zum Hauptinhalt
Unterwerfungsgeste. Nach der Niederschlagung des Boxer-Aufstands reist Prinz Chun (sitzend), Bruder des Kaisers von China, im September 1901 nach Berlin, um bei Kaiser Wilhelm II. Abbitte zu leisten.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Antreten zum Kotau

Nach der Niederschlagung des Boxer-Aufstands in China fordert Wilhelm II. Satisfaktion: Eine Sühne-Gesandtschaft aus dem Reich der Mitte reist im September 1901 nach Berlin, um Abbitte zu leisten.

Am Ende, nachdem mehr als 100 000 Tote gezählt sind, vertragen sie sich wieder. Aber zuerst ist eine Geste der Entschuldigung fällig, demütig soll sie sein und demütigend. Unter Führung des Prinzen Chun, eines Bruders des Kaisers von China, reist Anfang September 1901 die chinesische "Sühne-Gesandtschaft" nach Berlin, um Abbitte zu leisten für die Unterstützung des Boxer-Aufstands. Fast ein Jahr lang hatten chinesische Kampfmilizen gegen Ausländer und christliche Missionare gewütet. Nach Angriffen auf diplomatische Vertretungen und der Ermordung des deutschen Gesandten Clemens von Ketterer rückten alliierte Mächte zur Strafexpedition in China ein. Am 27. Juli 1900 hatte Wilhelm II. seine Truppen mit der berüchtigten "Hunnenrede" auf einen Vernichtungsfeldzug eingeschworen: "Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!"

Die Großmächte schlagen den Aufstand blutig nieder, China werden harte Friedensbedingungen auferlegt: Die Sieger verlangen Reparationen von 1,4 Milliarden Goldmark, sie verhängen ein Waffenembargo und erwirken die Errichtung eigener militärischer Stützpunkte. Abgeschafft wird für ausländische Diplomaten auch der "Kotau" – wörtlich übersetzt: "das Kopfstoßen" –, eine rituelle Ehrenbezeugung am kaiserlichen Hof, bei der die Ehrerbietenden auf die Knie gehen und mit der Stirn den Boden berühren.

Chinas Prinz soll den Kotau machen - für die Chinesen eine Provokation

Stattdessen soll Chinas Herrscherfamilie den Kotau machen – für die Chinesen eine entehrende Provokation. Prinz Chun, der für die Sühne-Mission Auserwählte, würde sich eher das Leben nehmen, als sich diesem Akt der Unterwerfung zu beugen, heißt es. Bis zuletzt feilschen die Hofschranzen beider Seiten um das Protokoll für die Sühne-Zeremonie. Nach seiner sechswöchigen Seereise von Schanghai nach Genua macht Chun in Basel Station, um die Verhandlungen abzuwarten – offiziell heißt es, der Prinz leide an Seekrankheit. Die deutsche Presse spottet: Der Prinz sei "in Wahrheit keineswegs seekrank, sondern angstkrank, weil sein Herz in die Unterhosen plumpste", schreibt die "Berliner Damenzeitung".

Der erniedrigende Kotau wird schließlich aus dem Protokoll gestrichen, doch entwürdigend bleibt die Sühne-Demonstration, die am 4. September 1901 im Neuen Palais in Potsdam stattfindet, für den Prinzen trotzdem. Der Empfang ist eisig. Mit tiefen Verbeugungen betritt Prinz Chun gegen 12.30 Uhr den Grottensaal und nähert sich durch das Spalier der höchsten Würdenträger des Kaiserreichs dem Thron. Hier sitzt Wilhelm, mit dem Helm auf dem Kopf und den Marschallstab in der Hand. Prinz Chun verliest „mit leiser, aber vernehmbarer Stimme“ seine Erklärung und überreicht dem Kaiser das „in gelbe Seide gebundene und mit dem Goldenen Drachen bestickte Handschreiben“ seines Souveräns, wie die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ berichtet. Wilhelm nimmt die Note „huldvollst“ entgegen und gibt seine „Allerhöchste Erwiderung … unter fester Betonung der markanten Stellen mit lauter Stimme“ ab.

Der Worte sind genug gewechselt, die Sühne ist getan. Ab sofort wird der Prinz als Staatsgast behandelt, besucht Empfänge, besichtigt Fabriken und reist im Salonwagen zum Kaiser-Manöver nach Danzig, wo ihm Wilhelm das Großkreuz des Roten Adlerordens verleiht. Nur die Gastgeschenke des Sühneprinzen, Ming-Vasen, Porzellan, Edelsteine, Seiden und Kunsthandwerk, will die Kaiserfamilie nicht annehmen. Die Gaben wandern ins Museum.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter www.tagesspiegel.de/fraktur

Folgen Sie dem Autor auf Twitter:

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false