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Dressierte Hunde in Kostümen spielen im Jahr 1909 das Stück "Die Entführung der Salome" im Berliner "Wintergarten"-Varieté.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Hundetheater

Zum Tier pflegt der Berliner seit je ein inniges Verhältnis. Auch vor hundert Jahren war die Reichshauptstadt schon ziemlich auf den Hund gekommen.

Zum Hund pflegt der Berliner eine innige Beziehung, und wie in allen Beziehungen wächst das Vertrauen mit der Zeit. Im Jahr 1904 zählt die Reichshauptstadt mit knapp zwei Millionen Einwohnern (einschließlich der Vororte sind es bereits 2,5 Millionen) etwa 37 000 Hunde. Die Hundepopulation hat sich bis heute, 2014, verdreifacht, während sich die Einwohnerzahl im selben Zeitraum nicht einmal verdoppelte. Über ein Jahrhundert betrachtet ist hinsichtlich der Zuwachsrate die tradierte Rangordnung in Berlin auf den Kopf gestellt: Der Hund dominiert, der Mensch unterliegt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Rollen noch klar verteilt: Der Hund dient dem Menschen, und der Mensch dient der Monarchie. Im Einsatz sind Hofhunde, Schoßhunde und Zughunde, die als „Pferd des kleinen Mannes“ vor Leiterwagen gespannt und im Lieferverkehr unterwegs sind. Es gibt Jagdhunde, Wachhunde, Blindenhunde und Zirkushunde. Berlins Polizei erprobt die ersten Spürhunde, und auf der jährlichen Hunde-Ausstellung werden die schönsten Exemplare aller Rassen prämiert.

Salome als Hundedrama in acht Akten im "Wintergarten"-Varieté

Und dann gibt es schauspielernde Hunde: Im Berliner „Wintergarten“-Varieté gastiert 1909 das Original-Bauern-Hundetheater. Zu sehen ist „Die Entführung der Salome“, eine „Hundecharakterposse in acht Akten“, dargestellt von „42 glänzend dressierten Hunden“, wie die Zeitschrift „Berliner Leben“ berichtet. Neben der hündischen Darstellerin der Salome liegt, auf einem Podest, das abgeschlagene Haupt des Johannes.

Fragwürdig erscheint der sozialdemokratischen Tageszeitung „Vorwärts“ die Haltung und Mode des privilegierten Hundes. Ausführlich zitiert der „Vorwärts“ am 6. April 1906 aus einem Beitrag der Zeitschrift für „Tierkunde und Tierschutz“, wohl in der Absicht, bei seinen Lesern den Sozialneid oder gar umstürzlerischen Eifer gegen die Hundeverhätschelung durch die Bourgeoisie zu provozieren. „Jetzt geht ein vornehmer Hund nur noch mit Gummischuhen und Paletot auf die Straße“, wird berichtet. „Das Tuch, aus welchem die Hundepaletots gefertigt werden, kommt aus Paris, in Berlin gibt es keins in solcher erstklassigen Qualität.“ Gerne führe „Madame“ ihren „Herzensliebling, sei es Dackel, Pinscher oder Fox“, in einem Mäntelchen derselben Farbe aus, in welcher sie „ihr Tailor-made-Kostüm spazieren führt“. Für das Gassigehen bei schlechtem Wetter hat „die Hundemode elegante, seidene Regenmäntel mit Capouchon in den Handel gebracht, die, vollständig wasserdicht, Hündchen vor der Unbill der Natur schützen“. Nach der Heimkehr werde die Garderobe gewechselt „und die Salontoilette beginnt. Ein silber- und goldplatiniertes Halsband mit eleganter seidener Rüsche wird umgetan, die vier Pfötchen werden je nach Geschmack mit schwarzen, roten oder hellgelben Lackstiefeln bekleidet, und die rechte Vorderpfote bekommt ein goldenes Kettenarmband. So angekleidet nimmt dann der Liebling am Fünfuhrtee teil.“

Der feine Hund muss auch beim motorisierten Herrchen nicht länger nackt mitreisen: „Einen nach der neuesten Mode gekleideten Foxterrier konnte man in der Automobilausstellung bewundern“, heißt es in dem Bericht. Zum englischen „Reisepaletot aus grau kariertem Stoff mit roter Garnitur“ habe der Terrier eine „veritable Automobilbrille“ getragen, um seine Augen „bei der sausenden Fahrt zu schützen“. Jede Wette: Der Proletarier, der zu Fuß geht, um das Geld für den Omnibus zu sparen, schäumt bei solcher Lektüre.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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