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Berlin: Franz von Hammerstein (Geb. 1921)

Die Fragen waren einfach. Antworten zu finden, war schwer.

Er war zwölf Jahre alt, als er Adolf Hitler ins Treppenhaus der elterlichen Wohnung eintreten sah, die über der Dienstwohnung des Vaters lag. Wenige Tage zuvor war Hitler zum Reichskanzler ernannt worden, jetzt, am 3. Februar 1933, suchte er Kurt von Hammerstein-Equord auf, um vor den Generälen der Reichswehr seine Pläne zur Eroberung des „Lebensraums im Osten“ und zur Auslöschung der „bolschewistisch-jüdischen Weltgefahr“ vorzustellen.

Der Vater trat daraufhin als Chef der Heeresleitung zurück, und er machte in der Folge nie einen Hehl daraus, dass er Hitler hasste, weil dieser Deutschland in den nächsten Krieg und damit in den Ruin treiben würde.

Eine der Schwestern von Franz hatte die Rede Hitlers in wesentlichen Teilen mitstenografiert. Es gelang ihr, die Mitschrift nach Russland zu übermitteln, um Stalin vor den Plänen Hitlers zu warnen. Die Protokolle wurden vor wenigen Jahren in einem Moskauer Archiv entdeckt.

Seine Mutter, wiewohl überzeugte Katholikin, schickte Franz zum Protestanten Martin Niemöller in den Konfirmandenunterricht, weil er der einzige Pfarrer in der Dahlemer Umgebung war, der offen gegen die Nazis sprach. 1937 wurde er von Niemöller konfirmiert. Drei Wochen später wurde Niemöller verhaftet.

Seine zwei Brüder mussten in den Krieg, um ihn herum wurde es immer einsamer. Freunde und Bekannte starben an der Front, neue Freunde, vertrauenswürdige Freunde fanden sich selten.

Die Brüder kehrten verwundet heim und schlossen sich dem Widerstand an. Franz war blind auf einem Auge – welche Ironie, er der sich immer mühte, alles von beiden Seiten zu sehen. Aufgrund der Behinderung war er wehruntauglich; er begann eine kaufmännische Lehre.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler tauchten die beiden Brüder unter. Franz, seine Mutter und seine Schwester wurden von der Gestapo in Sippenhaft genommen und mehrfach verhört, aber sie gaben nichts preis.

Dann hieß es eines Morgens: „Fertigmachen zum Transport!“ Zur Ermordung, zur Befreiung, wohin? Sie sollten als Geiseln in die „Alpenfestung“ verschleppt werden, aber auf dem Weg dorthin wurden sie von den Amerikanern befreit.

Franz wollte begreifen, was geschehen war. Er begann das Studium der Theologie in Bethel, weil es dort eine Tradition des Widerstands, des Eintretens für „lebensunwertes Leben“ gab, in Person des Leiters Friedrich von Bodelschwingh, der mutig für Kranke und Behinderte gestritten hatte.

„Ich bin der Meinung, dass die Kirchen damals hätten sagen müssen: Wir sind alle Juden, die Christen hätten sagen müssen: Wir sind im Grunde alle Juden.“ Sie haben es nicht getan, warum nicht? Die Nachfolge Christi gebot es ihnen! Die Fragen, die sich Franz stellte, waren einfach. Darauf Antworten zu finden, war schwer.

Hat Gott vergessen, uns gnädig zu sein, und wenn ja, was ist der Grund? Warum zeigen sich so wenig Gläubige seiner würdig?

Warum hassen Christen Juden, warum verachten Weiße Schwarze, warum glauben sich Europäer den Afrikanern überlegen? Er ging auf eine weite Reise, die ihn über Göttingen nach Chicago führte, weiter nach Washington D.C., eine schwarze Universität mit einem Rabbiner aus Breslau als Professor, zurück nach Europa, später dann, gemeinsam mit seiner aus der Schweiz stammenden Frau, drei Jahre als Austauschpfarrer im Dienst der Presbyterianischen Kirche wieder nach Amerika.

Die Heilung einer zerbrochenen Welt, nicht ihre ökonomische Wiederherstellung in Gestalt eines Wirtschaftswunders, sondern eine moralische Neugeburt – das war sein Anliegen. Zeichen setzen!

Die Gründung der „Aktion Sühnezeichen“: federführend Lothar Kreyssig, der unter Hitler die Unrechtmäßigkeit der Euthanasiemorde angeprangert hatte. Als Landesverräter und Nestbeschmutzer wurden die Initiatoren beschimpft. Selten waren sie mehr als 200 Freiwillige im Jahr, und doch gelang es ihnen, Zeichen zu setzen: die Versöhnungskirche in Taizé, die Gedenkbauten in Coventry, die Synagoge in Villeurbanne, erbaut von jungen deutschen Christen, sehr zum Ärger der Amtskirche und des Auswärtigen Amtes.

Vergessen war einfacher als Versöhnen und die Beruhigung in der Orthodoxie allemal nervenschonender als Meinungsstreit. Aber Selbstzufriedenheit schafft keinen Frieden. Was Frieden schafft? Zuhören bewirkt zuweilen Verständnis, Verständnis führt zuweilen zur Versöhnung.

Franz von Hammerstein mühte sich um Dialog, nicht im Sinne eines unverbindlichen Meinungsaustausches, sondern um einen gültigen Dialog. „Der gültige Dialog beginnt immer wieder damit, den Partner so zu verstehen, wie er sich selbst darstellt und nicht damit, ihm ein besseres Verständnis seiner selbst aufzuzwingen.“

Bis zuletzt blieb er sich treu in seiner Hoffnung auf Versöhnung zwischen den Menschen, zwischen den Staaten. „Ich bin katholisch getauft, evangelisch konfirmiert und gehe freitags in die Synagoge“, so sein ökumenisches Glaubensbekenntnis. Als er zu Grabe getragen wurde, trug er den Talar von Coventry, auf dem Kopf eine Kippa aus seiner Synagogengemeinde, und das Totenkissen, auf dem er ruhte, hatte Frau Achmed, eine Freundin der Familie, im Ramadan mit Schweizer Spitzen verziert. Gregor Eisenhauer

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