zum Hauptinhalt

Folge 12: Künstliches Hüftgelenk: Sicheres Auftreten

Die meisten Patienten haben jahrelang Schmerzen, beim Spazieren, sogar beim Schlafen. Wenn nichts mehr hilft, wird ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt

Zehn Minuten. Keine lange Zeit, schon gar nicht für gemütliches Spazierengehen. Doch schon nach zehn Minuten braucht Friedrich Schumann (Name geändert) dringend eine Bank, weil die Schmerzen in der Hüfte so stark sind.

Zehn Jahre sind sehr viel Zeit. So lange hat Friedrich Schumann gewartet. Es fing langsam an, zuletzt jedoch hatte der 71-jährige Rentner aus Charlottenburg sogar beim Schlafen starke Schmerzen in der Hüfte, die Nächte wurden zur Qual. Sein Hausarzt stellt fest: Coxarthrose – das Hüftgelenk im linken Oberschenkel ist verschlissen (s. nebenstehende, vergrößerbare Grafik). Es kann die Bewegung des Körpers nicht mehr abfangen und den Druck nicht mehr richtig in die Beine ableiten.

Der Knorpel im Hüftgelenk ist so angelegt, dass er eigentlich ein Leben lang funktioniert. Doch dauerhafte Fehlbelastungen, die sich auf einen bestimmten Punkt konzentrieren, oder mangelnde Bewegung können das Gelenk stark beeinträchtigen. Arthrosen entwickeln sich, wenn die Belastungsfähigkeit des Gelenkes mit der tatsächlichen Beanspruchung nicht mehr Schritt hält.

Der Knorpel von Friedrich Schumann ist abgenutzt, die Knochen im Gelenk reiben fast ungeschützt aneinander. Daher die Schmerzen und die Unbeweglichkeit im linken Bein. Operiert wird jedoch erst, nachdem Krankengymnastik, Schlammpackungen, Schmerzmittel und entzündungshemmende Medikamente nicht mehr helfen. Schumanns Hausarzt überweist seinen Patienten an das Evangelische Waldkrankenhaus in Spandau.

Mehr als 850 Hüftgelenksoperationen werden jedes Jahr in diesem Haus durchgeführt. Ein künstliches Hüftgelenk einzusetzen, ist für einen erfahrenen Chirurgen ein Standardeingriff.

Den meisten Patienten geht es zuvor wie Schumann. Ihre Gelenkknorpel sind abgerieben, weil sich die Betroffenen entweder falsch oder kaum noch bewegt haben. Hinzu kommen genetisch bedingter Knorpelschwund, der in den meisten Fällen ein Grund für die Krankheit ist. Doch Rheuma oder stoffwechselbedingte Durchblutungsstörungen können ebenso Gründe sein.

„Manchmal geht die Coxarthrose auch auf einen Unfall zurück“, sagt der Orthopäde Alexander Putzo, Oberarzt am Waldkrankenhaus. Anfang Juni operiert er Friedrich Schumann. Zuvor haben die Ärzte bei ihm eine Herzkranzgefäß-Erkrankung behandeln müssen. „Erst dann ist man für den Eingriff wirklich fit genug“, sagt Putzo.

Nur etwas mehr als eine Stunde liegt Schumann auf dem Operationstisch. Er bekommt ein künstliches Gelenk, bei dem die Energie, die beim Treten entsteht, nicht auf die abgenutzten Gelenkknorpel drückt, sondern auf Keramik und einen Kern aus Titan. Mehrere Tausend Euro kann ein solches Gelenk je nach Beschaffenheit kosten.

Alexander Putzo, 39 Jahre alt, hat als Arzt schon mehrere Hundert Eingriffe dieser Art hinter sich. Mit dem Skalpell öffnet er die Haut, die Muskeln liegen blank. Nun ist Vorsicht geboten. Denn wenn der Patient schnell genesen und wieder laufen können soll, braucht er eine intakte Muskulatur. „Wir schneiden deshalb in den Muskellücken entlang“, sagt Putzo. Dadurch bleibe das Gewebe fest, und das neue Gelenk besser am Platz.

Mit kleinen Haken halten Assistenten die Muskelstränge zur Seite. Minimalinvasive Technik: Modern, keine zerschnittenen Muskeln, wenig Blut, freuen sich die Ärzte.

