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Augen auf, Mund zu und durch: Hartmut Mehdorn wird BER-Chef.

© dpa

Flughafen BER: Der Durchstarter

Er gilt als einer der meist gehassten Manager des Landes. Aber braucht die Flughafengesellschaft nicht gerade einen Sanierer wie Hartmut Mehdorn? Über die Mission eines Mannes, der nichts zu verlieren hat.

Er will einen Triumph vermelden. Es ist die erste gute Nachricht, die Matthias Platzeck seit der Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes zu überbringen hat. Aber dann gerät er erst mal zwischen die Fronten. Rechts neben ihm sitzt an diesem Freitagmorgen Hartmut Mehdorn. Der wird neuer BER-Geschäftsführer, er soll das Chaos beseitigen. Links neben ihm sitzt Klaus Wowereit, der für einen großen Teil des Chaos’ verantwortlich gemacht wird. Die beiden kennen sich von früher. Und das merkt man dann auch gleich.

Es sei bloß ein Gerücht, sagt Klaus Wowereit auf der Pressekonferenz in Schönefeld, die BER-Baustelle im Rücken, ein Gerücht, dass das Verhältnis zwischen ihm und Mehdorn nicht gut sei. Nein, es sei sogar „sehr gut“. Er habe als Regierender damals natürlich etwas gegen einen Wegzug der Bahn-Zentrale aus Berlin gehabt, aber ...

Aber Mehdorn sieht es anders. „Es ging damals nicht um den Wegzug der Firmenzentrale, sondern um ein Logistikzentrum, und Wowereit hat damals die Chancen genutzt, mit dem Thema populistisch zu punkten“, sagt er.

Es ist ein Duell, das auf alte Wunden zielt – über Platzecks Kopf hinweg. Wowereit braucht ein bisschen, bevor er kontert: „Mich freut natürlich auch, dass das Dach des Terminals schon fertig ist. Das kann auch nicht mehr verkürzt werden.“ Eine Anspielung auf Mehdorns damalige Entscheidung als Bahnchef, das Dach des Berliner Hauptbahnhofs aus Kostengründen zu verkürzen.

„Immerhin“, sagt Mehdorn nun, „war der Hauptbahnhof pünktlich fertig.“

Der Satz markiert den Schlusspunkt dieses Schlagabtauschs. Und wenn man zuvor schon den Eindruck haben konnte, dass die überraschende Ernennung Hartmut Mehdorns zum BER-Chef auf eine weitere Düpierung Wowereits hinausläuft, so ist dieses Schauspiel geeignet, diesen Eindruck zu bestätigen. Mehdorn und Wowereit, das passt einfach nicht. Statt Mehdorn als den Mann zu feiern, der die erforderlichen Kompetenzen besitzt, wird er als öffentliche Reizfigur begrüßt.

Hartmut Mehdorn ist damit ziemlich schnell auf dem Berliner Parkett angekommen. Soll das jetzt so weitergehen? Setzt sich der alte unversöhnliche Konflikt zwischen dem als harten Sanierer berüchtigten Topmanager Mehdorn und der Berliner Politik fort?

Mehdorn und Wowereit bei Lachs und Königsberger Klopse können sie auch anders

Man müsste es fürchten, wäre da nicht eine Szene vom Vorabend, die das Bild abrundet. Am Donnerstag nämlich trafen sich Wowereit und Mehdorn am Rande der Reisemesse ITB in Berlin. Im Restaurant Aigner am Gendarmenmarkt hatte Air Berlin zum traditionellen Empfang geladen. Es kamen Wowereit, Verkehrsminister Peter Ramsauer, Air-Berlin-Gründer Joachim Hunold und eben auch Mehdorn. Serviert wurden Kartoffelpuffer mit Lachs, Königsberger Klopse, Rosa Gebratenes vom Rind und junger, trockener Wein. Man sah die Herren um einen Tisch sitzen. „Zufällig“ sei das Treffen zustande gekommen. Es sei sehr spät geworden, heißt es.

Dass Mehdorn am nächsten Morgen zum neuen Flughafenchef ausgerufen werden würde, ahnten selbst ebenfalls anwesende Führungskräfte der Berliner Airline nicht. Ihr neuer Chef, Wolfgang Prock-Schauer, der seinen Posten von Mehdorn geerbt hatte, sprach Stunden später von einer „sehr guten Wahl“. Mehdorn sei ein ausgewiesener Experte mit viel Erfahrung in der erfolgreichen Führung von Unternehmen. „Er ist zudem sehr vertraut mit den Bedürfnissen der wichtigsten Kunden des Flughafens. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihm und auf einen erfolgreichen neuen Berliner Flughafen BER.“

