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Folge 1: Urologische Operationen: Männerschicksal

Aus unerklärlichen Gründen beginnt die Prostata im Alter zu wachsen. Bei vielen wird dadurch das Urinieren zur Qual. Häufig bleibt nur noch die Operation.

Männer zucken bei so einem Anblick unwillkürlich zusammen. Ein 30 Zentimeter langes und acht Millimeter dickes Metallrohr steckt in der Harnröhre von Walther Lehmann (Name geändert). Der 78-Jährige liegt im Operationssaal des St.-Hedwig-Krankenhauses in Mitte mit einer vergrößerten Prostata. Nichts Ungewöhnliches in seinem Alter. Aber etwas, das ihn sehr belastet. Denn die vergrößerte Prostata – auch Vorsteherdrüse genannt – presst die Harnröhre zusammen (siehe nebenstehende, vergrößerbare Grafik). Das Urinieren fiel schwer, die Blase wurde oft nicht richtig entleert. Im Schnitt zwölf Mal am Tag musste der Patient die Toilette aufsuchen, davon fünf Mal nachts. An Durchschlafen war für Walther Lehmann seit Jahren nicht mehr zu denken.

Schließlich wollte er das nicht mehr ertragen: Das überflüssige Gewebe an der Prostata soll weg. Abgehobelt, mit einer winzigen Drahtschlaufe, die unter Strom steht. Die Schlaufe sitzt an der Spitze eines Stabes, den der Chirurg durch das Metallrohr bis an die Prostata von Walther Lehmann vorgeschoben hat.

Der Patient ist während des Eingriffes bei Bewusstsein, bekommt aber nicht viel von seiner Umwelt mit. Lehmann hat ein Beruhigungsmittel erhalten und eine Spinalanästhesie in die Wirbelsäule, die seine untere Körperhälfte schmerzfrei schaltet. Und dazu noch ein Paar Kopfhörer auf den Ohren, mit seiner Lieblingsmusik: Schlager aus den 60ern.

„Die Harnröhre ist gar nicht so eng, wie viele glauben“, beruhigt Helmut Knispel, Chefarzt der Urologie am St. Hedwig-Krankenhaus. Bis zu neun Millimeter dicke Röhren passen dort ohne Probleme hindurch. Ein spezielles Gleitgel sorgt dafür, dass es noch leichter geht. Der Chirurg, der jetzt mit dem Hobeln beginnt, ist Knispels Oberarzt, Frank Waschulewski. Immer wenn Waschulewski die Schlaufe unter Spannung setzt, ertönt ein tiefes Brummen. Durch eine Infusionsleitung sickert eine isotonische zuckerhaltige Lösung in die Harnröhre, erzeugt so einen kontinuierlichen Flüssigkeitsstrom in Richtung Blase. Wieso Zucker und nicht Kochsalz? „Mit Kochsalz würde das Wasser den Strom von der Schlaufe ableiten und verhindern, dass Gewebe geschnitten werden kann“, sagt Knispel. Ganz auf die Flüssigkeit zu verzichten, geht aber auch nicht. Dann würde die Harnröhre zusammenfallen – und so die Operation unmöglich machen.

Der Operateur orientiert sich an einem Monitor über dem OP-Tisch. Die Bilder dafür liefert eine kleine Kamera am Instrumentenstab sitzt. Auf dem Bildschirm sind mikroskopisch kleine Bläschen zu sehen, die sich an der Schlaufe bilden, wenn Spannung fließt – wie bei einem Tauchsieder. Wenn der Arzt den Hobel durch das weiße, wie Styropor wirkende Prostatagewebe zieht, dann fallen – besser schwimmen – Späne. Der Flüssigkeitsstrom spült sie in die Blase.

In regelmäßigen Abständen zieht der Arzt den Instrumentenstab aus dem Metallrohr und lässt so die durch den Blutverlust hellrötlich gefärbte Infusionsflüssigkeit aus der Blase ablaufen – durch ein feines Sieb, in dem sich die millimeterlangen Späne Prostatagewebe verfangen. „Das geht später in die Pathologie“, sagt Chefurologe Knispel. „Um nach Tumorzellen zu suchen.“ Manchmal werden die Pathologen bei dieser Suche auch fündig. Auch wenn eigentlich vor jeder Operation einer gutartigen Prostatavergrößerung ein Krebs als Ursache ausgeschlossen werden muss. Denn dann ist die Behandlung komplett anders (siehe Text unten).

Aber warum fängt die Vorsteherdrüse überhaupt an zu wachsen? Die Ursachen für diesen späten Wachstumsschub seien noch nicht geklärt, sagt Knispel. Deshalb könne man keine sicheren Prophylaxe-Empfehlungen geben. Und eine Früherkennung bringt – anders als beim Krebs – auch keinen Nutzen. Und so müssten sich Männer wohl weiterhin damit abfinden, dass das ihr Schicksal ist.