Alexander Putzo packt den Oberschenkel – er muss das Gelenk mit einem kurzen, aber sicheren Griff auskugeln: „Ein Schnappen, es hört sich ein bisschen so an, wie wenn sich der Korken aus einer Weinflasche löst.“ Ist das Gelenk aus der Pfanne im Becken gesprungen, wird der Kopf des Knochens abgesägt. „Dabei muss man ganz exakt sein, sonst ist nachher ein Bein kürzer als das andere“, sagt Putzo.

Die Hüftpfanne in Schumanns Becken kleidet der Arzt mit einer Metallschicht aus. Sitzt der neue Hüftpfannenbeschlag, geht es mit dem Oberschenkelknochen weiter, routiniertes Handwerk eben.

Säge, Meißel, Feile, Hammer – das sind Putzos Werkzeuge. „Ich war als Kind schon handwerklich begabt“, sagt er amüsiert. Der Chirurg meißelt einen Hohlraum in den Markkanal des Knochens. Wenn dieser groß genug ist, schlägt er mit einer Art Hammer eine Probeprothese in das Bein.

Putzos Arbeit erinnert ein wenig an die Tätigkeit eines Geigenbauers: Erst wenn die Schläge gut – in diesem Falle: hell – klingen, sitzt die Prothese an der richtigen Stelle. „Man hat ein Gefühl dafür, wann genug ist“, sagt er. Schlägt Putzo zu heftig, könnte der Knochen splittern, der Erfolg der Operation wäre gefährdet. „Das passiert aber nur in etwa zwei von hundert Fällen“, sagt er. Ein paar Röntgenaufnahmen zur Kontrolle, dann wird die Prothese gegen das Kunstgelenk aus Titan getauscht.

Friedrich Schumann hat nun einen 15 Zentimeter langen Schaft im Oberschenkel. Die Prothese werde einwachsen, und wenn alles gut geht, fast 20 Jahre lang halten, sagen die Ärzte. Die Art der Pfanne, die Länge und Größe der Prothese werden vor der Operation festgelegt. Der Arzt fertigt sie mithilfe von Schablonen und Röntgenbildern an, ein dafür entworfenes Computerprogramm hilft ihm dabei. Die Orthopädie im Waldkrankenhaus arbeitet seit Jahren so, mehr als 90 Prozent aller Hüftgelenksoperationen laufen wie die von Friedrich Schumann ab.

Für knapp zehn Prozent der Patienten eignet sich jedoch eine neue Methode, die bisher nur in wenigen Kliniken angewendet wird: der Oberflächenersatz.

Anders als bei den üblichen Hüftgelenksoperation wird hierbei der Oberschenkelkopf nicht komplett ausgetauscht, sondern mit einem Aufsatz aus Edelmetall überkront. Der alte Hüftkopf im Bein bleibt – etwas zurechtgefräst – erhalten, genauso wie bei einer Zahnkrone der kranke Zahn als Basis für den neuen Aufsatz dient.

Der Vorteil: Die Beine der Patienten sind beweglicher, viele Betroffene können nach der Implantation wieder Sport treiben.

Der Nachteil: Der Knochen unter dem Aufsatz aus Titan muss stabil sein, gerade die Oberschenkel Älterer sind für diese Methode aber häufig zu porös. Menschen mit labilen Knochen riskierten mit einer Krone mitunter Brüche, der Oberflächenersatz könnte verrutschen.

„Daran arbeiten wir“, sagt Michael Faensen, Chefarzt in der DRK-Klinik Westend. Faensen leitet dort das Zentrum für Oberflächenersatz am Hüftgelenk. Der Berliner Unfallchirurg ist Spezialist für einen in Medizinerkreisen „Titananker“ genannten Haken. Um zu verhindern, dass der Oberflächenersatz nicht fest genug auf dem Schenkelhalsknochen sitzt, wird er mit einem Titananker im Knochengewebe befestigt.

Im August 2003 eröffnete das Zentrum für Oberflächenersatz, inzwischen wurde dort 65 Menschen ein Titananker in den Oberschenkelknochen eingepflanzt. Dennoch: Die Methode ist in Deutschland noch neu.

Friedrich Schumann geht es auch mit einem komplett neuen Hüftgelenk wieder gut. Nach zehn Tagen kann er das Krankenhaus verlassen. Noch drei Wochen in der physiotherapeutischen Rehabilitation und er wird wieder laufen können, ohne sich nach zehn Minuten hinsetzen zu müssen.

Und für die nächsten zehn, wahrscheinlich sogar zwanzig Jahre hat der Charlottenburger nun Ruhe in der Hüfte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false