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An den Bundesautobahnen in Brandenburg werden an mehreren Stellen Autokennzeichen erfasst.

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dp

Folgen der Fahndung nach Rebecca: Datenschützerin rügt Kennzeichen-Speicherung der Polizei

Brandenburgs Polizei erfasst massenhaft Autokennzeichen. Das könnte nun ein Ende haben. Die Datenschutzbeauftragte hält die Praxis für „rechtswidrig“.

Erst durch den Fall der seit März 2019 vermissten Schülerin Rebecca aus Berlin-Neukölln war eher zufällig bekannt geworden, dass die Polizei in Brandenburg seit einigen Jahren an Autobahnen die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Fahrzeuge auf Vorrat erfasst – und teils über Jahre speichert. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Es geht um Millionen von Daten, von Unbeteiligten.

Damals hatte die Berliner Staatsanwaltschaft in einem Fahndungsaufruf zum Fall der vermissten Rebecca öffentlich gemacht, dass der Wagen des verdächtigen Schwagers in Brandenburg durch eine „Verkehrsüberwachungsanlage“ erfasst worden sei. Brandenburgs Polizei war damals sauer über die Indiskretion, mit der Existenz und Umfang dieses Systems „Kesy“ publik wurden, mit dem die Polizei an elf strategisch wichtigen Autobahnpunkten im Land alle Autos erfasst.

Seitdem geraten die Polizei und Brandenburgs Innenministerium selbst immer mehr unter Druck. Die Landesdatenschutzbeauftragte Dagmar Hartge hat „Kesy“ nun nach einer Prüfung als rechtswidrig und unzulässig gerügt. „Man hätte das überhaupt nicht machen dürfen. Und selbst wenn man, wie das Innenministerium, der Auffassung ist, dass die Rechtsgrundlage trägt, war das Ganze rechtswidrig“, so die Position von Hartge, die nun vorgelegt hat. Im Landtag, wo das Ganze schon im letzten halben Jahr ein heißes Eisen war, werden nun Korrekturen gefordert – bis hin zu einem generellen Stopp.

Am Dienstag erklärte SPD-Fraktionschef Erik Stohn: „Wir drängen darauf, dass schnellstmöglich eine datenschutzkonforme Regelung erfolgt. Unser Anliegen ist es, dass dieses Instrument unverzüglich so ausgestaltet wird, es es datenschutzrechtlich angemessen funktioniert. Der Handlungsbedarf ist da.“

Ein bemerkenswerter Schwenk der Genossen. Als die umstrittene Massenspeicherung voriges Jahr aufgeflogen war, hatte der damalige Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) mit Unterstützung seiner Genossen noch eisern daran festgehalten. Sein Argument: „Kesy“ sei erfolgreich und für die Strafverfolgung unverzichtbar, zudem erfolge die Speicherung auf Anordnung von Staatsanwaltschaften.

Stohn: Stellungnahme ist Anlass für weitere Prüfungen

Allerdings wurde im Zuge des damaligen Krisenmanagements das Ausmaß bereits eingeschränkt, wie jetzt durch den Hartge-Bericht bekannt wurde. Ursprünglich waren 66 Beamte mit der Auswertung der KfZ-Massenspeicherung befasst, was nach Worten von Hartge inzwischen auf 23 reduziert wurde. „Es hat Änderungen gegeben“, sagte Stohn. Die Stellungnahme Hartges sei Anlass für weitere Prüfungen. Wenn Daten nicht mehr gebraucht würden, müssten sie unverzüglich gelöscht werden.

Mit Spannung wird erwartet, welche Linie im Umgang mit dem System nun der neue Innenminister Michael Stübgen (CDU) am heutigen Mittwoch im Innenausschuss des Landtages vertreten wird. Im Landtagswahlkampf 2019 hatte die CDU für mehr innere Sicherheit geworben. Das ist zudem ein verankertes Ziel der Kenia-Koalition.

CDU-Fraktionschef Jan Redmann verwies darauf, dass 147 mal im Jahr 2018 auf die Daten zugegriffen worden sei. Unbeteiligte, die Bedenken wegen der Erfassung ihrer Daten haben, sagte Redmann, „würde ich um Verständnis bitten, dass es mit ,Kesy‘ gelungen ist, Suizide zu verhindern und schwere Straftaten aufzuklären“.

Es gehe um eine Gratwanderung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem berechtigten Datenschutzinteresse. Man nehme die Beanstandung der Datenschutzbeauftragten ernst. Nun müsse es darum gehen, eine Lösung zu finden, wie das „effiziente Mittel“ erhalten werden kann: „Wie kann man die technischen Systeme so verändern, dass es datenschutzfreundlicher wird?“ Eine flächendeckende Datenspeicherung dürfe es am Ende aber nicht geben.

Grüne fordern die Abschaffung von „Kesy"

Die Grünen, die „Kesy“ nach Bekanntwerden wie auch die Linken massiv kritisiert hatten, gehen nicht davon aus, dass eine solche Heilung einfach möglich ist. Sie fordern die Abschaffung. Fraktionschef Benjamin Raschke erklärte am Dienstag, dass die technischen Umstellungen womöglich „sehr aufwendig und teuer“ wären.

Raschke verwies etwa darauf, dass das Landesverfassungsgericht über das Kesy-System – Grundlage ist eine Verfassungsbeschwerde der Piraten – entscheiden wird. Es sei zu erwarten, dass das Verfassungsgericht die Bedenken der Landesdatenschutzbeauftragten bestätigen wird, sagte Raschke. „Grundsätzlich ist unsere Position, dass das beendet werden muss.“ Er habe aber volles Vertrauen in die Koalitionäre, das Problem gemeinsam zu lösen.

Nach Angaben der Landesdatenschutzbeauftragten Dagmar Hartge hat die Polizei inzwischen zumindest Maßnahmen ergriffen, um den Aufzeichnungsmodus nur nach konkreter Anordnung der Staatsanwaltschaft zu aktivieren – gesammelte Kennzeichendaten bleiben laut Hartge aber gespeichert.

Bei der Polizei wird darauf verwiesen, dass die Daten im Auftrag der Staatsanwaltschaften als Beweismittel für Ermittlungen, Anklagen und Prozesse aufbewahrt werden und geschützt sind. Lediglich nach einer Prüfung könnten – wie im Fall Rebecca – auf Anordnung der Justiz die Datensätze für andere Verfahren durchforstet werden. Daneben verweisen Ermittler darauf, dass die Vorgaben für die Dokumentation der Zugriffen bereits verschärft worden seien. Zudem komme Brandenburg als wichtigstes Transit-Bundesland auf der Ost-West-Route besondere Verantwortung zu: Mit „Kesy" würden auch Ermittlungen gegen organisierte Kriminalität, Banden und Autodiebe vorangetrieben – auch für anderes Bundesländer.

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