Ein für viele irgendwann sehr lästiges Schicksal, zum Beispiel durch die ständig unterbrochene Nachtruhe. Zwischen 30 und 40 Prozent der Männer müssen im Alter operiert werden, sagt Knispel. Dabei ist der Elektrohobel nur eine mögliche Methode. Die andere ist der Einsatz eines Lasers. Dabei wird das lästige Gewebe mit einem winzigen Laser quasi verkocht. Der Blutverlust ist bei dieser Methode geringer. Allerdings sei das bei besonders großen Vorsteherdrüsen ein sehr mühseliges Geschäft, sagt Knispel. Denn der Laser könne weit weniger Material abtragen als der Hobel – die Prozedur dauere entsprechend länger. Außerdem blieben dabei keine Gewebeproben für die Pathologie übrig. Und schließlich sei die Rate von postoperativen Schwellungen des Restorgans größer – die Heilung dauere dann länger. Knispel, der auch Studenten ausbildet, ist offenbar kein rechter Freund des Lasers.

Nach etwas mehr als einer Stunde ist die Hobel-Operation vorbei. Die Prostata von Walther Lehmann war schon recht groß: 50 Gramm mindestens. 40 Gramm davon hat der Chirurg abgetragen. Zwei Tage lang wird Lehmann nun noch einen Blasenkatheter tragen müssen. Aber er hat gute Chancen, dass danach seine Beschwerden spürbar gelindert sein werden. Die Erfolgsquote der transurethralen Prostataresektion – so nennen Mediziner die Entfernung von Drüsengewebe über die Harnröhre – liege bei 80 Prozent, sagt Knispel. Bei weiteren 20 Prozent trete leider keine Verbesserung ein. „Aber verschlechtern tut sich dadurch praktisch keiner.“ Heute können die so Operierten nach vier bis fünf Tagen das Krankenhaus verlassen.

Ein paar Wochen lang kann sich – besonders morgens – Blut im Urin finden. Das ist normal. Komplikationen? Auch die passieren. Langanhaltende Nachblutungen etwa sind möglich. Bei drei bis fünf von hundert so Operierten können durch das Metallrohr in der Harnröhre Mikrorisse entstehen, die beim Abheilen durch winzige Narben zu einer Harnröhrenverengung führen. Bei solchen, wie Knispel sagt, Spätkomplikationen muss der Chirurg nacharbeiten.

Die beiden Hauptängste, die dazu führen, dass viele Männer die Operation vor sich herschieben, spielen hier – anders als bei Krebsoperationen – keine große Rolle: Inkontinenz und Impotenz. Beides sei für die Betroffenen wirklich nur in Ausnahmefällen ein Problem, sagt der Urologe Knispel. Etwa einer von 200 Patienten habe danach Probleme, sein Wasser zu halten. Und vielleicht zwei oder drei von einhundert Operierten haben Potenzprobleme – wobei nicht sicher sei, ob das wirklich eine Folge des Eingriffes sei oder doch eher am Alter der Betroffenen liege. Die meisten der Betroffenen sind jenseits der 70.

Bei Hans – Freunde nennen ihn Hanne – Brückner lief die Operation komplikationslos. Er hat das, was Walther Lehmann vor wenigen Minuten überstanden hat, schon seit einigen Tagen hinter sich. Ob er noch einen Kinderwunsch habe, hatten ihn die Ärzte vorher gefragt. Routine-Frage bei dieser Art Operation, denn auch wenn die Nebenwirkungen bei der relativ schonenden Methode durch die Harnröhre beherrschbar sind, so ist eines danach meist nicht mehr möglich: ein Kind zu zeugen. Aus einem organisch einfachen Grund: bei einem gesunden Mann sorgt das Zusammenspiel von zwei Schließmuskeln dafür, dass er beim Samenerguss nicht gleichzeitig auch Urin verliert. Denn während sich der äußere Schließmuskel unterhalb der Prostata für die Ejakulation öffnet, verschließt ein anderer reflexartig – er ist nicht bewusst steuerbar – den Ausgang der Harnblase oberhalb der Prostata. Durch die Operation aber kann der obere Muskel nicht mehr exakt schließen, weshalb sich der untere beim Orgasmus nicht mehr öffnet. Die Samenflüssigkeit wird deshalb in die Harnblase gepresst – und beim urinieren ausgeschieden.

Diese Folge ist Brückner egal. „Ich hab meinen Wunsch schon längst erfüllt: vier Kinder, fünf Enkel und Urenkel“, hat der 73-Jährige aus Schöneweide seinem Urologen geantwortet, bevor er sich zur Operation an seiner Prostata entschloss. „Aber ich werde doch noch kuscheln können.“ Und wenn man in das verschmitzt-freundliche runde Gesicht von Hans Brückner sieht, dann weiß man, dass er diese Frage mit einem Augenzwinkern gestellt hat. Und man weiß auch, dass er immer noch ganz gerne „kuschelt“ mit seiner Ehefrau, mit der er seit fast 25 Jahren verheiratet ist.

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