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Am 10. Januar 2011 ist für alle Wohnungen ein Räumungsbescheid ausgestellt worden.

© Tsp

Friedrichshain: Der Kiez macht dicht

Manche bekunden Sympathie für die Hausbesetzer, andere halten sich zurück. Aus Sorge vor Krawallen schließen drei Kitas und einige Läden.

Auf dem Bürgersteig vor dem orangefarbenen Haus Liebigstraße 14 stehen alte Sofas, Sessel und Stühle kreuz und quer übereinander. Schwarz gekleidete junge Menschen tragen Gegenstände aus dem mit bunten Antifa-Plakaten und Wimpeln behängten Gebäude und werfen sie auf den größer werdenden Möbelhaufen. Oft mit Wucht, so dass es kracht und scheppert. Frust liegt in der Luft. „Wir sind eben sehr sauer“, fasst eine Bewohnerin des 1990 besetzten und 1992 legalisierten Hauses die Stimmung zusammen. Morgen ab acht Uhr soll das alternative Wohnprojekt nach langen gerichtlichen Auseinandersetzungen geräumt werden. Auf der anderen Straßenseite bleiben Menschen stehen und beobachten die Ausräumaktion.

Eine Mutter, die mit ihrem Kind auf dem Weg zum nahegelegenen Kinderladen „Rock’n’Roll-Zwerge“ in der Rigaer Straße ist, schaut kurz zum Haus hinauf, wo zwei Männer sich gerade abseilen, um ein neues Protestplakat anzubringen. „Ich finde es schade, dass die Leute hier wegziehen. Sie waren immer freundlich“, sagt die 33-jährige Lehrerin. Dass die Kita ihrer dreijährigen Tochter wegen der Räumung bis Donnerstag geschlossen sein wird, findet sie in Ordnung. „Die Kinder sollen möglichen gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht ausgesetzt sein“, sagt sie. Vor den großen Fenstern der „Rock’n’Roll-Zwerge“ befindet sich ein Loch im Bürgersteig, hier haben Randalierer am Samstagabend Pflastersteine herausgerissen, Autos demoliert und die Fensterscheiben von leerstehenden Gewerberäumen eingeworfen. An der gleichen Stelle, an der ein „Liebig 14“-Bewohner im vergangenen Sommer die Rollos der Kita in einer Auftragsarbeit bunt und kinderfreundlich angemalt hatte.

Auch die beiden anderen Kindertagesstätten in der Nachbarschaft werden am Tag der Räumung geschlossen bleiben. Eltern der Einrichtung „Tausendfüßchen“ können in eine andere Awo-Kita in der Kleinen Markusstraße ausweichen. Und auch der Kindergarten der Galiläakirche in der Rigaer Straße wird am Mittwoch „unfreiwillig schließen“, wie es dort heißt. Im Hinterhof gelegen, wäre er gewalttätigen Autonomen, die versuchen könnten, sich einen Weg durch die Hinterhöfe zu bahnen, wie in einem Kessel nahezu schutzlos ausgeliefert.

Auch das Jugendwiderstandsmuseum, das als Dauerausstellung in der benachbarten Galiläakirche beheimatet ist, wird nicht öffnen. „Nur zur Sicherheit, damit hier etwaige gewaltbereite Trittbrettfahrer nichts beschädigen“, sagt der Leiter der Museumswerkstatt Bernhard Freutel, der schon weit über 20 Jahre im Kiez wohnt. Die „Liebig 14“ hat seine Sympathie, weil „die jungen Leute gegen den Zug der Gentrifizierung kämpfen, der einst in Prenzlauer Berg losging und irgendwann die gesamte Innenstadt erreicht haben wird”, so Freutel. Und er spreche damit sicher für viele Anwohner. Tatsächlich fallen beim Weg durch die Liebig- und die Rigaer Straße an mehreren Balkonen und Hauswänden Plakate ins Auge, die sich mit dem Wohnprojekt solidarisch erklären – trotz der frischen Farbbeutel-Flecke und der Glasscherben auf dem Boden, den Überbleibseln der gewaltsamen Ausschreitungen von Samstag, bei denen rund 40 Polizisten verletzt und mehrere Privatautos demoliert wurden.

Doch in Wirklichkeit denken nicht alle so. Anwohner, die aus Angst vor Racheaktionen anonym bleiben möchten, beklagen sich über zahlreiche nächtliche Straßenpartys vor dem Haus im Sommer, über Lärmbelästigung und brennende Mülltonnen. „Ich bin bestimmt nicht traurig, wenn das Haus geräumt wird und hier endlich ein bisschen Ruhe einkehrt“, sagt ein Mann aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Murat Erdogan, der Inhaber der von der „Liebig 14“ nur wenige Schritte entfernten „Bäckerei 2000“, ist hingegen anderer Meinung: „Die Hausbewohner waren stets nett und offen“, sagt der 46-Jährige. Daher sei die Bäckerei auch am Morgen der Räumung ganz normal geöffnet. „Ich denke nicht, dass wir Angst haben müssen“, ergänzt die 38-jährige Verkäuferin Sengün Obst. Das sehen die Angestellten im Imbiss „Casablanca“ und der Bar „Paparazzi 3“ ähnlich: „Bei der letzten Demo hatten wir nur Besuch von Räumungsgegnern, weil die auf die Toilette mussten“, sagt die 32-jährige Sasa. Nur der Betreiber der Pizzeria Castello einige Häuser weiter weiß noch nicht, ob er regulär öffnen oder nur Lieferservice anbieten soll. Er betrachtet die Angelegenheit ganz nüchtern: „Für uns bedeutet so ein Tag mit Straßensperrungen und Blockaden vor allem ein Verlustgeschäft.“

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