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Das Camp auf dem Oranienplatz.

© dpa

Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz: Überwintern im Zirkuszelt

Seit drei Monaten kampieren Flüchtlinge auf dem Oranienplatz, um für ihre Rechte zu demonstrieren, gegen Residenzpflicht und Abschiebungen. Trotz Kälte und Problemen mit Justiz und Störenfrieden wollen sie in ihren Zelten über den Winter ausharren.

Es riecht verbrannt am Oranienplatz. Nackte weiße Zeltstangen stecken in grauen Ascheflocken, die ein kalter Wind umherwirbelt. Ein Mann im Overall räumt die verkohlten Überreste des Zelts weg. „Na, Habet, du Brandstifterin!“, ruft er einem rastabezopften Mädchen zu. Habet findet das gar nicht lustig. „Das war keine Brandstiftung“, erklärt die Helferin, „da hat einfach jemand den Ofen nicht richtig benutzt.“

Drei Monate nach der Ankunft des Flüchtlings-Protestmarsches am 6. Oktober kämpfen die 90 Flüchtlinge im Camp am Oranienplatz an mehreren Fronten zugleich. Zu den politischen Forderungen sind alltägliche Probleme wie zugige Zelte und unsichere Öfen gekommen. Trotzdem wollen die Aktivisten nicht aufgeben. „Residenzpflicht abschaffen! Lagerpflicht abschaffen! Abschiebungen stoppen!“, steht auf dem rot-weißen Banner, das beim Neujahrsempfang im blau-weißen Zirkuszelt hinter den Rednern hängt.

Gemeinsam Kochen hält warm.
Gemeinsam Kochen hält warm.

© Doris Spiekermann-Klaas

Patrick aus der Mediengruppe liest eine Neujahrsbotschaft in englischer Sprache vor, die ins Arabische und Französische übersetzt wird. Seine Ansprache hört sich eher an wie eine Agitationsrede, die Flüchtlinge haben den Angriff als Verteidigung gewählt. Denn mittlerweile sind sie in Rechtfertigungszwang geraten. In der Schule an der Reichenberger Straße, in der sechs Familien untergebracht sind, eskalierte am 20. Dezember ein Streit, bei dem zwei Männer durch Messerstiche verletzt wurden. Die Türen der Schule sind seitdem verschlossen, der Fall wird von der Polizei bearbeitet. Mit Hausbesetzern wollen sie nicht in eine Ecke gestellt werden, die Unterkunft an der Reichenberger Straße soll nur als Winterlager für Familien dienen. Bis März hat Bezirksbürgermeister Franz Schulz ihnen das Gebäude zugesichert. „Der Oranienplatz ist der Mittelpunkt unserer Anstrengungen“, sagt Patrick. Habet meint, in einem anderen Bezirk sei so eine Aktion gar nicht möglich.

Doch auch im Camp selber gibt es Probleme mit Eindringlingen und Obdachlosen, die das Zeltlager mit einer Volksküche verwechseln. „Die Küche ist offen, da kann jeder reinkommen“, erzählt Habet. „Wir versuchen dann, ruhig zu bleiben und sie fortzuschicken“, berichtet Anour, der mit anderen Campern Gemüse schneidet – Spenden von der Tafel. Nachts bewachen Freiwillige das Lager. Anour und Habet wünschen sich Unterstützung aus der Bevölkerung bei den täglichen Aufgaben, damit sich die Flüchtlinge stärker um ihre politischen Anliegen kümmern können.

Seit der Gründung des Protestcamps und dem sechswöchigen Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor, der Anfang Dezember endete, kommen die Flüchtlinge politisch nicht voran. Gegen sieben Aktivisten laufen Ermittlungen wegen Verletzung der Residenzpflicht. Im März, zum einjährigen Geburtstag der Bewegung, soll eine Demonstration zum Bundestag ziehen, um die Forderungen zu bekräftigen, die die Hungerstreikenden bereits mit Mitgliedern des Innenausschusses diskutierten. „Natürlich haben wir vor dem Brandenburger Tor mehr Aufmerksamkeit bekommen“, gibt Anour zu, „aber wir werden hier weiter an unseren Ideen arbeiten.“

Derweil richten sich die Flüchtlinge auf den Winter ein. In einem der beheizten Schlafzelte sitzt die Grünen-Bezirksverordnete Taina Gärtner auf einem der vier Betten. „Anfangs kamen die Anwohner hier zuhauf mit Decken und Kleidung an“, erinnert sie sich. Von einem Umzug in die Schule hält sie nichts – der Protest müsse sichtbar bleiben. Auch Anour lässt sich nicht abschrecken: „Die Kälte spielt keine Rolle. Wir haben noch viel zu tun hier.“

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