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Berlin: Flugsicherung sieht keinen Grund zur Eile

Behörde lehnt schnelle Entscheidung über die Flugrouten ab. Erneut demonstrieren knapp 4000 Menschen in Lichtenrade

Potsdam - Die Deutsche Flugsicherung (DFS) lässt sich von den Landesregierungen in Berlin und Brandenburg, aber auch von wütenden Bürgerprotesten nicht unter Druck setzen. DFS-Sprecher Axel Raab lehnte es am Montag in Potsdam ab, ein konkretes Datum zu nennen, wann die Flugrouten am Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI) in Schönefeld festgelegt werden. „Unsere Ansprechpartner sind nicht Herr Wowereit und Herr Platzeck, sondern die Fluglärmkommission.“ Dort werde der Anfang September vorgelegte Flugroutenentwurf diskutiert, dieses Verfahren sei erst am Anfang. Allerdings sei durch die Aufstockung des Gremiums auf 34 Mitglieder aus betroffenen Berliner Bezirken und Brandenburger Kommunen die Arbeit „nicht einfacher geworden“.

„Wenn es um Flugsicherheit geht, dann sind wir kompromisslos“, sagt Raab angesichts der Proteste gegen den befürchteten Fluglärm. Die Routen müssten wirtschaftlich sein, die Flugsicherung habe aber auch auf den Lärm zu achten. „Wir versuchen immer, einen Weg zu finden, bei dem möglichst wenig Menschen betroffen sind und dicht besiedelte Gebiete umflogen werden.“ Das sei aber im Süden Berlins sehr schwierig. „Sie werden immer irgendjemanden treffen.“

BBI-Sprecher Ralf Kunkel drängte dagegen auf eine „zügige Lösung“. Die Routen müssten und könnten schneller feststehen als erst im März 2012, kurz vor der Inbetriebnahme, wie es bislang die Flugsicherung vorgesehen hatte. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) hatten eine schnelle Entscheidung gefordert, alles andere sei den Bürgern „nicht zuzumuten“. Brandenburgs Infrastrukturstaatssekretär Rainer Bretschneider sagte, die gegenwärtige Unsicherheit sei für die Menschen in der Region unerträglich. „Wir haben eine Diskussion um Akzeptanz, ich gehe davon aus, dass die Flugsicherung das weiß.“

Flugsicherungssprecher Raab sieht bei den Flugrouten noch „eine Menge Spielraum“. Bevor das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung endgültig entscheide, könne es zwischen Vorschlägen hin- und hergehen“, sagte Raab: „Je nachdem, wie viele Änderungswünsche kommen, desto länger dauert auch der ganze Prozess.“ Viele Berliner würden mit der Schließung der Flughäfen Tegel und Tempelhof auch entlastet, im Gegenzug entstünden „neue Betroffenheiten“ rund um Schönefeld, sagte Raab. Er wies zugleich Vorwürfe über angeblich falsche Angaben zu den Flughöhen zurück. Falsch sei auch der von der Brandenburger Landesregierung geäußerte Verdacht, die Flugsicherung habe mit veralteten Daten gearbeitet und der Behörde seien „nicht alle Veränderungen in der Siedlungsstruktur bekannt“ gewesen. „Neuere Zahlen bekommen wir nicht“, sagte Raab. Erst im kommenden Jahr würden sie aktualisiert und auf den Stand von Ende 2009 gebracht. Tatsächlich stellen Berlin und Brandenburg der DFS aktuellste Geo- und Siedlungsdaten zur Verfügung,

„Ich glaube, da muss nachgearbeitet werden“, sagte Infrastrukturstaatssekretär Bretschneider. Der sieht inzwischen Versäumnisse bei der Planfeststellung für den BBI, weil 1998 schon bekannt war, dass die Flugrouten zum Problem werden könnten. „Es ist zu juristisch gedacht worden. Hier geht es aber um Lebensqualität, das steht in keinem Gesetz drin“, sagte Bretschneider dem Tagesspiegel. „Das Einzige, was wir damals nicht gemacht haben, war eine Anzeige zu schalten: Im Umkreis von 25 Kilometern um Schönefeld kann es Lärm über den Plan hinaus geben.“

Gestern Abend gingen in Lichtenrade knapp 4000 Demonstranten gegen die Flugrouten auf die Straße – wieder mehr als vergangene Woche, als 3000 Protestierende gezählt worden waren. Der Pfarrer-Lütkehaus-Platz, auf dem die Kundgebung stattfand, war komplett mit Demonstranten gefüllt, einige standen auch auf dem angrenzenden Gelände der Kirche. „Als wir hier gebaut haben, wussten wir nichts von den Routen“, sagte Kerstin Hälbig, die seit 2001 in Teltow wohnt. In der Hand hielt sie ein Pappschild, darauf zu sehen sind zwei grinsende Figuren mit Euro-Zeichen in den Augen, die sich die Hand reichen. „Politiker“ standt auf der einen, „Airlines“ auf der anderen Figur. Hälbig war bei allen drei Montagsdemonstrationen, zur Not will sie „bis zur Eröffnung des Flughafens“ weitermachen. Eine andere Flugroutengegnerin, mit Kochtopfdeckeln zum Lärmen bewaffnet, möchte den Protest am liebsten in die Berliner Innenstadt tragen.

Helmut Breidenbach, Vorsitzender der Bundesvereinigung gegen Fluglärm, hielt eine Rede vor den Demonstranten. Er warf Wowereit und Platzeck vor, schon früher von den Flugrouten gewusst zu haben. Die Demonstranten rief er zu weiterem Engagement und Zusammenhalt auf: „Ihr müsst das jetzt schaffen.“ Spätere Klagen gegen beschlossene Flugrouten hätten kaum Aussicht auf Erfolg.

Unterdessen sagte der Regierende Bürgermeister Wowereit dem Radiosender RBB, er halte die Bürgerproteste für berechtigt. „Es werden Menschen belastet, obwohl es Alternativen zu den Routen gibt.“ Eine Verantwortung der Politik in der Frage wies er zurück. „Für die Flugrouten sind unabhängige Behörden zuständig.“ Wowereit legte mit einem Vorstoß für eine verstärkte Beteiligung der Bürger bei großen Infrastrukturvorhaben nach. Es dürfe nicht immer erst nach Entscheidungen über Projekte zu einer Beteiligung der Bürger gegen die Vorhaben kommen, sagte Wowereit.

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