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Flughafen auf vollen Touren: Das Wunder von Tegel

Der Flughafen Tegel muss das Mehraufkommen durch die BER-Verschiebung mit uralter Technik bewältigen. Ein täglicher Kraftakt im Grenzbereich.

Das Wunder muss vielleicht noch länger halten. Wenn der neue Flughafen in Schönefeld irgendwann in Etappen eröffnet wird, müsste Tegel auch nach der Inbetriebnahme des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) noch mehrere Wochen länger am Netz bleiben. Zunächst würde dann nur, wie berichtet, der Betrieb vom jetzigen Flughafen Schönefeld zum neuen BER verlagert. So könnten dort mit zunächst weit weniger Verkehr die Anlagen in der Praxis getestet werden. Allerdings zählt auch in Tegel jeder Tag: Anwohner leiden unter dem Lärm, und die meisten technischen Anlagen sind so gut wie am Ende. Dass der Flughafen trotzdem funktioniert, ist für Eingeweihte fast ein Wunder. Passagiere müssen vor allem lange aufs Gepäck warten.

Eine Etage unter dem Bereich der Fluggäste fühlt man sich zurückversetzt in die Gründerjahre des Luftverkehrs, scheint die Zeit seit der Eröffnung des Airports vor 38 Jahren stehengeblieben zu sein. Altersschwache Gepäckbänder rumpeln in düsteren Kellern und die Flugziele werden mit Kreide auf Schiefertafeln gekritzelt. Jetzt klemmt schon öfter mal eines der Förderbänder, das an Position 13 ist geradezu berüchtigt für seine Störanfälligkeit, sagt ein Insider. Die Bänder sind längst erneuerungsbedürftig, doch seit beschlossen worden war, Tegel sofort nach der Eröffnung BER zu schließen, wurde hier nur noch in Provisorien investiert. Die Flughafengesellschaft hat inzwischen permanent ein Reparaturteam im Einsatz. So können die Bandausfälle meist auf 10 bis 15 Minuten beschränkt werden. Doch auch das führt schnell zu Warteschlangen beim Check-in oder langen Wartezeiten bei der Gepäckausgabe.

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Einst war Tegel als Flughafen der kurzen Wege konzipiert. Doch inzwischen kommt nur noch ein geringer Teil der mittlerweile fast 17 Millionen Jahrespassagiere an dem einst für sechs Millionen Reisende geplanten Flughafen in diesen Genuss. Bei fast 500 Starts und Landungen pro Tag reichen die Flugzeug-Parkplätze an den Terminals längst nicht mehr aus. Immer häufiger müssen Maschinen auf entfernten Außenpositionen abgestellt werden.

Die Wege für Passagierbusse und Gepäckwagen werden deshalb länger. Und sie müssen den stark frequentierten Rollweg „Papa Whiskey“ queren, zu Spitzenzeiten ein fast unüberwindliches Hindernis. Hier rollen die Flugzeuge fast im Konvoi – und haben Vorfahrt. Ist endlich Terminal C erreicht, werden die Karren mit den Koffern und Taschen erst einmal abgekoppelt und auf eine Warteposition gestellt. Denn die Dieseltraktoren dürfen nicht ins Gebäude fahren, das übernehmen kleinere Elektroschlepper. Drei Ausgabebänder, auf denen das Gepäck zu den Passagieren rollt, gibt es im Ankunftsbereich C1. Doch der Raum ist so eng, dass die Karren nicht aneinander vorbeikommen. Während die vordere Ausgabe noch beladen wird, sind die dahinter liegenden Bänder schon wieder frei, aber nicht erreichbar. Jetzt wird ein EDV-System installiert, um die Anlieferung über Bildschirme besser zu steuern.

