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Für die Kinder ist es besonders hart. Ein Flüchtlingskind aus Syrien schläft hier auf dem Boden in einem Zelt auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin. Unbegleitete Minderjährige kommen aber noch nicht mal mit Eltern an, die ihnen eine Decke ausbreiten.

© Paul Zinken/dpa

Flüchtlinge: Mehr als 3000 unbegleitete Minderjährige in Berlin

Unter den Flüchtlingen in Berlin sind auch mehr als 3000 Kinder und Jugendliche ohne Begleitung. Um sie kümmern sich Senatsverwaltung, Jugendämter und ein Bezirk – doch die sind überlastet.

In diesem Jahr werden noch mehr minderjährige unbegleitete Flüchtlinge erwartet als bisher angenommen. So waren allein bis Ende Oktober 3004 Jugendliche unter 18 Jahren ohne Eltern nach Berlin gekommen. Mit so vielen Neuankünften insgesamt rechnete der Senat eigentlich für ganz 2015. Das bedeutet: Derzeit kommen in einem einzigen Monat beinahe so viele Kinder und Jugendliche nach Berlin wie zuletzt im ganzen Jahr 2014, oft völlig auf sich allein gestellt. Da erreichten 1085 unbegleitete Minderjährige die Stadt, die von der Senatsjugendverwaltung untergebracht wurden. Bleiben die Ankünfte in Berlin auf der jetzigen Höhe, könnten laut dem Sprecher der Senatsjugendverwaltung, Ilja Koschembar, mehr als 4000 minderjährige unbegleitete Jugendliche kommen.

Ihre Schicksale sind vielschichtig: Manche werden von ihren Eltern geschickt, damit sie eine besseres Leben in Europa haben sollen – oder von Verwandten, weil die Eltern im Krieg verstarben. Viele der jungen Menschen sind traumatisiert. Inzwischen schicken Familien aber nach Erfahrungen des Senats und von Rechtsexperten immer jüngere Kinder vor – teils auch als Vorhut, für eine erhoffte Familienzusammenführung.

Wartezeit bis zu sechs Monate

Angesichts der hohen Zahlen kommen die zuständigen Behörden trotz aller Mühen kaum mit dem Bearbeiten der aufwendigen bürokratischen Vorgänge nach. Dazu gehört das Clearingverfahren, bei dem unter anderem ein Gesundheitscheck stattfindet, ein Schulbesuch veranlasst und die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung eines bezirklichen Jugendamtes organisiert wird.

Die jugendpolitische Sprecherin der Linken, Katrin Möller, erklärte jetzt nach Auswertung der Antworten auf verschiedene schriftliche Anfragen zum Thema an die Senatsbildungsverwaltung mit Senatorin Sandra Scheeres (SPD), es könne nicht sein, dass „vermutlich weit mehr als 1000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in unterschiedlichsten Sammeleinrichtungen und Notunterkünften auf einen Termin in der Erstanlauf- und Clearingstelle warten, wo die Klärung ihrer Perspektive erfolgt“. Dass die Wartezeit bis zu sechs Monate beträgt, sei „völlig inakzeptabel“.

Wie berichtet sind viele der Jugendlichen mangels Plätzen bei den völlig überfüllten Einrichtungen bis zum Clearingtermin etwa mit Psychologen und Sprachmittlern auch in Jugendherbergen, Gästehäusern oder Hostels untergebracht. Betreuer können sie da nur ambulant, also vorübergehend besuchen.

Clearingverfahren beschleunigen

Derweil arbeitet die Senatsjugendverwaltung mit Hochdruck daran, die Clearingverfahren zu beschleunigen. Laut Ilja Koschembar will die Jugendverwaltung über die 145 etablierten Clearingplätze hinaus auch an den anderen Wohnorten „so früh wie möglich mit den wesentlichen Bestandteilen des Clearings beginnen“.

An drei der rund 30 Standorte werde das bereits praktiziert „und es soll sukzessive ausgeweitet werden“. „Auch wenn die jungen Menschen in den Einrichtungen jenseits der etablierten Clearingplätze durchaus Bildungsangebote wie Deutschkurse und sozialpädagogisch betreute Freizeitangebote erhalten, ist es uns ein Anliegen, dass der Schulbesuch in Willkommensklassen so früh wie möglich starten kann.“ Daher werde jetzt eine Änderung des aktuellen Verfahrens abgestimmt.

Derzeit ist die Lage aber noch angespannt. Allein im Oktober mussten laut Senatsverwaltung 818 auf sich allein gestellte Jugendliche in Berlin untergebracht werden – das sind beinahe so viele wie im ganzen Jahr 2013 kamen (882). Die Linken-Jugendexpertin Katrin Möller kritisiert, dass bis zum 30. September 2186 Jugendliche neu erfasst worden seien, doch nur etwa 450 von ihnen bisher in die Obhut der bezirklichen Jugendämter und damit in eine angemessene sozialpädagogische Betreuung übergeben werden konnten.

Anspruch auf einen Vormund

Zudem hat die große Mehrzahl der Jugendlichen keine Vormünder für die elterliche und die rechtliche Fürsorge, die ihnen nach dem Gesetz aber dringend zustehen. Jeder Unter-18-Jährige hat nach dem Kinder- und Jugendrecht Anspruch auf einen Vormund, der sich beispielsweise um Integration und Behördentermine, um den Schulbesuch, um Entscheidungen bei Ärzten zur Behandlung oder auch um die Ausbildungsplatzsuche mit kümmert.

Bislang machen das vor allem Amtsvormünder, federführend ist berlinweit der Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Bezirk und Senat kooperieren, es sind auch schon neue Stellen finanziert, die Mitarbeiter tun, was sie können – doch angesichts der Vielzahl der Jugendlichen sind die Behörden völlig überlastet.

Ein Amtsvormund darf laut Gesetz eigentlich nur für 50 Mündel zuständig sein, daher begannen jetzt erste neue Ausbildungsrunden für ehrenamtliche Vormünder. Das in Berlin engagierte Netzwerk Einzelvormundschaften wartet ebenso dringend wie die Caritas in Kooperation mit dem Jugendamt Steglitz-Zehlendorf auf Unterstützung der EU oder des Senats, um mehrere hundert Interessenten auf ihren Wartelisten nun 2016 endlich für die anspruchsvolle Tätigkeit ausbilden und begleiten zu können.

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