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Müssen dauerkranke Arbeitnehmer ihren Arzt von der Schweigepflicht entbinden?

© dpa

Fragwürdiger Umgang mit Personal: Wasserbetriebe wollen Arztauskunft über Mitarbeiter

Die Wasserbetriebe wollen eine Gesundheitsprognose von dauerkranken Beschäftigten – oder die Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht. Sonst drohe die Kündigung. Das Unternehmen selbst sieht das als Teil seiner "Fürsorgepflicht".

Wer bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB) arbeitet und für längere Zeit erkrankt, bekommt in Einzelfällen Post von der Unternehmensleitung – per Einschreiben, in denen eine „Gesundheitsprognose“ angefordert wird. Dazu gehört auch, dass die Mitarbeiter ihre Ärzte von der Schweigepflicht gegenüber dem Unternehmen entbinden sollen. Das teilte die Wirtschaftsverwaltung des Senats der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus auf Anfrage mit. Der Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner (Piraten) sieht eine „Hire-and-Fire-Mentalität“ bei dem mehrheitlich landeseigenen Unternehmen und fordert im Namen seiner Fraktion, „dieses Verfahren einzustellen“.

Die Berliner Wasserbetriebe weisen den Vorwurf zurück und bezeichnen die Aktion als „Entgegenkommen des Unternehmens“ an betroffene Mitarbeiter. „Die Aufforderung zur Auskunft über die Krankheitsprognose erhalten nur jene Beschäftige, die in drei aufeinander folgenden Jahren mehr als 150 Tage krankgeschrieben gewesen sind“, sagt Unternehmenssprecher Stephan Natz. Bis zum Herbst dieses Jahres wurden insgesamt 48 Mitarbeiter angeschrieben, das entspricht etwa jedem vierten der längerfristig erkrankten Mitarbeiter.

„Wir verstehen das als Teil unserer Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten“, sagt Natz. Schließlich wolle man über die Gründe der langen Abwesenheit mit den Betroffenen sprechen. Nur so ließen sich beispielsweise schwierige Arbeitsbedingungen oder Mobbing-Probleme erkennen. Die Mitarbeiter sollten durch den Brief aber auch die Gewissheit erhalten, dass sie beachtet würden.

Natz räumt ein, dass „einige Formulierungen in dem Brief nicht sehr glücklich“ gewählt sind. So heißt es in dem Schreiben etwa, dass das Unternehmen bei einer Fortsetzung der „negativen Entwicklung“ oder im Falle nicht gegebener Auskünfte durch die Erkrankten entscheiden müsse, „ob den Berliner Wasserbetrieben eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist“.

Was wie die Androhung einer Kündigung klingt, ist nach Angaben der Wasserbetriebe „seit Jahren gängige Praxis“. Kritik an diesem Vorgehen kann Natz nicht nachvollziehen. Bei anderen Unternehmen würde der Arbeitsrichter über eine krankheitsbedingte Kündigung entscheiden, sagte er. Die Wasserbetriebe wollten den Konflikt durch die Aktion möglichst selbst lösen. Gleichzeitig wolle man aber auch dem Vorurteil begegnen, dass große Betriebe in öffentlicher Hand eine „soziale Hängematte“ seien. Diese könne man sich einfach nicht leisten. Wie Natz bestätigte, müssten Mitarbeiter, die keine Reaktion auf das Schreiben zeigen würden, mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Von den 48 angeschriebenen Mitarbeitern sei jedoch keinem einzigen gekündigt worden. Lediglich ein Kollege habe im gegenseitigen Einvernehmen den Betrieb verlassen.

"Ein Arbeitnehmer muss sich nicht komplett offenbaren."

Volker Dineiger, Berliner Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht, sieht das Vorgehen der Wasserbetriebe kritisch. So sei es zwar statthaft, wenn ein Arbeitgeber einen länger erkrankten Mitarbeiter auffordere, eine Gesundheitsprognose einzureichen. Anders sehe es jedoch aus, wenn ein Arbeitgeber seine Angestellten dränge, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. „Ein Arbeitnehmer muss sich nicht komplett offenbaren“, sagt Dineiger. Gleichwohl sei er gut beraten, „wenn er bei einer längeren Krankheit von sich aus auf den Chef zugeht und ihm Vorschläge macht, wie sich seine Gesundheit verbessern ließe.“ Eine krankheitsbedingte Kündigung sei nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes erst nach 180 Tagen Krankheit in drei Jahren gerechtfertigt, aber nicht bereits nach 150 Tagen, sagt Dineiger.

Die Vorgehensweise der BWB löst bei der BVG, einem anderen großen städtischen Unternehmen, Verwunderung aus. „Wir fordern keine Gesundheitsprognosen ein“, sagt Unternehmenssprecherin Petra Reetz. Außerdem würde der unternehmenseigene Datenschutzbeauftragte „uns die Hölle heiß machen, wenn wir so was vorhätten.“ Auch die Aufforderung an Mitarbeiter, Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, komme bei der BVG nicht vor. „Wir haben U-Bahnfahrer, denen jemand vor den Zug gesprungen ist und die ihren Job nicht mehr machen können. Für die suchen wir dann andere Arbeitsplätze im Unternehmen“, so die Sprecherin.

Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft will die Vorgänge bei den Wasserbetrieben prüfen. Das Ergebnis könnte auch deshalb interessant sein, weil Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) Vorsitzende des Aufsichtsrates der Wasserbetriebe ist. „Die Berliner Wasserbetriebe und der Vorstand sind an Recht und Gesetz gebunden“, sagt eine Sprecherin der Senatorin. „Handeln Unternehmen und seine Vorstände rechtswidrig, werden der Aufsichtsrat oder die Rechtsaufsicht eingreifen.“

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