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Berlin: Fortschritt durch Umzug

Berlin ist Hauptstadt und lebt gut davon – die Regierung ist mittlerweile einer der größten Arbeitgeber

Von Bernd Hops

Er kam vor dem Kanzler. Während Gerhard Schröder noch in seinem Bonner Dienstsitz residierte, zog Frank Bartsch schon einmal vorsorglich um. Offizieller Grund für den Rheinländer, 1998 vom westlichen an den östlichen Rand der Republik zu wechseln, war seine Promotion. „Im Hinterkopf hatte ich aber immer, dass die Regierung nach Berlin umziehen würde.“ Die ist nicht nur für Juristen, Historiker oder Politologen ein bevorzugter Arbeitgeber. Der Kanzler folgte Bartsch im Mai 2001. Mittlerweile arbeitet Bartsch bei einer Abgeordneten als persönlicher Referent.

Der Regierungsumzug hat Tausende neue und dauerhafte Jobs in Berlin geschaffen. Allein die Bundesregierung beschäftigt hier rund 8400 Menschen. Nimmt man die Mitarbeiter des Bundestags, Bundesrats und des Bundespräsidialamts hinzu, sind es rund 13 000. Umgezogen sind allerdings nicht alle. Denn es wurden knapp 4500 Mitarbeiter mit Behörden getauscht und auch Einrichtungen von Berlin nach Bonn verlagert. So mancher Beamte ging nach Berlin, aber blieb in Bonn wohnen. Die Zahl ist aber stark geschrumpft. Von Sonderfliegern nach Köln/Bonn spricht kaum noch jemand. Mitte 2001 gab es nur noch knapp 900 Pendler zwischen Bonn und Berlin.

Viele sind am Rhein geblieben

Bei den Fraktionen im Bundestag, die zusammen mehr als 800 Menschen beschäftigten, kam es im Rahmen des Umzugs zu einem starken Austausch. „Einige haben wir schon aus Bonn mitgebracht“, heißt es zum Beispiel bei der SPD, deren Fraktion rund 300 Beschäftigte hat. „Die meisten sind aber in Bonn geblieben.“ Zwei Drittel der Stellen wurden durch den Umzug neu vergeben. Auch die FDP-Fraktion, deren Mitarbeiterstab 90 Menschen umfasst, hat sich auf die Suche nach neuen Leuten machen müssen. „Von den Referenten sind fast alle mitgegangen“, heißt es. Anders war es zum Beispiel bei den Sekretärinnen. „Zunächst wollten da auch die meisten mit; aber je näher der Umzugstermin kam, desto mehr sprangen doch ab.“ Am Schluss blieben schätzungsweise drei Viertel der Sekretärinnen in Bonn.

Die Regierung ist nicht lange nach ihrem Umzug allein geblieben. In der Wilhelmstraße lebte nach der Ankunft der britischen Botschaft der alte Mythos aus Kaisers Zeiten auf. Bis zur Teilung der Stadt konzentrierten sich in der Straße das Auswärtige Amt und die wichtigsten Auslandsvertretungen. Viele Botschaften kehrten zwar nicht an die alten Stätten zurück und auch das Auswärtige Amt suchte sich einen neuen Sitz – aber als Arbeitgeber sind die Auslandsvertretungen nicht zu vernachlässigen. Die US-Botschaft ist die größte mit rund 440 Mitarbeitern. Frankreich beschäftigt 200 Menschen und Großbritannien 130. Zwar sind da auch viele Diplomaten darunter. Aber ohne Fahrer und Pförtner kommen auch Botschaften nicht aus. Und die kommen zum größten Teil aus Berlin. Außerdem machen die Botschaften Berlin attraktiver. Die Briten ließen ihr Haus zum Beispiel von einem gefeierten Architekten errichten. Der französische Bau wurde erst vor kurzem fertig – und ist ebenso wie die britische Botschaft keine 08/15-Botschaft, sondern prägt den Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor mit.

