zum Hauptinhalt
Boumedien Habibes, 39, Jurist und Berater in der Flüchtlingskirche in Kreuzberg.

© Mike Wolff

Flüchtlingskirche Berlin: Hauptamtlicher Jurist für Asylbewerber

Boumedien Habibes ist als Jurist bei der Evangelischen Kirche in Berlin engagiert. Früher war er Vertragsrechtler, jetzt macht er Ausländer- und Asylrecht. Er sagt: Anders als das Vertragsrecht richtet sich das Ausländer- und Asylrecht gegen die von ihm Betroffenen.

Das Zimmer, in dem er seit April arbeitet, ist klein und quadratisch wie eine Schachtel, und er sitzt mit dem Rücken zur Tür. Ideal ist das nicht. Ideal wäre ein großes Büro, und wenn er seinen Besuchern entgegenblicken könnte, die hereinkommen. Schließlich ist er Jurist.

Gerade ist ein Mandant bei ihm, wie das so heißt in der Branche. Ein junger Mann, lang und schlaksig, der auf einem Besucherstühlchen eher hängt als sitzt.

Der Jurist tippt in den Computer. Er möbelt den Lebenslauf des jungen Mannes auf, damit der, wenn es irgendwie geht, in eine Fortbildung zum Altenpfleger vermittelt werden kann. Altenpflege, das ist hier ein Lichtblick. So viele freie Stellen jetzt schon, und es werden immer mehr, vielleicht gibt es da die Chance auf einen Job und dann vielleicht endlich die Klärung der restlichen Fragen, der wichtigsten, der, die den Aufenthaltsstatus betreffen.

Der junge Mann ist einer der Flüchtlinge vom Oranienplatz. Er ist seit drei Jahren in Berlin, und bisher ist nichts geklärt.

Das Vertragsrecht war ihm zu seelenlos

„Es heißt doch immer: Das sind alles Wirtschaftsflüchtlinge“, sagt der Berater, Boumedien Habibes mit Namen. Er sagt: „Na und? Wenn wir doch Leute brauchen, dann verstehe ich nicht, wieso wir die nicht nehmen.“ Habibes lacht dazu, leicht resigniert, weil sich in Sachen Ausländer diese Art Pragmatismus einfach nicht verbreiten will. Das muss man wohl vorläufig so hinnehmen.

Habibes ist 39 Jahre alt und Kind algerischer Eltern. Groß geworden ist er in Düsseldorf, studiert hat er in Paris, und jetzt lebt er in Berlin – und ist der erste hauptamtliche juristische Fachmann für Flüchtlingsfragen mit einer solchen Vita, den die Evangelische Kirche in Berlin beschäftigt: Dienstsitz Wassertorstraße, Kreuzberg, Flüchtlingskirche St. Simeon, Eingang im Torbogen rechts, dritter Stock. Wenn er nicht hier in dem Büro sitzt, dessen Tür ununterbrochen aufgeht, und jemand steckt fragend den Kopf herein, dann besucht er kirchliche Familien- und Beratungszentren in Berlin.

Auf eine etwas andere Art ist er auch selbst ein Wirtschaftsflüchtling. Er ist vor der Wirtschaft geflohen. Aus der Welt des Vertragsrechts. Damit hatte er seine Arbeit als Jurist begonnen. Paragrafische Kniffeligkeiten im Auftrag von Steuerberatungsbüros. Eine einträgliche Tätigkeit. Das vor allem. Und der Rest?

Die Arbeit in der Wirtschaft sei ihm zunehmend seelenlos vorgekommen, das viele gute Geld, das es dafür gab, war am Ende keine angemessene Entschädigung mehr. „So wollte ich nicht weitermachen“, sagt er. Und sattelte um. Auf Sozialrecht – und Jobcenter.

"Ich wollte verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert."

