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Blick vom Tower auf das Vorfeld.

© Thilo Rückeis

Flughafen Berlin: Das Herz von Tegel - ein Besuch im TXL-Tower

Im Tower laufen alle Fäden des Flughafens zusammen. Hoch oben haben die Fluglotsen alles im Blick und geben das Kommando. Ein Besuch im Herzstück des Flughafen Tegel.

47,5 Meter. So hoch ist der Tower, das Herz von Tegel, er spielt die Hauptrolle im TXL-Kopfkino der Stadt. Dieser eckige Turm – nicht irgendwo einsam auf der Flughafenwiese stehend, sondern angedockt ans Terminal – ist das markante Symbol dieses berühmten Flughafens, der doch längst geschlossen sein sollte und weiter dröhnt und weiter und weiter. 2017 soll sein letztes Jahr werden – na, mal sehen. 47,5 Meter über dem Berliner Boden sitzt Thomas Müller und hofft, dass der Flughafen Tegel bleibt. Der Fluglotse möchte ungern in den neuen Tower am BER umziehen. „Tegel ist zwar nicht so besonders, wie es Tempelhof war“, sagt er und erinnert sich an den wahren Berliner Innenstadtairport, der 2008 dicht gemacht worden ist. „Aber diese alten Flughäfen … die haben eine Seele.“

An diesem Spätherbstnachmittag herrscht aus der Towerkanzel, ganz oben im Gebäude, freie Sicht auf die Pisten – kein Nebel, nur leichte Bewölkung. Pisten, so nennen die Fluglotsen die Start- und die Landebahnen des Flughafens. Wenn sie hier sitzen, haben sie alles im Blick. Und der Tower ist das Hirn des Flughafens. Alles hört auf sein Kommando. Der TXL hat zwei Pisten, die Nord- und die Südpiste. Auf der Nordbahn landen die Flugzeuge, weil sie etwas länger ist. Auf den südlichen nebenan starten die Flugzeuge. „Heute sind optimale Bedingungen für eine entspannte Schicht“, sagt Müller, der eigentlich anders heißt, aber dieser Arbeitsplatz hier oben ist nun mal ein sehr sensibler. Müller senkt den Kopf, blickt nach unten. Vor ihm liegen die vier Monitore, die den Fluglotsen bei seiner Arbeit unterstützen. Brandneu ist die technische Ausrüstung hier nicht gerade. Genau das gefällt dem 35-Jährigen. „In den neuen Towern ist zwar alles schöner und digitaler“, sagt er. „Aber da bleibt die Kreativität auf der Strecke.“ Und der TXL ist nun mal so was wie ein kreatives Sammelsorium, hier war schon immer die Flexibilität gefragt.

Szenarien innerhalb weniger Sekunden berechnen

Fluglotsen, meint er, sähen sich auch als Künstler im dreidimensionalen Raum. Er schaut auf das Radarbild des Luftraums. Der grüne Punkt, das eben gestartete Flugzeug, verschwindet bald aus der Kontrollzone des Towers, die weiß umrandet eingezeichnet ist. An dem Punkt stehen die zwei Angaben, die der Fluglotse braucht, um aus dem zweidimensionalen Bildschirm ein dreidimensionales Bild entstehen zu lassen – zumindest in seinem Kopf. Mit Höhe und Geschwindigkeit kann er innerhalb weniger Sekunden ausrechnen, ob Flugzeuge kollidieren könnten. „Die Hauptarbeit des Lotsen besteht darin, sich die ganze Zeit Gedanken zu machen, sich Szenarien auszumalen“, sagt Müller. „Der Kopf ist das wichtigste Werkzeug, das wir haben.“ Weil das besondere Konzentration erfordert, müssen die Lotsen hier in Tegel nach zwei Stunden eine Pause von 30 Minuten einlegen.

Ein neuer grüner Punkt taucht auf dem Radar auf. Rescue steht dran. „Hier ist gerade ein Rettungshubschrauber gestartet“, erklärt Müller. Auch die müssen sie im Blick haben – genau wie Sportflugzeuge im Sommer. „Rettungshubschrauber haben Vorrang.“ Aber sonst würden alle gleich behandelt. Jeder hat ein Recht am Himmel. „Sicher, flüssig und geordnet“ soll der Flugverkehr ablaufen – die Grundsätze der Flugsicherung. Sicherheit hat natürlich oberste Priorität. Startet ein Flugzeug am Flughafen Tegel, übernimmt ab einer Höhe von knapp 800 Meter die Flugsicherung in Bremen. Die kümmern sich um den ganzen nördlichen Luftraum bis an die polnische Grenze. Während in Bremen rund 60 Lotsen den Überblick behalten, reichen in Tegel zu den Hauptzeiten zwei Lotsen, unterstützt von zwei Flugdatenbearbeitern. Nachts reichen sogar zwei Lotsen.

