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Nicht immer freiwillig. Zwangsheiraten sind in Deutschland verboten – religiöse Eheschließungen sind davon allerdings bislang ausgenommen. Daran gibt es nun Kritik.

© Andreas Lander/dpa

Frauenrechtler fordern bessere Hilfe für Betroffene: Mehr Zwangsehen in Berlin

Hunderte von jungen Berlinerinnen werden jedes Jahr gegen ihren Willen verheiratet – und auch einige Männer und Jungen. Die Fallzahlen sind einer aktuellen Umfrage zufolge gestiegen. Helfer fordern strengere Gesetze und mehr Aufklärung.

Zwangsverheiratungen gehören auch in Berlin zum Alltag – und die Forderungen werden lauter, mehr dagegen zu tun. Wie am Wochenende bereits kurz gemeldet, ergab eine jetzt von der Senatsverwaltung für Frauen und Integration publizierte Umfrage des Arbeitskreises gegen Zwangsheirat aus dem vergangenen Jahr, dass es in Berlin im Jahr zuvor 460 Fälle von drohenden oder vollzogenen Eheschließungen gegen den Willen von Betroffenen gab. Die Dunkelziffer dürfte ein Vielfaches betragen, vermuten Experten.

431 Betroffene waren laut der Umfrage unter 159 Institutionen und Beratungsstellen Mädchen und Frauen, 29 waren Männer und Jungen. Die meisten waren zwischen 18 und 21 Jahre alt, die zweitgrößte Gruppe waren 16- bis 17-Jährige. Allerdings gab es auch vier Fälle, in denen zehn- bis zwölfjährige Kinder verheiratet werden sollten oder wurden. Ein Drittel der Betroffenen hatte türkische Wurzeln, 22 Prozent arabische, 18 kamen aus Balkanländern. Es gab aber auch Fälle, in denen die Familien aus westlichen Ländern wie Italien stammten.

Von den Betroffenen, bei denen Informationen zur Nationalität vorlagen, hatte ein Drittel die deutsche Staatsangehörigkeit. Bei zwei von drei Fällen war die Zwangsheirat noch nicht erfolgt, aber es gab laut Umfrage konkrete Pläne. Wie oft die Heirat verhindert werden konnte, erfasst die Untersuchung nicht. Wegen der Art der Erfassung wird sie als nicht repräsentativ eingeschätzt, so sind wegen der anonymisierten Erhebung Mehrfachzählungen nicht auszuschließen.

Mehr Aufklärung in Schulen, Polizei und Jugendämtern

Die Zahl von 460 Fällen liegt über dem Ergebnis der ersten Befragung im Jahr 2007, damals waren 378 Fälle gezählt worden. Allerdings beteiligten sich diesmal auch mehr Einrichtungen an der Umfrage. „Die Zahl ist auch bundesweit gestiegen, weil sich mehr Betroffene trauen, zu Beratungsstellen zu gehen“, sagt Myria Böhmecke, Referatsleiterin für „Gewalt im Namen der Ehre“ bei Terre des Femmes, einer gemeinnützigen Frauenrechtsorganisation. Nach bundesweiten Studien würde etwa jede dritte Zwangsehe nur als religiöse Zeremonie geschlossen, zwei Dritten seien standesamtlich – allerdings oft im Ausland. Sie fordert, dass in Deutschland künftig auch religiös vollzogene Eheschließungen gegen den Willen von Betroffenen strafbar sind, bislang gilt das nur für standesamtliche. Zudem sei mehr Aufklärung in Schulen, bei der Polizei und in Jugendämtern nötig, um drohende Zwangsehen zu erkennen und darauf richtig zu reagieren.

Oft helfe nur die Abkehr von der Familie

Petra Koch-Knöbel, Frauenbeauftragte von Friedrichshain-Kreuzberg und Ansprechpartnerin des Arbeitskreises gegen Zwangsheirat, fordert mehr Einrichtungen vor allem für jüngere Frauen, die in Frauenhäusern oft nicht die benötigte sozialpädagogische Betreuung bekämen. Zwar gebe es auch immer wieder Fälle, in denen die Eltern nach Gesprächen einlenkten, weil sie erst dann erführen, dass eine Zwangsehe in Deutschland eine Straftat ist. Aber oft helfe nur die Abkehr der Betroffenen von der Familie. Wer Fälle von drohender Zwangsheirat kennt oder mehr Informationen zum Thema benötigt, erreicht Petra Koch-Knöbel unter Telefon 030 90298 - 4111.

Die Senatsverwaltung für Frauen und Integration von Senatorin Dilek Kolat (SPD) will künftig noch stärker darüber aufklären, dass Zwangsehen verboten sind, sagt Sprecher Markus Kringel. „Wir müssen klar machen, dass wir das in Deutschland nicht dulden.“

Eine Liste aller Beratungsstellen gibt es online unter zwangsheirat.de

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