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m Bilde. Mit acht Jahren bekam Gabi Parakeninks die erste Kamera. Sie dokumentierte das Leben ihrer Familie.

© Sven Darmer

Fotografien aus Ostdeutschland: Bilder gegen das Vergessen

Ein Fotoprojekt dokumentiert private Aufnahmen aus Ostdeutschland zwischen den Jahren 1980 und 2000. Eine Hellersdorferin gewährt Einblick in die Vergangenheit.

Schuhe aus? Gabi Parakeninks schüttelt den Kopf. „Ick hab ’nen Staubsauger und ’nen Wischmopp“, sagt sie und führt ins Wohnzimmer, dessen Wände mit hohen Bücherregalen vollgestellt sind. Literatur ist eine ihrer Leidenschaften, Ordnung und Übersichtlichkeit zwei weitere. 3900 Bücher habe sie, erzählt die 66-Jährige, die ihr Leben sorgsam dokumentiert hat – in Tagebüchern wie Fotoalben.

Wegen der Bilder sind Sophie Schulz und Friedrich Tietjen an diesem Vormittag zu Besuch in dem Hellersdorfer Plattenbau. Die Kulturhistorikerin und der Fotohistoriker arbeiten an einem Projekt zu privater Fotografie in Ostdeutschland. In Städten wie Magdeburg, Leipzig und Eisenhüttenstadt ließen sie sich in den vergangenen Wochen bei fast 50 „Albengesprächen“ private Fotos aus der Zeit von 1980 bis 2000 zeigen.

Manchmal, wenn die Sammlung zu groß zum Tragen ist, kommen die beiden zum Hausbesuch vorbei. Gabi Parakeninks hat ihre Alben in chronologischer Reihenfolge auf dem Küchentisch bereitgestellt. Friedrich Tietjen baut ein Stativ auf, das sich wie ein kleiner Kran über den Tisch beugt. Daran befestigt sind eine Lampe und eine Kamera.

Das Film- und Gesprächsmaterial wird in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin archiviert, eventuell soll damit eine Ausstellung gestaltet werden. Träger des Projekts „Biografie und Geschichte. Private Fotografie in Ostdeutschland 1980– 2000“ ist die Stiftung Reinbeckhallen, gefördert wird es mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

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Das Aufnahmegerät läuft, Gabi Parakeninks ist bereit. „Wenn ich zu sehr ausschweife, müssen Sie mich bremsen“, sagt sie. Doch die beiden Kuratoren interessieren sich auch für scheinbare Randnotizen. Spannend sind nicht nur Ronnys Sandburg oder Ernas neue Frisur. Es geht auch um die Fotografie als soziale Praxis: Wer hat die Bilder gemacht und warum? Wie werden die Alben aufbewahrt und zu welchen Anlässen angeschaut? Wie wird davon erzählt?

Sie selbst ist selten auf den Fotos

Die achtziger Jahre beginnen bei Gabi Parakeninks mit Babybildern in Schwarz- Weiß. Erst die Tochter, dann der Sohn. Die Berlinerin fotografierte Familienfeiern, Urlaube in der Sächsischen Schweiz, Besuche im Tierpark. Nachdem sie mit acht Jahren von ihren Eltern die erste Kamera bekommen hatte, hielt Parakeninks ihr Leben fest. Seit Anfang der Achtziger tauchen auch ab und zu Farbfotos auf. „Eine Mark fünfundsiebzig kostete so ein Bild“, erzählt sie. Und dann seien nicht mal alle etwas geworden. „Manchmal hat einem vor Aufregung die Hand gezittert.“

Sie selbst blieb meist im Hintergrund. „Ich habe überwiegend fotografiert. Mein Ex war da nicht so der Experte“, sagt sie. Ihr Ehemann aber hatte auch Stärken, beschäftigte sich mit den Kindern und erledigte den Haushalt. „Das waren schöne Jahre, als ich mich um so einen Käse nicht kümmern musste“, sagt Gabi Parakeninks und lacht, während sie durch den Aktenordner blättert – richtige Alben waren teuer.

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Aufgewachsen ist sie in Berlin, beim Vater und der Stiefmutter, zu der sie kein gutes Verhältnis hatte. „Mit 14 bin ich dann zu meiner Oma nach Dresden ausgebüchst.“ Sie war ehrgeizig und schaffte es, ihr Ziel zu verwirklichen: am Institut für Lehrerbildung in Großenhain zu studieren. Als Unterstufenlehrerin bekam sie später Probleme mit der Stimme und wechselte in die Verwaltung. Sie studierte im Fernstudium Staat und Recht und wurde Bürgermeisterin in dem sächsischen Ort, in dem sie wohnte – später noch einmal in Wilthen am Rande der Oberlausitz. Mit 22 war sie in die SED eingetreten – freiwillig, wie sie betont. „Ich wollte mitwirken.“ Nach der Wende schulte sie um, wurde Sozialpädagogin und später PR-Fachfrau.

Für Schulz und Tietjen ist es interessant, wie unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen aus Ostdeutschland in privater Fotografie reflektiert werden. Inwiefern spiegeln sich die Geschichte der DDR, ihr Zerfall, die Wende und die Wiedervereinigung in den Bildern?

Hier wird fleißig archiviert: Das Deutsche Historische Museum.
Hier wird fleißig archiviert: Das Deutsche Historische Museum.

© imago images / Travel-Stock-Image

„Die zeitgeschichtliche und die individuelle Ebene treten auf unterschiedliche Art und Weise in Dialog“, sagt Sophie Schulz. Teilweise werden politische Ereignisse explizit thematisiert, beispielsweise durch eine Meldekarte vom Arbeitsamt oder Zeitungsausschnitte im Fotoalbum. Meist aber werden vor allem die angenehmen Momente festgehalten: Reisen, Weihnachtsfeiern oder Kinder im Planschbecken. „Private Fotografie zeugt von dem Bedürfnis, sich der Schönheit des eigenen Lebens zu versichern“, erklärt Friedrich Tietjen.

In vielen Alben klaffen 1989 und 1990 Lücken

Das habe sich bei einem ähnlichen Projekt in Wien bestätigt, an dem der Fotohistoriker mitgewirkt hat. Unter der Überschrift „Alle antreten! Es wird geknipst!“ hat das Volkskundemuseum 2018 und 2019 private Fotografien in Österreich von 1930 bis 1950 gesammelt, analysiert und ausgestellt. Dabei zeigte sich, dass sich Ereignisse wie der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und die Diktatur der Nationalsozialisten nicht in den privaten Alben wiederfinden. Leid, Krieg und Terror wurden ausgeklammert.

Andere Beobachtungen machten die Kuratoren bei der privaten Fotografie in Ostdeutschland – doch auch hier gibt es Leerstellen. In vielen Alben klafften um 1989 und 1990 herum Lücken, erzählt Sophie Schulz. „Die Unsicherheit der Zeit spiegelt sich oft darin, dass die Menschen – so scheint es – vergessen haben zu fotografieren oder einfach andere Prioritäten hatten.“

Bei Gabi Parakeninks sind Ende 1989 Bilder von einem Ausflug nach West-Berlin Zeichen des politischen Umbruchs. Anfang 1990 folgen Fotos von einer Demonstration am Alexanderplatz. Ansonsten geht das Familienleben weiter – inklusive der Tierpark-Besuche.

Die regulären Albengespräche sind damit abgeschlossen. Wer Privatfotos der Zeit in Ostdeutschland zu Hause hat, kann sie dem Projekt zur Verfügung stellen. Telefon: 0151 / 10409096. Oder per Mail an privatefotografie@stiftung-reinbeckhallen.de

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