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Ein Aktmodell posiert mit dem Rücken zum Betrachter auf einem Podest, Kunststudenten stehe in ihren Staffeleien und malen den Akt.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Stillgestanden für Maler und Bildhauer

In der Akademie der Künste werden um 1900 ständig neue Modelle gesucht. Die Jobs sind begehrt - Menschen, die eine gute Figur machen, dagegen selten. Um sie reißen sich die Künstler.

Wer in der Kunst unsterblich werden will, muss früh aufstehen, gut aussehen und still halten können. Woche für Woche werden an der Berliner Akademie der Künste neue Modelle gesucht. "An jedem Montag zu früher Stunde – von acht bis neun nenn' ich früh – findet sich im großen Flur des alten Akademiegebäudes, Unter den Linden 38, eine höchst merkwürdige Gesellschaft zusammen", schreibt der Autor Friedrich Fuchs in seinem Beitrag "Der Modellmarkt", der im März 1901 in der Zeitschrift "Berliner Leben" zu lesen ist. Dort, "in der dämmerigen Säulenhalle mögen an hundert Menschen versammelt sein. Zu beiden Seiten haben sie sich in geraden Reihen aufgestellt, wie zu einer Parade. Greise mit wallenden Bärten, Jünglinge mit Löwenmähnen, runzlige Mütterchen und frischwangige Mädchen, auch Kinder, die noch nicht zur Schule brauchen. Alles verhält sich in abwartendem Schweigen".

Alle hoffen, "dass sie eines Künstlers Auge reizen werden"

Den Studierenden, die zu ihren Klassen eilen, schenken die wartenden Bewerber kaum Beachtung. "Sobald aber jemand in die Halle tritt, von dem man weiß, dass er einer der Professoren ist, geht Bewegung durch die Menge. Jeder nimmt eine Haltung an, gibt sich eine Pose, und wenn einer weiß, dass er sich im Profil am besten macht, dann dreht er sich dementsprechend nach der Seite. Der Herr Professor sucht sich im Vorbeigehen mit prüfendem Blick aus, was er gerade braucht – ein stummer Wink, der sofort verstanden wird, und der oder die darf ihm folgen."

Der Rest muss weichen. "Hat der letzte Professor den Flur passiert und seinen Bedarf gedeckt, dann tritt der Portier, ein alter Wachtmeister von den Gardes du corps, aus seiner Loge und ruft mit Kommandostimme: 'Die Klassen sind besetzt!' Sofort erscheinen die Hausdiener mit Besen und Gießkannen, um Kehraus zu machen und die Versammlung zu sprengen." So ziehen sie von dannen, um vorläufig wieder anderen Geschäften nachzugehen: als Hausmädchen, Hausierer oder Straßenmusikanten. "Am nächsten Montag kommen sie alle wieder, in der Hoffnung, dass sie eines Künstlers Auge reizen werden."

Die Auserwählten dagegen erwartet eine bequeme und vergleichsweise gut bezahlte Tätigkeit im öffentlichen Dienst. "Für tägliche vier Stunden mit drei Viertelstunden Ruhepausen erhält das Staatsmodell einen harten Thaler, und sechs Tage hat die Woche", schreibt Friedrich Fuchs. "Seine Gegenleistung besteht darin, in einem gut geheizten Raume auf einem Stuhle Platz zu nehmen, ein bisschen still zu halten und möglichst nicht einzuschlafen." Doch nur wenige Modelle hätten die Ausdauer, die das "stundenlange Verharren in schwierigen Körperstellungen" verlangt. Und Menschen, die einen "guten Akt haben", seien selten "wie ein Heldentenor". Model-Experte Fuchs meint sogar, schöne Körper seien "unter dem allgemein sogenannten schöneren Geschlecht noch seltener zu finden als unter den Männern, deren normale Entwicklung nicht in dem Maße durch unzweckmäßige Kleidung und andern Kulturzwang beeinflusst worden ist".

Die Top-Models sind heiß umworben – und die Konkurrenz unter Bildhauern und Malern ist unbarmherzig. Treue ist nicht zu erwarten. "Wie oft passiert es, dass einer mit der Arbeit, die gerade im besten Schwunge war, stecken bleibt, weil sein Modell ihn schnöde im Stich lässt." Selbst in Aussicht gestellte Prämienzahlungen bei Vollendung des Werks seien keine Garantie, "sich der einzig Schönen zu versichern". So manchem Künstler bleibe daher "in seiner Verzweiflung nicht anderes übrig, als sein Modell zu heiraten".

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter: www.tagesspiegel.de/fraktur

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