zum Hauptinhalt
„… und planen Sie auf der Avus eine längere Passierdauer ein“. Täglich war dieser Spruch im Radio zu hören, frustriert konnten die Pendler ihn längst auswendig mitsprechen, so oft haben sie ihn in all den Monaten gehört. Foto: Thilo Rückeis

© Thilo Rückeis

Flüsterasphalt für Berlins Hauptverkehrsschlagader: Bauarbeiten auf der Avus gehen zu Ende

Die Avus-Baustelle: Täglich Stau, Gehupe und schlechte Laune. Vorbei, am Mittwoch ist die Piste wieder frei. Nicht nur Autofahrer freuen sich übers Ende der Arbeiten.

Vor der Kasse der Aral-Tankstelle an der Avus-Auffahrt an der Spanischen Allee liegen mal wieder die Nerven blank. Norbert Tobe (28), Stadtkurier, hat einfach „keinen Bock mehr“ aufs Stehen und Schleichen auf der schnurgeraden Autobahn quer durch den Grunewald bis zum Dreieck Funkturm.

Es ist 16.15 Uhr, es dämmert. Auf der längsten Staustelle Berlins, das sieht man von der Tankstelle aus deutlich, kriecht eine Schlange aus roten Rücklichtern auf nur einer Spur in Richtung Norden voran. Seit eineinhalb Jahren geht das so. Seitdem ist die Avus, eine der Hauptverkehrsschlagadern der Stadt, täglich verengt, schieben sich die Autos über wechselnde Bypässe. Doch ab Mittwoch puckert sie wieder, die Tage des Ärgers sind vorbei, das Aufatmen beginnt. Punkt 14.45 Uhr soll die Avus auf ganzer Länge wieder freigegeben werden. Ihre Grundsanierung ist abgeschlossen.

Viel Lob für das zügig verwirklichte, rund 28 Millionen Euro teure Bauprojekt zwischen Anschlussstelle Spanische Allee und Dreieck Funkturm wird dann zu hören sein. Schließlich ist die 1921 gebaute und seit den 30er Jahren nur hin und wieder ausgebesserte heutige Verbindung zwischen Berliner Ring und Stadtautobahn komplett erneuert worden. Die neun Kilometer lange Avus bekam eine neue Fahrbahndecke mit Flüsterasphalt vor Eichkamp und Nikolassee, eine neue Brücke am Hüttenweg, neue Leitplanken, Schilder, Entwässerungsanlagen. Allerdings ist auch Historisches verloren gegangen: Die alte Südkehre an der Ausfahrt Hüttenweg, Erinnerung an die Renngeschichte der Avus, gibt es nicht mehr.

Anfang … Hier beginnt die Avus, hier parken viele Baumaschinen. Morgens holen sich die Arbeiter im alten Motel einen Kaffee, abends ein Feierabendbier.
Anfang … Hier beginnt die Avus, hier parken viele Baumaschinen. Morgens holen sich die Arbeiter im alten Motel einen Kaffee, abends ein Feierabendbier.

© Thilo Rückeis

All das sollte zunächst erst im November 2013 fertig sein. Doch im Spätsommer kam die gute Nachricht: Man werde die Arbeiten ein Jahr früher beenden, hieß es. Der Bund, Hauptfinanzier des Projektes, hatte die Baufirmen mit einer Prämie angetrieben. Und die beflügelte. Nun bekommen die Unternehmen eine Million Euro zusätzlich überwiesen.

„Unsere Jungs von den Bautrupps haben alle super geackert“, sagen Christoph Ritze und Michael Siegel. Mit ihren orangen Westen sind sie hier auf der Baustelle nicht zu übersehen. Sie inspizieren am Hüttenweg gerade die noch abgesperrte Auffahrt Richtung Wannsee. Ritze ist Bauleiter, Siegel Polier. Beide waren von Anfang an mit im Einsatz. Sie freuen sich über das Wetter, „es war nie zu frostig oder verregnet“. Auch deshalb sei man rasch vorangekommen. Dann weisen sie auf polierte Leitplanken, Entwässerungsschläuche an der Böschung. „Mehr als 20 Gewerke waren an der Avus aktiv, die Koordination lief prima.“

Oben am Böschungsrand glänzt der neue Gussasphalt, als hätte man ihn mit schwarzem Bootslack gestrichen. Ritze und Siegel würden am liebsten kurz auf die Fahrbahn laufen, um seine Vorzüge zu preisen. „Extrem robust, lange haltbar“, erzählen sie. „Besser geht’s nicht.“ Exakt 3,5 Zentimeter dick ist die oberste Decke. Insgesamt ruht die Avus auf einem Unterbau aus 18 Schichten.

Wie fährt es sich darauf? Eine Testfahrt.

… Mitte … Bauleiter Christoph Ritze (r.) und Polier Michael Siegel kontrollieren noch schnell den neuen Asphalt. Ihr wichtigster Verbündeter? Das Wetter.
… Mitte … Bauleiter Christoph Ritze (r.) und Polier Michael Siegel kontrollieren noch schnell den neuen Asphalt. Ihr wichtigster Verbündeter? Das Wetter.