Ein Drittel der Lotsen sind Frauen

Heute ist es etwas voller im Tower. Neben einer Lotsin sitzt ein Auszubildender. Er macht gerade sein „On-the-Job-Training“, das heißt nach der theoretischen Ausbildung und der Arbeit mit Simulatoren darf er im Tower arbeiten, aber nur unter Aufsicht. Seine Ausbilderin überwacht genau, was er tut, so dass sie im Notfall eingreifen kann. Bewerben kann sich jeder zwischen 18 und 24 Jahren. In den Einstiegstests werden bereits die Merkfähigkeit, Konzentration und Multitasking-Fähigkeiten der Bewerber getestet. „Unsere Durchfallquote liegt bei 95 Prozent“, sagt Stefan Jaekel, Sprecher der Flugsicherung. „Im Jahr haben wir um die 4000 Bewerber.“ Außerdem sind ein Drittel der Lotsen Frauen.

Die Augen gehen zurück auf die Bildschirme: Fünf Landungen und 13 Starts stehen an. In den Randzeiten seien es wesentlich mehr. Vor allem abends. „In Tegel kann alle eineinhalb Minuten eine Maschine landen – wenn alles rund läuft“, erklärt Müller. Hier beginnt die Tüftelei. „Im Idealfall geht das startende Flugzeug direkt vor dem landenden in die Luft.“ 52 Starts und Landungen in einer Stunde können die Lotsen an Tegel managen. „Öfter brauchen wir größere Abstände“, sagt Müller. Dann müssen Flugzeuge warten.

Warten heißt es auch bei schlechten Wetterbedingungen. Zwar dürfen von Tegel bei allen Bedingungen Maschinen starten und landen, auch bei null Sicht. Natürlich ist aber wesentlich weniger Flugverkehr erlaubt. . „Wenn das schlechte Wetter kommt, wird es für uns schwierig“, sagt Müller. „Dann wollen alle noch weg.“ Alle 30 Minuten liefert das System neue Wetterinformationen, die auf dem dritten Bildschirm angezeigt werden. Unter anderem findet der Lotse dort Angaben zu Luftdruck, Temperatur, Bewölkung und Wind.

„Entweder man ist Lotse oder man ist keiner“

Heute herrscht schwacher Wind aus Nord-Ost. „Flugzeuge starten generell gegen den Wind“, erklärt Müller. Denn so bekommen sie maximalen Auftrieb. Also geht’s heute Richtung Osten in den Himmel, über Pankow. Und wieder gilt: Alles hört auf den Tower in Tegel – auch der Flughafen in Schönefeld. „Wenn Tegel sagt, wir drehen die Startrichtung, dann drehen wir.“

Für die Pisten und das Rollfeld hat der Lotse noch ein Radarbild auf dem vierten Bildschirm. Das benutzt er aber nur bei Nebel, meint Müller. Sonst liegt an seinem Platz auch noch ein Feldstecher. „Wir achten auf alles – Füchse, Vögel, auch Personen“, sagt er. Rund 60 000 Passagiere fliegen täglich über den Flughafen der Hauptstadt. Er ist der viertgrößte Flughafen Deutschlands – am Passagieraufkommen gemessen. „Die letzten Jahre hatten wir fast eine Verdopplung des Verkehrs“, sagt Müller. Für erfahrene Lotsen geht das. „Mit den Auszubildenden hier möchte ich nicht tauschen.“ Er kam ganz per Zufall zu dem Beruf. „Einer in der Raucherecke auf dem Schulhof wollte Fluglotse werden“, erzählt er. Als er dann Infomaterial angefordert habe, habe man ihm gleich die Bewerbungsunterlagen zugeschickt. „Entweder man ist Lotse oder man ist keiner“, meint der 35-Jährige. „Das ist das, was ich gut kann.“ Ein letzter Blick auf den Bildschirm: Es sind drei Grad und die Pisten sind trocken – keine Gefahr von Glätte. Bald beginnt die Rush-Hour am Flughafen Tegel. Wie eigentlich jeden Tag.

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