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Das Camp von oben. Auf dem Oranienplatz stehen die Zelte der Flüchtlingsaktivisten seit dem vergangenen Herbst. Sie haben auch eine leer stehende Schule besetzt.

© dpa

Flüchtlinge kämpfen gegen Residenzpflicht: Der Protest rollt weiter

Seit dem Herbst demonstrieren Flüchtlinge in Berlin für bessere Asylbedingungen. Jetzt sind sie mit dem Bus zu Heimen in ganz Deutschland aufgebrochen.

Im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz herrscht Aufbruchstimmung am Dienstagmittag. Ein großes, etwas zerrissenes Zelt muss noch zusammengefaltet und verstaut werden. Dann kann es losgehen zur „Refugees Revolution Bus Tour“. In zwei Kleinbussen werden rund 15 Flüchtlinge und Unterstützer einen Monat lang zu 21 Asylbewerberheimen in ganz Deutschland fahren – von Halberstadt über Augsburg bis Bremen und Rostock. Die anderen Bewohner des Camps wollen 75 weitere Heime in Berlin und Umgebung besuchen: „Wir rufen Flüchtlinge auf, aus ihrer Isolation in den Lagern auszubrechen, sich uns anzuschließen“, sagt Patras Bwansi aus Uganda.

Bwansi und die anderen Aktivisten vom Oranienplatz sagen, dass Asylbewerber, die in Heimen untergebracht sind und der Residenzpflicht unterliegen, sich wie Häftlinge fühlten: Weil sie sich nur in einem kleinen Radius um die Heime herum bewegen dürfen, die meist in abgelegenen Gegenden oder Industriegebieten liegen - wo kein Kontakt zu Deutschen entstehen kann. Weil dort so viele Menschen auf engstem Raum zusammenleben, dass es oft zu Konflikten und Handgreiflichkeiten kommt. Weil sich dort Krankheiten schneller ausbreiten. Weil sie statt Geld Lebensmittelmarken bekommen, sich ihr Essen nicht aussuchen können. Weil sie meist nicht arbeiten und deutsch lernen dürfen.

„Seit einem Jahr kämpfen wir auf der Straße gegen Residenzpflicht und die Unterbringung in Heimen“, sagt Bwansis Mitstreiter Turgay Ulu. „Wir haben dabei verschiedene Modelle ausprobiert: den Flüchtlingsmarsch von Würzburg nach Berlin im Herbst und den Hungerstreik auf dem Pariser Platz im Winter. Jetzt rufen wir noch mehr Flüchtlinge auf, Widerstand zu leisten, in dem sie die Residenzpflicht brechen.“ Für den 8. und 23. März kündigen die Flüchtlinge weitere Demonstrationen an.

Was geschieht mit den Kindern der Bewohner des Protestcamps?

Die Aktivisten haben auch die leer stehende Gerhart-Hauptmann-Schule an der Reichenberger Straße besetzt – bis Ende März dürfen sie dort bleiben, das hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ihnen zugesagt. Ob sie die Schule dann verlassen werden, darüber müssen die Flüchtlinge sich noch einig werden: „Wir entscheiden das Ende März. Wir müssen sichtbar bleiben und Zeichen setzen. Aber wir sind uns darüber im Klaren, dass wir kein Anrecht auf dieses Gebäude haben“, sagt Napuli Paul aus dem Sudan, die seit vergangenem Juli auf eine Entscheidung über ihr Asylverfahren wartet. Patras Bwansi sieht das anders: „Wir sollten in der Schule ein permanentes politisches Café als Basis für unsere politische Arbeit einrichten. Einen Ort, um mit Deutschen über die Kluft zu diskutieren, die zwischen ihnen und uns Ausländern existiert. Und darüber wie wir sie überwinden können.“ Auch einen Platz für die Kinder der Bewohner des Protestcamps wünscht er sich in der ehemaligen Schule: „Die Kindergärten in der Gegend haben sie nicht willkommen geheißen.“

Für Bwansi bedeutet die Bustour durch Deutschland ein großes Risiko, vor allem der Halt beim Heim in Passau, wo er lebte, bis er nach Berlin aufbrach. Der Landkreis dort will den abgelehnten Asylbewerber abschieben, sobald sie seiner habhaft werden. In Uganda werde er als Aktivist für die Rechte Homosexueller verfolgt, sagt Bwansi, der auch dabei war, als sich am 15. Oktober 14 Aktivisten Zugang zur nigerianischen Botschaft verschafften, um dort eine Diskussion mit dem Botschafter einzufordern. Die Aktivisten werfen ihm vor, den deutschen Behörden Abschiebungen von Flüchtlingen ohne Pass zu erleichtern - in dem sie umstrittene so genannte Abschiebungsanhörungen durchführen, in denen in zwei Minuten über das Schicksal von Flüchtlingen entschieden werde. Die Anhörungen liefen auch nicht immer korrekt ab. Bwansi wurde bei der Aktion in der Botschaft verhaftet und beschuldigte die beteiligten Polizisten später, ihn misshandelt zu haben - allerdings ohne Anzeige zu erstatten.

Bwansi zeigt seinen Ausweisungsbescheid, ein mehrseitiges Dokument. Ins Auge springt ein Absatz relativ weit unten: „Mit der Ausweisungsverfügung soll auch eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer erzielt werden". Es solle ihnen „unmissverständlich klar gemacht werden, dass im Falle des Untertauchens mit anschließendem illegalem Aufenthalt (...) unverzüglich aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchgeführt werden.“ Bwansi sagt, er sei nicht untergetaucht, sondern habe seine Abreise aus Passau bei einer Pressekonferenz öffentlich angekündigt und sei danach im Protestcamp in Berlin zu finden gewesen. Er liest die Passage aus der Ausweisungsverfügung im Behördendeutsch, das ihm ein Unterstützer übersetzt hat, als offiziellen Angriff auf den Kampf der Aktivisten und die Bustour - als Drohung an alle Asylbewerber in den Heimen, nicht auf die Aufrufe der Flüchtlingsaktivisten, die Residenzpflicht zu brechen, zu hören. Er fährt trotz allem mit auf der Bustour. "Für unseren Protest nehme ich das Risiko, abgeschoben zu werden, in Kauf". Und irgendwie hofft er doch, dass er am 20. Januar wieder mit nach Berlin zurückkehren wird, wo es ein kleines Willkommensfest für die Rückkehrer auf dem Alexanderplatz geben soll.

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