Dass Mehdorn in seiner neuen Funktion jetzt möglicherweise gegen eine Schadenersatzklage Air Berlins vorgehen muss, die er selbst angestrengt hatte, ist nur eine der vielen Merkwürdigkeiten, die die Personalie begleiten. Dass er eine Zumutung sein kann, das weiß Mehdorn selbst. „Die Gesellschafter wollten mich, und da müssen Sie mich schon aushalten“, sagt er an die Presse, aber auch an die Politiker gewandt, die ihm zur Seite sitzen. Von ihnen erwartet er die volle Unterstützung, „Tag und Nacht.“

Mehdorns im Jahr 2007 erschienene Biografie trägt den Titel: „Diplomat wollte ich nie werden“. Einer, der keinen Ruf mehr zu verlieren hat, nimmt sich eines Projektes an, um das es genau so steht. Wie geht das zusammen? Wie kann der am meisten gehasste Manager des Landes gut für ein Desaster wie den Flughafenneubau sein? Andererseits. Platzecks erfolglose Suche nach einem Spitzenmann für diesen Job zeigte, dass keiner, der etwas zu verlieren hätte, kommen wollte. Was ist schon ein Ruf gemessen an den Erfahrungen eines vom Krieg Entwurzelten? Mehdorn ist ein solcher. Er kam im Sommer 1942 als jüngstes von vier Kindern in Warschau zur Welt, wo sein Vater als Soldat stationiert war. Er wuchs zunächst in Berlin auf. Die Familie flüchtete in den Kriegswirren nach Bayern. Mehdorn besuchte Schulen in Kipfenberg im Altmühltal, in Karlsruhe, Nürnberg. Dann in West-Berlin, wo er 1961 in Berlin ein Ingenieurstudium der Fachrichtung Maschinenbau ablegte. Nebenher arbeitete er im väterlichen Betrieb für Kunststoff-Spritzgussteile mit.

Sein Traum war es, Pilot zu werden. Trotzdem ging 1965 zum Bremer Flugzeughersteller Focke-Wulf. Er entwickelte das erste deutsche Zivil-Flugzeug mit. Da der Hersteller auch Test-Piloten brauchte, schickte man Mehdorn zur Ausbildung zur Luftwaffe, wo er als Reserveoffizier bis zum Hauptmann aufstieg. Doch er blieb Ingenieur. Seinen Ruf als Sanierer erwarb er sich bei dem angeschlagenen Unternehmen Heideldruck, das er vom Maschinenbauer zum Anbieter kompletter Drucksysteme umbaute. So empfahl er sich für eine der schwierigsten Manageraufgaben: Die Sanierung der bundeseigenen Deutschen Bahn AG. 1999 berief ihn Kanzler Gerhard Schröder zum Nachfolger des glücklosen Johannes Ludewig. 2003 schien Mehdorn fast an der Aufgabe zu scheitern, als er mit großem Werbeaufwand ein komplett neues Preissystem einführte – und nach einem beispiellosen Proteststurm der Kunden wieder zurücknehmen musste. 2007 und 2008 lieferte er sich eine Tarifschlacht mit der Lokführergewerkschaft GdL. Dann, quasi mit Ausbruch der Finanzkrise, scheiterte der Teil-Börsengang der Bahn abermals. Es folgten chronische Ausfälle der Berliner S-Bahn, die die Stadt bis heute plagen. Am Ende, im April 2009, stolperte er über die Datenschutzaffäre bei der Deutschen Bahn. Firmen hatten offenbar im Auftrag des Vorstandes systematisch E-Mails von Mitarbeitern ausgespäht.

Mehdrons Frau: "Tu, was du tun musst, Hauptsache du nervst zu Hause nicht rum."

Eine seiner Lehren aus dieser Zeit lautete: „Man kann es in so einem Geschäft nie richtig machen“, wie Mehdorn vergangenen November in seiner letzten Rede als Air-Berlin-Chef vor rund 200 Unternehmen in Berlin sagte. An jenem Abend redete sich Mehdorn den ganzen Frust über die Politik von der Seele und fast um Kopf und Kragen: Drei Mitarbeiter habe er als Bahn-Chef beschäftigen müssen, die nichts anderes taten, als sich um die Korrespondenz mit Bürgermeistern und Landräten zu kümmern, sagte er. Heute kümmere sich die Politik nur um Nachtflugverbote, CO2-Regelungen und immer neue Regeln. „Politiker erledigen nicht ihre Pflicht. Sie legen uns mehr Steine in den Weg als Unterstützung.“ Auch dass Air Berlin in der Krise stecke, liege an der Politik, donnerte er.

