazitäten des Bezirks seien im Prinzip jetzt schon erschöpft.

Das sind die Standorte: Drei Flächen an der Leonorenstraße, die ehemalige Lungenklinik in Heckeshorn, zwei Grundstücke am Hegauer Weg, eine Degewo-Immobilie in der Bäkestraße, das Wasserwerk am Beelitzhof und zwei Areale an der Spanischen Allee.

Tempelhof-Schöneberg

Das sagt der Bezirk: Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) teilte mit, dass in ihrem Bezirk vorerst keine neuen Standorte vorgesehen sind. Allerdings liegt das Tempelhofer Feld als Flüchtlingsquartier weitgehend in ihrem Bezirk.

Treptow-Köpenick

Das sagt der Bezirk: Die neue Senatsliste mit sieben Grundstücken für modulare Bauten und zwei Flächen für Container wurde mit Überraschung zur Kenntnis genommen. Seit Januar habe es schon mehrere, teilweise widersprüchliche Listen gegeben, sagt Bürgermeister Oliver Igel (SPD). „Einige Grundstücke gehen überhaupt nicht.“ Offenbar habe da jemand mit Google Earth nach Flächen gesucht.

Das sind die Standorte: Der Bezirk gibt die Liste noch nicht heraus.

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