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Folge 5: Dickdarmkrebs: Träge Masse

Ein fortgeschrittener Tumor wuchert im Dickdarm. Er muss raus. Eine heikle Operation bei einem schwerkranken 65-jährigen Mann.

Es begann harmlos: Die hartnäckige Verstopfung, unter der Helmut Schneider (Name geändert) litt, wollte sich nicht so recht lösen. Aber das hat schließlich jeder mal. Doch dann wurden die Bauchschmerzen heftiger. Sein plötzlich schwarz gefärbter Stuhl machte ihm Angst – Schneider ging zum Arzt. Der ließ ein Röntgenbild machen. Da, eine verdächtige Engstelle am Dickdarm (s. nebenstehende, vergrößerbare Grafik). Der Doktor überwies seinen Patienten an das Vivantes Humboldt-Klinikum in Reinickendorf.

Den Ärzten war schnell klar: Da saß ein Tumor. Im fortgeschrittenen Stadium, auf Faustgröße herangewachsen. Aber das sollte nicht das einzige Problem bleiben. „Überall im Dickdarm fanden wir Wucherungen, Polypen, die leicht zu bösartigen Geschwulsten entarten können“, sagt Ulrich Adam , Direktor der Klinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie am Humboldt-Klinikum. Und als sei das noch immer nicht genug, leidet der 65-jährige Schneider an einer beginnenden Leberzersetzung, Zirrhose genannt. „Ein hoher Risikofaktor, weil dadurch die Gefahr schwerer Blutungen wächst.“

Die Ärzte entscheiden: Nicht nur der tumorbefallene linke Teil des Dickdarms muss entfernt werden, sondern fast das gesamte Organ. Nur 30 Zentimeter des ursprünglich 1,50 Meter langen Verdauungsschlauchs sollen im Körper bleiben. Mindestens zwei Kilogramm wiege das zu entfernende Gewebe, schätzt Chefarzt Adam. Denn der Chirurg muss nicht nur den Dickdarm herausschneiden, sondern auch das umliegende Lymphgewebe. Nur so sei es möglich, die Gefahr weiterer Krebsherde zu minimieren. Denn einzelne der entarteten Zellen setzten sich oft in den umliegenden Lymphknoten fest, wandern von dort durch den Körper und könnten so Metastasen bilden, Tochtergeschwulste. Trotz der umfangreichen Organverluste würde der Patient aber ein fast normales Leben führen können, sagt Adam. „Er darf weiterhin fast alles essen und trinken.“

Dies bestätigt Reiner Kunz, Chefarzt der Chirurgie am Tempelhofer St. Joseph-Krankenhaus: „Im Dickdarm wird dem Nahrungsbrei eigentlich nur noch Wasser entzogen – die Verdauung der Nährstoffe findet bereits im Dünndarm statt.“ Deshalb könne ein am Dickdarm operierter Mensch auch weiterhin normal essen. Und sollte trotzdem auf seine Ernährung achten, damit der Krebs nicht wiederkommt. Am besten fünfmal am Tag Obst und Gemüse essen, rät Kunz seinen Patienten. „Darmtumore entstehen, weil wir in der westlichen Welt zu oft das Falsche essen.“ Ballaststoffarme Kost, zu viel und zu fettes Fleisch, leere Kohlenhydrate in Weißbrot und Süßkram begünstigen die Krankheit.

Und diese ist oft tödlich! „Jeder zweite Darmkrebs-Patient stirbt daran“, sagt Chefarzt Kunz. Einfach deshalb, weil der Tumor zu spät erkannt wird. Deshalb zahlen die Kassen auch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen mit einer Darmspiegelung: ab einem Alter von 55 Jahren alle zehn Jahre. „Man geht davon aus, dass, wenn eine Koloskopie ohne Befund bleibt, in den zehn Jahren danach auch kein Tumor wachsen kann“, sagt Kunz.

Helmut Schneider war nie bei der Vorsorge. Nun liegt er narkotisiert auf dem Operationstisch im HumboldtKlinikum. Schläuche zur Luftversorgung und zum Dosieren des Narkosemittels führen in seinen Mund. Sein Gesicht ist durch eine durchsichtige Plastikfolie abgeschirmt. Das schüttere gelblichgraue Haar ist unter einer grünen Operationshaube verborgen.

Der Bauch des 65-Jährigen ist weit geöffnet, offengehalten durch vier gebogene Schaufeln, die auf einem ovalen Zahnkranz sitzen. Die Mediziner nennen das Instrument Bauchdecken-Rahmen. Aus dem Leib ragt ein flacher Hügel des verschlungenen Dünndarms heraus: eine feucht glänzende Mischung aus etwa zwei Finger dickem rosagrauem Schlauch und gelbbraunem, von Blutgefäßen durchzogenem Fettgewebe. Immer wieder muss Chefchirurg Adam die verschlungene Masse beiseite schieben und beherzt tief in die Bauchhöhle hineingreifen, denn der Dickdarm liegt zum größeren Teil darunter. Den zieht er so weit wie möglich hoch. Das dunkelrosa Organ ist fast unsichtbar in der Masse knorplig verwachsenen, gelbbraunen Fetts, das den Darm an seinem Platz fixiert.

Vorsichtig, in kleinen Schnitten, kappt Adam diese Halterung. Er benutzt dafür eine Schere, durch die Strom fließt. Dadurch wird das verletzte Gewebe quasi verkocht und die verletzten Gefäße so verschlossen. Es fließt wenig Blut. Bei jedem Schnitt gibt das Gewebe dem Zug nach, so wie ein Kleid, dessen Nähte man auftrennt.

Da ist er, der Tumor. Faustgroß, etwas dicker als der restliche Schlauch. Ein wenig dunkler. Vor allem aber härter. Die weiche Flexibilität, die Biegsamkeit des Darmes ist hier unterbrochen. Ohne die Operation würde die Geschwulst in die umliegenden Organe wuchern, würde auch diese in ihrer Funktion schädigen wie schon beim Dickdarm geschehen. Die Verstopfung zum Beispiel ist so eine eingeschränkte Funktion. Die Peristaltik genannte Fähigkeit, durch Muskelbewegung den Nahrungsbrei weiterzutransportieren, ist hier am Tumor fast zum Erliegen gekommen.

Adam setzt die Klammer-Naht-Zange an, ein sauberer Schnitt trennt den Dickdarm vom Dünndarm. Eine praktische Maschine, verhindert sie so ganz nebenbei unangenehme Begegnungen mit dem Darminhalt. Denn die Apparatur durchschneidet den Schlauch und versiegelt gleichzeitig die beiden offenen Seiten mit vielen kleinen Titanklammern.

Das große Stück Darm, das nach drei Stunden Operation nicht mehr zum Körper von Helmut Schneider gehört, bringt eine Schwester in die Pathologie. Dort werden die entfernten Lymphknoten untersucht, ob sie mit Krebszellen befallen sind. Wie weit er alle von ihnen erwischt hat, ist der Kunst des Chirurgen überlassen. Ein Sicherheitsnetz bleibt ihm aber noch: die anschließende Chemotherapie. „Die erreicht auch Krebszellen, die schon vor der Operation in weit entfernte Körperregionen abgewandert sind.“ Wird Helmut Schneider wieder ganz gesund? Adam überlegt kurz. „Es sieht vergleichsweise gut aus, aber der Krankheitsverlauf bei Krebs kann tückisch sein. Ich habe getan, was ich als Chirurg tun konnte.“

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