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Reinickendorfs Bürgermeister Frank Balzer beim Interview im Rathaus Reinickendorf am 13. Dezember 2017 in Berlin.

© Raphael Kraemer

Frank Balzer (CDU) im Interview: "Ich muss den Kurswechsel akzeptieren"

Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) spricht im Interview über die Kehrtwende seiner Partei beim Flughafen Tegel und kritisiert die rot-rot-grüne Verkehrspolitik.

Wie ist die Bilanz eines CDU-Bezirksbürgermeisters nach einem Jahr rot-rot-grüner Koalition auf Landesebene in Berlin?

In der Tat wird das Bezirksamt Reinickendorf von einer CDU-Mehrheit geführt, es gibt drei Stadträte der CDU, einen der SPD und einen der AfD. In der BVV ist die CDU so stark, dass letztendlich gegen sie kaum etwas getan oder gemacht werden kann. Ich glaube, dass wir sehr verantwortungsvoll mit dieser Mehrheit umgehen. Gerade ist der Doppelhaushalt 2018/2019 beschlossen worden, sowohl im Bezirksamt als auch in der Bezirksverordnetenversammlung einstimmig. Das ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass in der BVV sowohl die Linkspartei als auch die AfD neu vertreten ist. Das zeigt, dass wir eine Interessenabwägung vornehmen, andere Ideen aufnehmen, ohne deswegen unsere Vorstellungen zu verwässern. Das kann ich beim Senat so nicht erkennen ...

Sagen Sie uns ein Beispiel ...

Beim Thema Verkehrspolitik nimmt der Senat keinen Interessenausgleich vor. Er setzt mit all seinen Verlautbarungen nur auf den Fahrradverkehr zu Lasten des Individualverkehrs, zu Lasten auch des gesamten Gewerbebereichs. Diese einseitige Verkehrspolitik heißen wir nicht gut. Durch die Kündigung der „Wall“-Toiletten entsteht ohne Not eine Situation, bei der wir nicht wissen, wie es weitergeht. Man verspricht uns, dass alles besser und schöner wird. Das müssen wir abwarten. Feststeht, dass ein gut funktionierendes System gekündigt worden ist. Auch beim Thema Wohnungsbau ist die Situation schwierig. Die kooperative Baulandplanung, die darin enthaltenen Partizipationsmechanismen, tragen dazu bei, dass eher weniger gebaut wird.

Erklären Sie bitte unseren Lesern, die ja nicht alle Fachleute sind, was an der kooperativen Baulandentwicklung und den Partizipationsmechanismen neu und was daran so schwierig ist?

Die kooperative Baulandentwicklung führt dazu, dass es viel größere Abstimmungsprozesse mit den Investoren geben muss. Etwa, wenn es darum geht, die entsprechende Zahl an Kitaplätzen, an Schulplätzen zu bedenken. Das ist ja durchaus sinnvoll. Aber es hat die Konsequenz, dass wir länger brauchen, ein Bebauungsplanverfahren durchzuführen. Das ist dann schwierig, wenn ein Bauherr anzweifelt, dass so und so viele Kitaplätze oder Schulplätze gebaut werden müssen. Dazu kommt die Frage, ob wir in der Gegend überhaupt eine Schule haben, an der wir das realisieren können. So verzögern sich Bauten erheblich. Auch das Thema Partizipation, die Einbindung von Menschen, bedeutet ja nicht automatisch, dass man zu schnellen Lösungen kommt. Das Gegenteil ist der Fall, weil zwar jeder möchte, dass Wohnungen gebaut werden, aber bitte nicht in meiner Straße, bitte nicht vor meiner Tür.

Wie sieht es beim Personal aus?

Da ist die Situation besser geworden. Der Senat hat hier seine Versprechen gehalten, den Personalbestand zu verstärken. Das hilft uns sehr, denn die Einsparungen der vergangenen Jahre haben ja für die Bürger spürbare Auswirkungen gehabt, auf den Bürgerämtern, den Standesämtern. Das kann jetzt weitestgehend aufgefangen werden. Im Vergleich zur Situation vor acht Jahren haben wir zwar immer noch weniger Personal, aber die gröbsten Missverhältnisse konnten doch beseitigt werden.

Sie haben den Wohnungsbau selbst erwähnt. Reinickendorf war in den letzten Jahren beim Mietwohnungsbau Schlusslicht. Gibt es konkrete Projekte im Bezirk, die durch den Senat behindert wurden?

Wir haben in diesem Jahr 1051 Wohneinheiten bewilligt und sind damit im hinteren Bereich der genehmigten Einheiten. Das liegt aber auch daran, dass der Bezirk nicht so viel Wohnungsbaupotentiale hat. Das meiste ist kleinteilig, wir wollen nicht jede Grünfläche dem Wohnungsbau opfern. Beim ehemaligen Tetrapak-Gelände in Heiligensee haben wir eine Umwidmung von Gewerbe- in Wohnungsbau beantragt. Und ein großes Projekt wäre natürlich die Nachnutzung von Tegel...

Ein wichtiges Thema. Stimmt Sie die Entwicklung um den Flughafen Tegel nicht besorgt? Inzwischen ist ja nicht nur offen, wann der Flughafen schließt, sondern auch, ob das jemals geschieht. Jetzt verlangt die Opposition, also Ihre CDU, sogar die Sperrung der Gelder, die für die weitere Planung der Nachnutzung von TXL gebraucht werden ...