Mehdorn muss sich und anderen nichts mehr beweisen. Heißt es immer. Das sagt er selbst auch. Doch stimmt es? Der nun 70-Jährige hat ein bewegtes Berufsleben hinter sich, ist vielfach geehrt worden. Er war „Ökomanager des Jahres“ 1999, ist Officier und Commandeur de la Légion d’honneur, der Ehrenlegion.

Im Januar 2012, da war er noch neu bei Air Berlin, stellte er sich auf einem Flug von Abu Dhabi, wo er beim neuen Großinvestor vorgesprochen hatte, hinten in die Bordküche und beantwortete auch ein paar persönlich Fragen. Was seine Frau Hélène, mit der er seit bald 40 Jahren verheiratet ist, eigentlich gesagt habe, dass er sich nochmal so einen Job antue. „Sie sagte: Tu, was du tun musst, Hauptsache du nervst zu Hause nicht rum.“

Mehdorn lebt zwischen Frankfurt am Main, Berlin und seinem Ferienhaus in Südfrankreich. Zum Geburtstag schenkte Hélène ihm einen Weinberg. Den wird er nun doch nicht selbst bestellen.

Das Angebot des BER war offenkundig zu verlockend für den Mann der klaren Worte, der Durchsetzungskraft. Aber ob er die wachsende Kluft bei den Interessen der Beteiligten schließen kann, ist fraglich. Die, so wird gemutmaßt, habe den Berater Wilhelm Bender bereits zum Rückzug bewogen. Und wie tief der Riss durch das Aufsichtsgremium nach all den Rückschlägen und Terminverschiebungen ist, wie vergrätzt Wowereit über seine Entmachtung ist, wird selbst am Freitag deutlich. Sicher, er ist kein Anführer beim BER mehr, er spielt nur noch mit. Aber da will er wenigstens zeigen, dass andere auch bloß mitspielen. Der Bund zum Beispiel. Auf die Frage, ob der Bund die Entscheidung für Mehdorn aktiv betrieben habe, lacht Wowereit nur abfällig, obwohl er gar nicht gefragt war. „Der Bund?“, sagt er mehr zu sich, aber für alle hörbar, „bloß weil sich Ramsauer am Morgen mal geäußert hat.“ Der Bundesverkehrsminister hatte am Freitagmorgen die Entscheidung, dass Mehdorn BER-Chef werden soll als Erster verkündet.

Eigentlich wäre das die Sache Matthias Platzecks gewesen. Wie es zu der Einigung kam, will der nicht sagen. „Lassen Sie uns doch unsere kleinen Geheimnisse.“ Man sei eben seit ein paar Tagen im Gespräch gewesen. Tatsächlich geht Platzeck schon am Montag, unmittelbar nach Benders Absage, auf Mehdorn zu. Er habe Mehdorn angerufen. Das sagt auch Mehdorn selbst. Er habe, so sagt Platzeck, den Vertrag mit Mehdorn „per Handschlag“ besiegelt.

Der Ministerpräsident sei von seinem Suchmuster nicht abgewichen, sagt einer aus Platzecks Umfeld. Ein elder Statesman sollte es sein, nerven- und durchsetzungsstark, einer, der „nicht flattert“, der mit der Politik umgehen, Mitarbeiter mitreißen kann, sofort verfügbar sei. Mehdorn war seit seinem Abgang bei Air Berlin vor ein paar Wochen ohne Aufgabe.

Es wurde der Bund ins Boot geholt, zuletzt Berlin, bis am Mittwoch die Einigung der drei Gesellschafter stand. Es folgte ein Treffen, um die Details zu klären.

Kein Zweifel, die beiden können miteinander, nicht erst jetzt. Ihr Verhältnis gilt schon lange als gut, sie kennen sich seit der Zeit vor 2002, als Platzeck noch Oberbürgermeister in Potsdam war, damals eine Krisenstadt. Mehdorn half Platzeck damals, eine Ruine unmittelbar am Schlosspark Sanssouci zu beseitigen, den völlig verfallenen Kaiserbahnhof, in dem die Deutsche Bahn AG heute eine Führungsakadamie betreibt.

Besonders für Air Berlin ist der Eröffnung des Großflughafens „Willy Brandt“ von großer Bedeutung. Die Fluggesellschaft will dort ihr Drehkreuz etablieren. Jetzt, so stellt Mehdorn fest, will er zu seinem früheren Arbeitgeber Distanz wahren. Der Klagevorgang von Air Berlin werde nicht über seinen Schreibtisch laufen. Außerdem wolle er seinen Posten im Verwaltungsrat abgeben. Etwas aber sagt er nicht: Ob er sein Aktienpaket, das er kurz vor dem Antritt als Air-Berlin- Chef im Jahr 2011 erworben hatte, auch abgibt.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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