Er bekam es mit EU-Ausländern zu tun, die in Deutschland ihr Glück suchten. Das gefiel ihm inhaltlich schon besser, aber die behördliche Arbeitsweise sei für ihn nichts gewesen, wie er höflich formuliert. Er engagierte sich nebenbei als Migrationsberater, mit seinen Sprachkenntnissen in Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch war er Ansprechpartner für alle Seiten – und als er mitbekam, dass die Flüchtlingskirche „wegen starker Nachfrage“, wie es heißt, jemanden suchte, war er da. Als Fachmann für Migrationsrecht und Verfahrensberatung. Habibes sagt, er stamme aus einer nicht sehr wohlhabenden Düsseldorfer Gegend und aus einer nicht sehr wohlhabenden Familie. Geld sei immer ein Thema gewesen. Geld machen, je mehr, desto besser. Seine Mutter habe darauf gedrängt, dass er sich in der Schule anstrenge, Bildung öffne Tore, er kam aufs Gymnasium, und lernte ganz andere Menschen kennen, die über anderes als Geld sprachen. „Warum sind die Menschen so unterschiedlich?“, habe er sich gefragt, und am Ende auch deshalb Jura studiert. „Ich wollte verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert.“

Die Babys geflüchteter Frauen brauchen Urkunden, aber die Ämter stellen sich an

20 Jahre später hat er die Gesellschaft nun durch die Brille des Vertragsrechts, des Sozialrechts und Ausländerrechts inspiziert. Und? Er sagt, er verstehe die Gesellschaft jetzt besser – und habe Distanz gewonnen. Das Recht, das am besten funktioniere, sei das Vertragsrecht. Das habe Verbesserungen wenigstens zum Ziel. Sozial- und Ausländerrecht nicht. Da gehe es um Verhinderung und Erschwernisse. Da sei auch kein potentes Gegenüber. Während das Wirtschaftsrecht mit der Wirtschaft ausgetüftelt werde, würden Sozial- und Ausländerrecht gegen die Betroffenen gerichtet, und das zunehmend, so Habibes’ Eindruck, im Sinn eines vermeintlichem Volkswillens, ermittelt von Meinungsforschungsinstituten. Aber ohne ihn.

Nur ein Beispiel, mit dem er es zu tun hat: Wenn geflüchtete Frauen in Berlin Babys zur Welt bringen, bekommen diese Kinder Geburtsurkunden ausgestellt. Bevor die Namen der Eltern eingetragen würden, würden die Behörden deren Geburtsurkunden verlangen und die Heiratsurkunde. Da die Geflüchteten diese Papiere oft nicht vorlegen könnten, stehe am Ende meist nur der Name der Mutter in den Papieren des Kindes, was so aussehe, als habe die Frau ein uneheliches Kind zur Welt gebracht. Hierzulande ist das zwar kaum ein Achselzucken wert, anders sehe das aber in den Herkunftsländern aus, in denen unehelicher Geschlechtsverkehr eine Straftat ist.

Mit vielen jungen Müttern streitet Habibes also für die Anerkennung von eidesstattlichen Versicherungen zur Identität des Kindsvaters. Mit jungen Männern wie seinem schlaksigen Mandaten auf dem Besucherstühlchen streitet er für die Anerkennung von Berufstätigkeiten in Ländern, deren Standards mit den hiesigen nicht vergleichbar sind. Aber dennoch hätten die Männer etwas gelernt und etwas getan, und nicht nichts. Warum sie so gering einstufen?

Mit den Eltern älterer Kinder streitet er für Kita- und Schulplätze. Mit Unverheirateten für Möglichkeiten, zu heiraten, ohne ausreisen zu müssen. Die Probleme hören ja nie auf. Habibes sagt: „Man verschickt ein Schreiben zu einem Problem, dann kommt die Antwort vom Amt, und dann hat man das nächste Problem.“ Und weil das die Menschen alles ganz nah betrifft, wird auch mal einer wild oder aggressiv oder fängt an zu heulen und kriegt sich nicht mehr ein. Das sei auch Lebensberatung, was er hier mache, sagt Habibes. Für weniger Geld, als er woanders verdienen könnte – aber für das unbezahlbare Gefühl, etwas Nützliches zu tun.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false