Das Volumen des Transitgepäcks ist gewaltig gestiegen

Alltag: Hinter dem Zaun am Tower gestikuliert eine Gruppe von Passagieren. Ihre Maschine einer arabischen Fluggesellschaft ist bereits vor knapp zwei Stunden gelandet – und sie warten immer noch auf ihr Gepäck. Bernhard Alvensleben, Chef von GlobeGround, dem größten Dienstleistungsunternehmen an den Berliner Flughäfen, greift zum Handy und hat die Ursache schnell herausgefunden. Die Airline hatte die Koffer von Passagieren mit dem Endziel Berlin und Reisenden mit Anschlussflügen zusammen in einen Container verladen. Kein seltenes Problem. Der Behälter muss dann auf dem Vorfeld geöffnet, der Inhalt sortiert werden. Der Aufwand ist so groß, dass die Zeit nicht mehr reicht, um die Gepäckstücke in den Ankunftsraum zu schicken, sie müssen dann bei der Zollgepäckausgabe abgeholt werden.

Dass Air Berlin und auch die Lufthansa ihren für den BER geplanten Umsteigeverkehr nun weiter in Tegel abwickeln müssen, hat das Problem verschärft. Das Volumen des sogenannten Transitgepäcks ist gewaltig gestiegen. Binnen zwei Monaten hat sich das Aufkommen verfünffacht, auf täglich mehr als 2000 Stück. Am BER wird – wie an allen modernen Flughäfen – eine vollautomatische Sortieranlage die Strichcodes auf den Gepäckanhänger scannen und die Koffer auf die Verladestationen für die jeweiligen Anschlussflüge verteilen. In Tegel gibt es so etwas nicht, denn als der Flughafen zu Mauerzeiten gebaut wurde, war er eine Endstation, blieb jeder ankommende Koffer in Berlin.

So ist jetzt Handarbeit angesagt. Beinahe virtuos dirigiert Mohammed Karasu seine von zehn auf 15 Mann aufgestockte Truppe. Er ist Teamführer der diensthabenden Schicht von Wisag Aviation Services. Diese besorgen für ihre Schwesterfirma GlobeGround die Verteilung des Transitgepäcks. Jeder Gepäckanhänger wird per Hand kontrolliert, jeder Koffer, jede Tasche einzeln zu einem der Transportwagen getragen. Dort hängen die Schiefertafeln mit den Kreideaufschriffen. „Die Tafeln waren schon eingemottet und wir mussten sie wieder hervorholen“, sagt Bereichsleiter Kamil Akdemir. Um das Sortieren zu erleichtern, ist in der als Behelfsbau errichteten Verteilhalle gerade noch ein Förderband eingebaut worden. Die Flughafengesellschaft hat es billig auf dem Gebrauchtwarenmarkt erworben.

Am Terminal D finden jetzt täglich 35 statt 15 Abflüge statt, berichtet Akdemir. Ein weiterer düsterer Keller. Die Koffer kommen hier bunt gemischt über das einzige Band von den diversen Check-in- Schaltern für die verschiedenen Abflüge. Mitarbeiter stehen daneben, lesen jeden einzelnen Anhänger und sortieren die Gepäckstücke wieder auseinander und hieven sie auf die Karren für die jeweiligen Zielorte. Höchste Aufmerksamkeit ist gefragt, wenn zeitgleich mehrere Flüge unterschiedlicher Gesellschaften mit dem gleichen Ziel abgefertigt werden müssen.

Doch nicht nur in den Gepäckkellern, auch auf dem Vorfeld ist es eng. „Wie haben so viel Equipment herangeschafft dass es Probleme mit den Abstellflächen gibt“, sagt Paul Edwards, GlobeGround- Betriebsleiter für die Flugzeugabfertigung. Je mehr Maschinen auf Außenpositionen parken, desto mehr mobile Passagiertreppen werden gebraucht. Auch zusätzliche Flugzeugschlepper wurden besorgt. Bei den eng kalkulierten Abläufen in Tegel schlägt trotz Personalaufstockung jede Verspätung auf die nachfolgenden Flüge durch. Ist das jeweilige Team länger an einem Flugzeug gebunden, muss die nächste Maschine warten.

Zusätzliche Probleme bereitet das Wetter. Sorgenvoll blickt Edwards auf jede dunkle Wolke. Denn bei den in diesem Jahr häufigen Gewittern dürfen die Passagiere zwar meist noch die Flugzeuge verlassen, das Ent- und Beladen muss wegen der Blitzgefahr jedoch eingestellt werden. Und wird der kommende Winter schnee- und eisreich, was an allen Flughäfen zu Betriebseinschränkungen führt, ist das Chaos in Tegel programmiert.

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