Mehr als 30 Verbände und Gewerkschaften sind nach Berlin umgesiedelt – vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels bis zum Bundesverband der Deutschen Industrie. Und die wenigen, die noch in der Republik an anderen Orten residieren, planen für die nächsten Jahre den Sprung nach Berlin. Der Deutsche Bauernverband zum Beispiel zieht 2003 um. Daneben gibt es unzählige Verbindungsbüros von großen Unternehmen in der Hauptstadt, die auf ein offenes Ohr bei Regierung und Opposition für ihre Anliegen hoffen. Ob Deutsche Telekom oder British Petroleum, es kann sich inzwischen keiner mehr leisten, nicht im Zentrum der Macht zu sein. Das schlägt sich auch im Stadtbild nieder, denn genauso wie die Botschaften haben viele neu gebaut. Besonders deutlich ist das in Mitte, am Pariser und am Potsdamer Platz. Die Konzernzentrale der Deutschen Bahn oder die preisgekrönten Hauptstadtesidenzen der DG Bank und der Dresdner Bank sind unübersehbar.

Die Anziehungskraft Berlins hat auch Cap Gemini Ernst&Young gefühlt, die zu den letzten prominenten Umzüglern gehört. Seit diesem Sommer residieren rund 200 Berater und Angestellte am Kurfürstendamm. Der Umzug wurde nötig, weil sich die fusionierten Berater von Cap Gemini aus der Nähe von Frankfurt (Main) und die Schwaben von Ernst&Young sich nicht auf einen der beiden Firmensitze einigen wollten. Als dann klar war, dass es einen neuen Hauptsitz für die Abteilung Zentraleuropa geben würde, „war es keine Frage, dass es Berlin wird“, sagt der Chef der Berater, Antonio Schnieder. Berlin selbst sei zwar wegen seiner Wirtschaftsschwäche nicht die erste Adresse für Unternehmensberater. „Aber es gibt keinen anderen Ort in Europa, wo ich so viele meiner Kunden immer wieder treffe.“ Weil Unternehmer und Manager regelmäßig nach Berlin kämen, um hier politische Gespräche zu führen oder ihre Verbandsfunktionen wahrzunehmen, sei die Stadt für Berater zur ersten Adresse geworden. Und: „Wenn sich die Stadt entschließt, ihre Potenziale in Richtung Osteuropa zu nutzen, dann wird sie selbst auch ein interessanter Standort. Für Unternehmen – und ihre Berater.“

Zum Kaffee beim Kanzler

Die ständige Veränderung zieht viele Urlauber nach Berlin. Galt die Stadt lange als interessant aber verschlafen, entwickelt sie sich immer stärker zu einem touristischen Magneten in Europa und kann mit London oder Paris mithalten. Seit Mitte der 90er Jahre sind die Besucherzahlen deutlich gestiegen. 1992 waren es in West und Ost noch rund 7,7 Millionen „offizielle“ Übernachtungen, die unzähligen privaten Gäste nicht mitgerechnet. Mit nachlassender Wiedervereinigungseuphorie sank die Zahl bis 1996 auf rund 7,4 Millionen.

Doch dann kam der Aufschwung. Immer mehr Regierungsbauten wurden fertig, Berlin putzte sich heraus. Rund zehn Milliarden Euro steckte der Bund in die Stadt. Das zahlt sich aus. Eine – funktionierende – Hauptstadt macht mehr her als eine Frontstadt. Jährlich verbucht die Touristikindustrie in Berlin mittlerweile einen Umsatz von mehr als fünf Milliarden Euro, das Gastgewerbe beschäftigt rund 66 000 Menschen. Die Hotellerie stellt sich auf einen weiteren Aufschwung ein und baut die Bettenzahl immer weiter aus. Schließlich überwandt die Übernachtungszahl im Jahr 2000 deutlich die 10-Millionen-Grenze. Im Jahr 2001 waren es 11,3 Millionen. Und viele Besucher schauten dem Kanzler von der Reichstagskuppel bei der Arbeit zu.

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