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Maultaschen oder Currywurst? Eine Geschmacksfrage.

© Tsp

Friedensessen in Berlin-Kreuzberg: Der Alb-Traum: Schwaben und Berliner versöhnen sich

Ein „Friedensessen“ aus Bio-Linsen sollte Berliner und Schwaben versöhnen. Jene, die kamen, waren aber ohnehin friedlich.

Möglicherweise war das Ereignis nicht bedeutend genug, um den Spätzlekrieg zwischen Berlin und Schwaben endgültig zu beenden. Und ein richtiges „Friedensessen“ setzt natürlich auch voraus, dass einflussreiche Persönlichkeiten beider Seiten anwesend sind, die anschließend verkünden, es sei nun ab sofort genug mit Hass und Gewalt. Wolfgang Thierse, dem man den Rang des obersten Schwabenhassers angedichtet hat, war zumindest eingeladen an diesem Donnerstag in den Kreuzberger Prinzessinnengarten – aber er hatte freundlich abgesagt.

Thierse immerhin steht zu seiner Kritik, die er einst in einem Zeitungsinterview geäußerte hatte: Manchem Zuwanderer von der Alb fehle es an Anpassungsvermögen. Doch da sind auch jene, die sich im Schutze der Dunkelheit über die Provinzler mit dem breiten Zungenschlag lustig machen, die beispielsweise eine Statue von Käthe Kollwitz in Prenzlauer Berg mit Spätzle beworfen haben und wohl lieber in der Anonymität des Kiezes verharren. Die Statue des schwäbischen Philosophen Hegel in Berlin-Mitte wurde mit Currywurst verschmiert. Schuldig zeigte die anonyme Gruppe „Schwaben ausbürgern“.

Auf Käthe Kollwitz flogen in Prenzlauer Berg Spätzle

Jene, die zum Essen kamen, wird man entweder als friedlich und aufgeschlossen oder als Journalisten bezeichnen müssen. Unterhalten wurden sie von Benny Haerlin, dem Öko-Aktivisten und ehemaligen taz-Redakteur, der jetzt für die „Zukunftsstiftung Landwirtschaft“ arbeitet, und von Woldemar Mammel, einem echten Schwaben, der das eigentliche Thema der Veranstaltung verkörperte: die Alblinse. Diese unscheinbare und der landläufigen Supermarkt-Linse durchaus ähnliche Hülsenfrucht unterscheidet sich von ihren Schwestern dadurch, dass sie eigentlich schon ausgestorben war, zumindest aber als verschollen galt und nur noch in den Erinnerungen alter Schwaben existierte. Sie ist schwer zu kultivieren, wächst richtig nur in der Gemeinschaft mit Getreide, das sie stützt, und muss umständlich getrocknet werden.

Ein deutscher Biobauer entdeckte sie 2006 in einer russischen Saatgutbank, brachte sie zurück in ihre Heimatregion, 2010 wurde die erste nennenswerte Ernte eingebracht, organisiert von der eigens gegründeten Öko-Erzeugergemeinschaft „Alb-Leisa“. Und auf verschlungenen Wegen schaffte es die an sich komplett unpolitische Pflanze dann auch nach Berlin, und zwar, indem sie von der Zukunftsstiftung auf deren „Weltacker“ an der Havel in Kladow angebaut wurde. Das geht nur mit Sondererlaubnis der Erzeuger, die durchsetzen wollen, dass die Alblinse ausschließlich in ihrer Region angebaut wird.

Das Versöhnungsessen kam aus Spandau - ist das noch Berlin?

Von Kladow bis zum sanft anarchischen Kreuzberger Prinzessinnengarten war es für die neue alte Linse nur noch ein Katzensprung, kein Wunder, dass dort nun auch das rasch zum „Friedensessen“ deklarierte Treffen stattfinden musste. Dem schwäbischen Hintergrund angemessen wurde sie zusammen mit Spätzle aufgetischt.

Was wird bleiben? Nehmen wir mal an, dass die Aktion unter den gegnerischen Parteien zumindest Verständnis für die Unterschiede zwischen den Volksstämmen weckt, die in Berlin unvorbereitet aufeinander treffen. Wenn also Käthe Kollwitz demnächst mit Linsen beworfen wird, dann wäre das zumindest ein Schritt auf dem richtigen Weg.

Berlin-Prenzlauer Berg: Die Fassaden sind repariert, die letzten Lücken werden bebaut. Das Bild vom alten Prenzlauer Berg verblasst. Und trotzdem ist da ein Lebensgefühl, das sich einfach nicht wegsanieren lässt. Lesen Sie mehr in unserer großen Tagesspiegel-Reportage von Björn Seeling.

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