Die Entwicklung sehe ich natürlich mit großer Sorge. Es gibt ein in sich schlüssiges Konzept für die Nachnutzung, zwischen Senat und Bezirk abgestimmt. Jetzt die Nachnutzungsüberlegungen einzustellen, halte ich für den völlig falschen Weg.

Sie können sich aber in Ihrer eigenen Partei mit dieser inzwischen Minderheitsmeinung nicht durchsetzen ...

Das ist richtig. Damit muss man auch leben. Wir sind in einer besonderen Situation in Reinickendorf, einmal durch die Fluglärmbelastung, aber dann eben auch wegen der guten Nachnutzungsoptionen. Da hat die CDU auf Landesebene vor einem Jahr einen Kurswechsel vollzogen, das muss ich akzeptieren. Ich halte dennoch nach wie vor an meiner Meinung fest, und ich halte sie auch nach wie vor für richtig.

2021/22 werden nach der jetzigen Planung parallel die Rudolf-Wissell-Brücke abgerissen, die A 111 gesperrt, die U-Bahn zwischen Schumacher-Platz und Tegel wegen Sanierung eingestellt, und die S 25 zwischen Schönholz und Heiligensee doppelgleisig ausgebaut. Was kann der Bezirk tun, um dieses absehbare, totale Verkehrschaos zu verhindern?

Wir haben uns sehr frühzeitig informiert und mit der Bundesbehörde gesprochen, die für den Bau der Wissell-Brücke zuständig ist. Ob das alles 2021/22 geschieht, ist offen, denn es muss ja erst eine zweispurige Ersatzstrecke geschaffen werden, bevor man die Brücke abreißt. Das ist eine hochkomplizierte Angelegenheit. Wenn alles gleichzeitig passieren sollte, wäre es in der Tat ein Verkehrsinfarkt auch für das gesamte nördliche Umland. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so realisiert wird. Auf jeden Fall müssten U- und S-Bahn nicht nur funktionieren, sondern auch ihre Taktzahl erhöhen, denn viele Autofahrer werden ja auf den ÖPNV umsteigen.

Ein Thema, das damit zusammenhängt, ist das der Pendler aus Brandenburg, die mit ihren Fahrzeugen das Umfeld mehrerer S-Bahnhöfe im Bezirk zum großen Ärger der Anwohner blockieren. Gibt es Kontakte des Bezirksamtes mit den Verkehrsträgern, mit dem Ziel, die Taktung der S-Bahnen zu ändern, oder die Tarifgrenzen zu verschieben?

Wir sind an unterschiedlichen Stellen tätig geworden. Die BVV hat dazu Beschlüsse gefasst, wir haben an die zuständige Senatsverwaltung geschrieben, ich selber habe in einem Gespräch mit Verkehrs-Senatorin Regine Günther die Problematik gesprochen. Wir stoßen auf offene Ohren, merken aber, dass sich in der Realität nichts tut. Wir werden darauf verwiesen, dass es schwierige Abstimmungsgespräche seien, dass eine Änderung der Tarifgrenzen mit Einnahmeverlusten verbunden sei, die ausgeglichen werden müssten. Aber das ist der einzige Weg, die Pendlerströme zu lenken, damit diese S-Bahnkunden von den Bahnhöfen im Umland aus fahren. Wir haben damit angefangen, an den S-Bahnhöfen Kurzparkzonen einzurichten. Die in Tegel hat sich absolut bewährt. Das gleiche Modell überlegen wir jetzt, in Hermsdorf und Frohnau zu realisieren. Wir reagieren damit auf massive Beschwerden sowohl vom Einzelhandel als auch von den Anwohnern.

Sie kennen den Senatsbeschluss, eine Expertengruppe zur Verbesserung der gesamtstädtischen Verwaltungssteuerung einzurichten. Welche Wünsche hat denn der Bezirk an den Senat, um Qualität und Tempo der Verwaltungsleistungen zu heben?

Man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden. Wenn ich bilanziere, wo es Probleme mit Verwaltungsleistungen gegeben hat, stelle ich fest, dass es fast ausschließlich mit fehlendem Personal zu tun hatte. Sobald das Personal in den Bürgerämtern und in den Standesämtern zur Verfügung stand, haben sich die Wartezeiten deutlich reduziert. Und mit fehlendem Personal hat es auch zu tun, wenn wir zum Beispiel im Baubereich nicht die vorhandenen Gelder ausgeben können. Wenn ein Bauleiter im privaten Sektor ungefähr 1000 Euro netto mehr im Monat verdient als im öffentlichen Dienst, muss ich mich nicht wundern, dass ich diesen Bauleiter nicht bekomme. Dies zu erkennen, brauche ich keine Expertengruppe, das kann ihnen jeder Bezirksbürgermeister oder jede Bezirksbürgermeisterin erklären. Das Thema der Doppelzuständigkeiten hängt damit zusammen, dass sich der Senat auf Gebieten Einfluss sichern will, ich aber nicht genau verstehe, warum.

Haben Sie ein Beispiel?

Gerne. Warum beim Sportanlagensanierungsprogramm der Senat die vom Bezirk vorgeschlagenen Maßnahmen noch einmal kontrolliert, begreife ich nicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass die Mitarbeiter des Senats sich diese Anlage anschauen - beurteilen können das nur die Mitarbeiter des Bezirks. Der Senat muss also nur den Mut haben und politisch entscheiden: ,Wir lassen künftig diese Doppelarbeit'.

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