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Kolossal! Für den Bildhauer Eugen Boermel darf es gerne eine Nummer größer sein. Die Borussia-Figur, an der er Anfang 1903 arbeitet, ist nur das Beiwerk für ein monumentales Denkmal zu Ehren Kaiser Wilhelms I.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Im Bann der Borussia

Der Bildhauer Eugen Boermel hat Sinn fürs Kolossale. Für ein Reiterstandbild zu Ehren Kaiser Wilhelms I. arbeitet er 1903 an einer Borussia-Statue. Das Denkmal wird im Herbst 1903 in Danzig enthüllt, 1945 von der Roten Armee abgerissen.

Neckisch blickt das Modell mit dem geflügelten Helm und den entblößten Schenkeln in die Kamera. Der Meister dagegen würdigt den Fotografen, der im Januar 1903 für die Zeitschrift "Berliner Leben" im Atelier des Künstlers weilt, keines Blickes. Der Bildhauer Eugen Boermel ist voll auf die Arbeit an seiner mächtigen Borussia-Statue konzentriert, ein ängstlicher Betrachter könnte sich sorgen, dass der bärtige Herr auf der Holzleiter im nächsten Moment ins Wanken geraten und sich an dem steinernen Weibsbild den Kopf einschlagen könnte.

Aber nicht doch. Unter der Aufsicht Seiner Majestät Wilhelm II., dessen Porträt an der Galerie prangt, ist das Werk des Künstlers von höchster Autoriät beschirmt. Im Auftrag des Kaisers vollendet Eugen Boermel zum Jahresbeginn 1903 das Figurenensemble für ein kolossales Reiterdenkmal zu Ehren Wilhelms I. Im Herbst soll es in Danzig aufgestellt werden. Die Borussia-Figur ist dazu nur kleineres Beiwerk.

Der Bildhauer beginnt mit Plastiken im Vitrinenformat

Der Monumentalbildhauer Boermel beginnt seine künstlerische Karriere Jahre zuvor bescheiden. Nachdem der Staatsstipendiat an der Berliner Akademie die Bildhauerschule von Reinhold Begas absolviert hat, versucht er sich mit Plastiken im Vitrinenformat und gestaltet als Gehilfe von Otto Lessing Dekorationen für Bauten, bevor er sich mit einem kunstgewerblichen Atelier selbstständig macht. Mit seinen Büsten von Mozart, Beethoven und deutschen Märchenfiguren gewinnt er keinen Blumentopf, Skizzen für eine Reihe von Denkmälern bleiben Entwürfe. Immerhin darf er zu dem 1897 enthüllten Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal an der Berliner Schlossfreiheit das Figurenensemble „Krieg und Frieden“ beisteuern.

Einen lukrativen Auftrag erhält Boermel 1896, als Wilhelm II. die neu angelegte Siegesallee durch den Tiergarten zur „Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit des Vaterlandes“ mit einer steinernen Ahnengalerie als „Ehrenschmuck für die Hauptstadt“ versehen lassen will. Unter der Leitung von Reinhold Begas schaffen 27 Bildhauer Marmorstandbilder sämtlicher Markgrafen, Kurfürsten und Könige Brandenburgs und Preußens, flankiert von Büsten bedeutender Persönlichkeiten. Boermel darf Kaiser Sigismund (1368-1437) und Begleitfiguren seiner Regentschaft als märkischer Kurfürst beisteuern.

Mobbing unter Künstlern

Wilhelm II. begleitet den Fortgang des Prestigeprojekts mit Atelierbesuchen. Eifersüchtig buhlen die Künstler um die kaiserliche Aufmerksamkeit – nicht immer mit sauberen Mitteln. Boermel wird in einem anonymen Brief an den Hof bezichtigt, sich öffentlich damit gebrüstet haben, „dass Se. Majestät das größte Entzücken über seine Bildwerke kundgegeben“ habe. Auch seine Frau wird zum Ziel von Angriffen. Sie soll von einem Handkuss des Kaisers erzählt haben – der Brief schließt mit dem Hinweis, Boermels Ehefrau soll „eine jüdische Polin sein“.

Doch das Vertrauen des Kaisers scheint danach durchaus nicht getrübt, wie der Auftrag für das Wilhelm-Denkmal zeigt, das Boermel 1903 vollendet. Mit einer Höhe von 3,30 Metern wird die Borussia als Personifikation Preußens die Stirnseite des Sockels bewehren, auf der das 4,50 Meter hohe Reiterstandbild Wilhelms I. ruhen soll. Am 21. September 1903 wird das neun Meter hohe Denkmal am Dominikswall in Danzig enthüllt. Es trägt die Widmungsinschrift „Die dankbare Provinz Westpreußen“. Knapp 42 Jahre wird es stehen, bis im März 1945 ein sowjetischer Panzer den an Seilen befestigten Kaiser vom Sockel reißt. Eugen Boermel muss das nicht mehr miterleben. Schon 1932 nimmt ihn 73-jährig der Tod vor dieser Schmach in Schutz.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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