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Berlin: Freiluftbuchhandel: Bücherbuntheit zu Füßen der Humboldts

Allem Klagen über die Leseunlust wie Leseunfähigkeit einer Fernseh-versauten Zeitgenossenschaft entgegen macht sich allenthalben ein Buchhandel unter freiem Himmel breit. Am deutlichsten, so will es mir erscheinen, ist das Leben des Buches an dem Wochenend-Trödelmarkt Kupfergraben zu sehen: Bald jeder dritte Stand führt Bücher jeder Art.

Allem Klagen über die Leseunlust wie Leseunfähigkeit einer Fernseh-versauten Zeitgenossenschaft entgegen macht sich allenthalben ein Buchhandel unter freiem Himmel breit. Am deutlichsten, so will es mir erscheinen, ist das Leben des Buches an dem Wochenend-Trödelmarkt Kupfergraben zu sehen: Bald jeder dritte Stand führt Bücher jeder Art. Dort kannst du was erleben! Ich fand zum Beispiel "Mätzchen Mohr" und "Auerbachs Kinderkalender" seliger Kindheit eingedenk, und griff zu. An anderer Stelle, vor der Humboldt-Universität zu Füßen von Wilhelm und Alexander von Humboldt, fand ich den im Buchhandel vergriffenen Band der Briefe von Siegfried Jacobsohn (Weltbühne) an seinen Freund und Autor Kurt Tucholsky. Ich besaß dieses Buch zwar schon, griff dennoch zu, um es einem Freund zu schenken.

Die Büchertische vorm und hinterm Staketenzaun der Uni geben diesem Abschnitt Unter den Linden ein schön-belebtes, ja, dem Ort höchst angemessenes Bild. Und was musste ich jetzt hören? Die Denkmalbehörde habe was dagegen, dass Bücherbuntheit das strenge Bild des Gebäudes störte. Und das an diesem Ort! Er liegt am alten Forum Fridericianum, das rechts von der Königlichen Bibliothek (heute zur Uni gehörend) und links von der Staatsoper gefasst ist. Auf diesem Platz fand die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten statt, an der Studenten beteiligt waren.

Es gibt für mich keinen schöneren Ort, mit Büchern unterm freien Himmel zu jeder Jahreszeit Handel zu treiben, als hier vor der Universität an belaufener Straße Unter den Linden. Rührt nicht daran!

Und in solchem Zusammenhang erinnere ich mich der wenigen, doch immerhin noch in den fünfziger Jahren im Stadtbild vereinzelt vertretenen Bücherkarren. Ich meine mich an einen in der Hardenbergstraße nahe dem Steinplatz in Charlottenburg zu erinnern, aber auch an einen in Wedding oder Reinickendorf - irgendwo an der Residenzstraße - an meinem Schulweg gelegen. Das waren vierrädrige Karren (siehe Bild), die aufgeklappt wurden, und in denen die Bücher wie in Regalen angeordnet wurden. Kürzlich kamen der Charlottenburger Antiquar Düwal und ich auf diese Karren zu sprechen. Und siehe: Er war jener, der als Student mit einer Karre vorm Steinplatz stand. Also lebt einer. Und einen anderen kenne ich auch noch, der einen Bücherkarren in Berlin hatte. Den Buchtrödler Eckenpenn will ich hier nennen: "Er lehnte an seinem Wagen, ein fliegender Handel, der seit Jahrzehnten an derselben Stelle hielt - zwischen einem Kanalräumerloch und einem ewig ausgesprungenen Stück Asphalt, drei Schritte links vor dem Eingang zu einer Kunsthandlung, zehn Schritte rechts von einem Torweg." Dieser Buchtrödler Eckenpenn hatte beschlossen, "den Geist als freien Beruf aufzugeben, das aktive Denken in die Reserve der Träume zu entlassen und von dem abgelegten Geist anderer zu leben." So fängt ein Roman an, der nur den Titel "Berlin" trägt. Paul Gurk (1880 - 1953) hat ihn in den zwanziger Jahren geschrieben. Buch und Autor sind zu Unrecht vergessen. Sein "Berlin" zählt zu meinen Bücherlieblingen. Gurk schuf viel, und kaum etwas aus der reichen Fülle kam je zum Druck: 30 Romane, 53 Novellen, 50 Bühnenstücke, schrieb Gedichte, Märchen, war ein vorzüglicher Maler. Und Zeit seines Lebens, das in Frankfurt / Oder begann, ein einsamer Mann. Er quittierte den kleinen Posten beim Magistrat, um zu schreiben. Er lebte in ärmlichen Verhältnissen, schrieb einiges auf blanke Rückseiten ausgedienter Formulare, schrieb um der nächtlichen Ruhe willen, die er im laut belebten Hinterhaus nicht fand, auf der Stadt- oder Ringbahn. Ein Kauz? Vorsicht mit solchen Begriffen auch für den Buchtrödler Eckenpenn! Von dessen Bücherkarre aus bekommen wir Berlin- und Menschenbilder, die wahrlich nicht kauzig-amüsant zu nennen sind. Ein keineswegs romantisches Dasein führt dieser Eckenpenn. Ein ärmliches ist es, ein vergrübeltes, aber in vielem hellsichtiges Leben. Und es endet auf seinen eigenen Beschluss.

Sein Bücherkarren und die Plane wurden von "ergilbenden Folianten in Goldexpreß" in oberster Reihe gehalten gegen Sturm und Regenstöße. Wenn er sich zu seinem Karren begab, so "zu der festen Berechtigung seines Seins in der großen Stadt, an der er aber zerbrach." Das Buch, 1980 bei Agora erschienen, ist vergriffen. Also auf zu den Büchertischen unter freiem Himmel, deren Auslagen durchzusehen sich allemal lohnt und womöglich den Buchtrödler Eckenpenn zu Tage fördert.

Ekkehard Schwerk

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