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Der Atomreaktor in Wannsee liefert keinen Strom, aber Neutronen für die Forschung. Ihm fehlt eine Schutzhülle gegen Flugzeugabstürze.

© Lena Appel

Forschungsreaktor in Berlin-Wannsee: Der strahlende Nachbar

Die Wannseer leben seit Jahrzehnten mit dem Forschungsreaktor. Doch geheuer war er ihnen nie. Jetzt soll er 2020 abgeschaltet werden. Doch nicht alle glauben daran.

Nichts deutet auf die nah gelegene Strahlenquelle hin. Die Fahrt zum Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums führt durch dörfliche Beschaulichkeit. Hier achtet man auf Mittagsruhe und gepflegte Bürgersteige. Mit dem Reaktor als Nachbarn haben sich viele Wannseer arrangiert, froh, dass seine Zeit nun abläuft, sind sie trotzdem. „Ich finde, dass die Abschaltung ein bisschen zu spät kommt. Ich habe einmal gezählt: Das sind täglich etwa 100 Flüge, die da drübergehen“, sagt der 74-jährige Hans-Jürgen Becker.

Karin Khan, Ärztin, traut sich bis heute nicht, hier Wildkräuter zu pflücken. „Der Reaktor war immer eine Gefahrenquelle und man weiß ja auch noch nicht, wo die Abfälle hinkommen.“ Dass die abgebrannten Brennelemente regelmäßig in die USA zurücktransportiert werden, ist hier nicht jedem bekannt. Jede Krebserkrankung in der Umgebung wird unter den Nachbarn mit dem Reaktor in Verbindung gebracht. Für Rentner Klaus Behrendt hatte die Atomanlage auch ihr Gutes: „Dadurch wurden einige Flugrouten über den Wannsee gecancelt.“

Die Atom-Ära in Berlin soll 2020 zu Ende gehen, früher als erwartet. Offenbar wird der Reaktor im europäischen Forschungsverbund nicht mehr gebraucht. Jahrzehntelang diente er als Neutronenquelle für die Materialforschung, doch dafür soll es künftig besseren Ersatz in Schweden geben. „Forschungsreaktoren als Neutronenquelle sind in der Wissenschaft ein Auslaufmodell“, sagt auch die Grünen-Landesvorsitzende von Brandenburg, Annalena Baerbock. Die Abschaltung sei ein „Schritt in die richtige Richtung“. Besser wäre allerdings, sofort den Betrieb stillzulegen.

Das findet auch Atomkraftgegner und Friedensaktivist Dietrich Antelmann, der seit Jahrzehnten in unmittelbarer Nachbarschaft des Reaktors lebt. Schon 1973 habe es in Wannsee heftigen Widerstand gegen eine Modernisierung der Anlage gegeben. „Damals sagte man uns, der Reaktor würde ohnehin in zehn Jahren abgeschaltet.“ Da das nicht geschah, glaubt Antelmann auch nicht an das neue Abschaltdatum. „Mal abwarten.“

Zufall oder Schicksal? Der Reaktor des Helmholtz-Zentrums in Wannsee wurde seinerzeit auf den Namen BER getauft, wie der neue Flughafen. Als der erste Reaktor Anfang der 70er Jahre zu klein wurde, folgte BER II. 1957 zur Grundsteinlegung der Forschungsanlage war die Atomstimmung in Deutschland noch ausnahmslos von Euphorie geprägt. 20 Jahre später sah das ganz anders aus. 1976 begannen die Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk Brokdorf an der Elbe. Erst weitere zehn Jahre später, nach der Tschernobyl-Katastrophe, konnte das Akw in Betrieb genommen werden. Die Reaktorkatastrophe in der Sowjetunion änderte natürlich auch die Stimmungslage in West-Berlin.

1989 kamen die Grünen in Berlin zum ersten Mal an die Regierung. Fast hätten sie das Aus für den Forschungsreaktor bewerkstelligt. Die grüne Umweltsenatorin Michaele Schreyer verweigerte die Genehmigung zum Wiederanfahren des erneut modernisierten Reaktors. Doch die Koalition mit der SPD zerbrach schon 1991, und Eberhard Diepgen mit seiner atomfreundlichen CDU übernahm wieder das Ruder. Anwohner klagten sich noch jahrelang vergeblich durch die Instanzen.

Damals galt das Hahn-Meitner-Institut – so hieß die Einrichtung bis 2007 – noch als Großforschungszentrum von nationaler Bedeutung. Von Ausstieg aus der Atomkraft sprachen nur die Grünen und Teile der SPD. Vordringliche Aufgabe war ohnehin, die Lasten der Wiedervereinigung zu stemmen, zu denen auch die Abwicklung der DDR-Atomanlagen gehörte. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 wurde über die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke diskutiert. Doch beim HMI in Wannsee verwies man auf die deutlich kleineren Dimensionen: 10 Megawatt Leistung statt 1400 wie bei den großen Atommeilern. Und viel weniger Kernbrennstoff aus schwach angereichertem Uran.

Einen „Stresstest“ gab es allerdings erst 2011 nach der Atomkatastrophe von Fukushima. Die Prüfung ergab: Gegen Brände, Erdbeben und Hochwässer ist der Reaktor ausreichend gesichert. Bei Absturz eines Passagierflugzeugs könnte allerdings der Gau eintreten. Das sei allerdings sehr unwahrscheinlich, erklärte das Helmholtz-Zentrum.

Die Flugroutengegner hatten mit der Wannsee-Flugroute, die über den Reaktor führt, endlich eine Handhabe für eine Klage gegen die Festlegung der Routen durch das Bundesamt für Flugsicherung. Tatsächlich urteilte das Oberverwaltungsgericht, bei der Festlegung habe man den Reaktor nicht in die Gefährdungsanalyse einbezogen. Ein Etappensieg, aber klar ist auch: Die alten Flugrouten sind von dem Urteil nicht betroffen. Solange der BER nicht in Betrieb geht, wird weiter über den Reaktor geflogen. Vielleicht gibt es ja eine zeitliche Koinzidenz: Abschaltung des BER-Reaktors, Inbetriebnahme des BER-Flughafens. Die Wannseer sind es gewohnt, die Dinge abzuwarten.

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