zum Hauptinhalt
Tempelhof

© ddp

Flughafen Tempelhof: Ein Kampf mit Gefühl

52.000 Berliner sind gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof. Viele erinnert er an Kindheit und Blockade. In elf Monaten soll er geschlossen werden.

Viel Emotion ist zu spüren, wenn sie unterschreiben. Viel Entschlossenheit. Sie haben das Gefühl, etwas retten zu müssen, was kaum noch zu retten ist. Sie sind wütend, wenn sie daran denken, dass ihre Unterschrift vielleicht vergebens ist. Sie füllen geduldig in Bürgerämtern und anderen öffentlichen Stellen Formulare aus, zeigen ihre Ausweise. Viele sagen, dass sie für ein Stück Berlin kämpfen, das der Senat ihrer Ansicht nach verraten und geopfert hat. Als tilgte er gefühllos die Erinnerung an ein Symbol der Freiheit. Sie sprechen auch von „Verhöhnung“, weil sich die Politik bislang so unbeeindruckt zeigt: von den bislang mehr als 52.000 Unterschriften des Volksbegehrens „Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen“. In elf Monaten soll der Flughafen stillgelegt werden – das Volksbegehren muss noch bis Mitte Februar 170.000 Unterschriften gegen diesen Senatsbeschluss sammeln, soll es im nächsten Jahr zu einem Volksentscheid kommen.

In der letzten Woche wurden 10.000 Unterschriften gesammelt, weniger als in den Wochen zuvor. Die Initiatoren des Volksbegehrens zeigen sich aber weiter zuversichtlich und versichern, dass ihre Aktionen nächste Woche erst richtig anfangen, dass sie mit Plakaten werben wollen, auf Märkten, vor Bürgerämtern, dass sie auch einen Aktionstag auf dem Flughafen Tempelhof planen, mit Shuttle-Verkehr zu den Bürgerämtern, die zweimal auch an Wochenenden öffnen werden. „Wir erreichen das Ziel, keine Frage“, heißt es bei der Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof, der ICAT.

Sie weiß von der emotionalen Verbundenheit des Flughafens mit weiten Teilen der Bevölkerung. Die Älteren verbinden mit ihm die Rettung in der Blockadezeit, ein unkontrolliertes Tor nach Westen. Kinder der Nachkriegszeit spielten im Buddelkasten „Tempelhof“, formten aus Steinen das markante Halbrund der Gebäude, setzten Flugzeugmodelle der „Rosinenbomber“ in den Sand. Spiele, die auch Wolfgang Witzke kennt.

Seit fast zehn Jahren betreibt er das Geschäft „Take off – Der Fliegerladen“ am Tempelhofer Damm, mit Blick auf den Flughafen. Der Airport bedeute eine große Chance für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Es gehe nicht nur um Nostalgie. Er hat Fotos von damals aufgehoben, eines zeigt ihn als kleinen Jungen, ganz stolz auf dem Flugfeld beim Tag der offenen Tür der Amerikaner, 1965, vor einem Sprungtuch für Fallschirmspringer. Der Besuch auf dem Rollfeld – eine Attraktion für Zehntausende. Familie Witzke aus Tempelhof war immer dabei.

Das prägt. Vom Schaufenster blickt Witzke auf den „Zentralflughafen“, auf das Luftbrückendenkmal, die „Hungerkralle“, die an die 227 264 Flüge während der Blockade und an die dabei verunglückten Piloten erinnert.

Aus Tempelhof-Schöneberg, Neukölln, Steglitz-Zehlendorf kamen bislang die meisten Unterschriften für das Volksbegehren. Auch Charlottenburg-Wilmersdorf ist im Kommen, Marzahn-Hellersdorf steuerte bislang nur 500 Unterschriften bei. Tempelhof – das ist in erster Linie eine West-Berliner Angelegenheit. Eine Sache derer, die jahrzehntelang unter der Einflugschneise lebten, die alle Flugzeugtypen über ihren Dächern kannten, die fast schon die Flugpläne auswendig wussten. Der Lärm war oft störend, aber eben notwendig, hat sich in der Erinnerung vieler Berliner verklärt. Auch wurde es deutlich leiser, und die kleinen Flugzeuge heute sind vergleichsweise unauffällig. Die großen Flugzeuge will fast keiner zurück, die kleinen sollen bleiben.

Bei den Gesprächen in den Bürgerämtern werden viele Erinnerungen wach: An 1948/49, die Rettungsflüge, ohne die viele West-Berliner verhungert wären. An die Zeit kurz vorm Mauerbau, als täglich bis zu 4000 Flüchtlinge aus Ost-Berlin und der DDR nach West-Berlin kamen und später über Tempelhof ins Bundesgebiet ausgeflogen wurden. Tempelhof – ein Tor, das in der Inselstadt immer offen stand, auch als der Flughafen Tegel ausgebaut war. Und die Bauwerke, so bombastisch sie wirken, vermittelten mehr und mehr Vertrautheit.

Michael Müller, der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus – und Tempelhofer – führt den Unterschriftenerfolg gerade in seinem Bezirk auf die „starke Agitation“ in diesem Gebiet zurück, was die ICAT bestreitet. Sie sagt, die Zustimmung gerade in Flughafennähe sei mit emotionaler Verbundenheit zu erklären, aber auch mit der Zuversicht, ein City-Airport sei wirtschaftlich gut für die Gegend, für die ganze Stadt. Müller spricht von Nostalgie, vom Missverständnis, dass mit der Stilllegung auch die Gebäude verschwänden, alles „tot“ sei. Er glaubt nicht, dass es nach großer Anfangsbeteiligung beim Volksbegehren noch sehr viel mehr Stimmen werden.

Der frühere CDU-Landesgeschäftsführer Matthias Wambach, der für die ICAT das Aktionsbüro in der Tempelhofer Flughafenhalle führt, ist vom Gegenteil überzeugt. Er kennt die Gefühlslage. Darauf setzt ein neues Plakat: „175 000 000 Flugkilometer retteten die Berliner. Ein Gang zum Bürgeramt rettet Tempelhof.“

Christian van Lessen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false