© Christoph Stollowsky

Wie fährt es sich darauf? Die Probetour beginnt im Norden, am Messedamm, denn stadtauswärts rollt der Verkehr schon durchgehend mit weniger Behinderungen. Und sogleich spürt man die neue Komfort-Avus. Keine Spurrillen, keine Holperei. Welch ein Kontrast zur früheren Rübenpiste, auf der es einen schon bei Tempo 70 an manchen Stellen aus den Sitzen haute. Deshalb war die Generalsanierung ein vordringliches Senatsprojekt. Ab Juni 2011 kamen dann die täglichen Stauwarnungen im Verkehrsfunk. Derartige Nervereien hatte es auf der Avus bislang nicht gegeben. Sie hieß einst „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße“, woraus die Initialen Avus entstanden. Sie war Pionier der Autobahnen, Rennpiste und zu DDR-Zeiten als Teil der Transitstrecke ein Weg in die Freiheit. Nun aber wurde sie zum Nadelöhr. Täglich für bis zu 90 000 Auto- und 4500 Lastwagenfahrer.

In vier Phasen ließ die Verkehrsverwaltung die Straße erneuern. Die schlimmsten Behinderungen brachte ab Juni 2012 der letzte Abschnitt stadteinwärts zwischen Spanischer Allee und Hüttenweg, der am Mittwoch endgültig saniert sein wird. Bis dahin ist die gesamte Avus auf dieser Seite noch ein einspuriger Engpass. Staus zurück bis Dreilinden sind die Folge, um bis zu 30 Minuten verlängert sich die Fahrtzeit. Und so mancher, der sich schließlich dem Mercedes-Stern auf der denkmalgeschützten Avus-Raststätte nähert, klagt dann Tankwart Frank Klimantowitsch sein Leid. Dessen Zapfsäulen neben dem Gasthof sind für Touristen oft die letzte Rettung. „Die werden vom Stau überrascht“, sagt er, „viele kommen mit dem letzten Tropfen im Tank zu mir.“

… und Ende. Im Süden, an der Spinnerbrücke, freuen sich Alexander und Florian Bernsteiner, dass die Motorradfahrer wieder ins „Stadl“ kommen.
… und Ende. Im Süden, an der Spinnerbrücke, freuen sich Alexander und Florian Bernsteiner, dass die Motorradfahrer wieder ins „Stadl“ kommen.

© Christoph Stollowsky

Schräg gegenüber, am Westrand der Avus, steht Karl-Heinz West vor seinem Haus in Eichkamp und lauscht auf das Rauschen des Verkehrs. Er wohnt ganz vorne hinter der Schallschutzwand an der Autobahn. Mehr als 60 Stundenkilometer sind auf dieser nicht erlaubt. Deshalb kann West noch kaum beurteilen, ob der Flüsterasphalt „etwas bringt“. Er ist skeptisch, schon allein, weil der Verkehr extrem zunimmt. Im Flur hängt ein Bild aus seinen Kindertagen in Eichkamp. Damals sah die Avus aus wie eine breite Landstraße. „Zum Milchholen“, erzählt er, „sind wir rüberspaziert.“

Im Süden der Avus, in Nikolassee, Schlachtensee und Kleinmachnow, zählen viele Anwohner von Hauptstraßen schon die Tage bis Mittwoch. Allmorgendlich schieben sich Pendler aus Wannsee oder Potsdam in einer Autokarawane an ihren Häusern vorbei, um auf der Potsdamer Chaussee und anderen Schleichwegen die noch schlimmeren Avus-Staus zu umgehen. „Ab 7 Uhr früh ist das hier irre“, sagt Friseur Patrick Adler an der Spanischen Allee.

Bei den Barkeepern Alexander und Florian Bernsteiner hat das große Aufatmen schon vor zehn Tagen begonnen, als die Ausfahrt Spanische Allee an der sogenannten Spinnerbrücke wieder geöffnet wurde. Die beiden arbeiten in der Biker-Raststätte „Brücken-Stadl“ direkt an der Abfahrt. Sechs Monate war die Rampe gesperrt. Touristen fuhren vorbei, Stammgäste mieden die Umwege. „Der Umsatz brach um die Hälfte ein.“

Jetzt sind die Biker wieder da. Eingepackt in wattierte Jacken trinken sie selbst im November draußen im Biergarten ihr Pils. Bis sie auf der Avus wieder mehr Gas geben können, müssen sie sich allerdings noch sechs Wochen gedulden. Bis dahin soll der Rollsplitt, auf dem man leicht ins Rutschen gerät, endgültig weggefegt sein. Erst dann gilt wieder Tempo 100.

Auch für die Fahrgäste der Bahn sind die Aussichten gut: Ab 9. Dezember soll der Regionalexpresses RE1 wieder zwischen Wannsee und Charlottenburg verkehren. Dessen Züge sind schneller als die S7, sie werden normalerweise täglich von 25 000 Fahrgästen genutzt. Auch ihre parallel zur Avus verlaufende Strecke wurde saniert. Seit einem Jahr fiel der RE1 deshalb aus; Pendler mussten auf andere Linien mit längeren Fahrtzeiten ausweichen – oder die Staus auf der Avus in Kauf nehmen. Die schlecht abgestimmten gleichzeitigen Bauarbeiten auf der Schiene und Straße waren heftig kritisiert worden. Seit dem Wochenende werden im S-Bahnhof Wannsee auch wieder alle Gleise betrieben. Das Umsteigen von der S7 in die S1 wird erleichtert. CS

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false