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Friedrichshain: Halt im Hotel Nachtcafé

An der Samariterstraße finden Menschen ohne Heimat ein Zuhause auf Zeit. Ehrenamtliche Helfer und Studenten machen das möglich – sie brauchen Spenden.

Auch bei minus 30 Grad könne man eine Nacht im Freien überleben, sagt Florian. „Drei Schlafsäcke braucht man dafür, einen als Unterlage“, sagt der 59-Jährige. Florian hat das schon ausprobiert, er ist seit sechs Jahren obdachlos.

Florian ist ein sehr großer Mann, er sieht aus, als könne er einiges aushalten. Doch auch er setzt sich in den Wintermonaten nicht mehr solch einer lebensgefährlichen Situation aus, sondern nutzt gern das Angebot von „Obdach e. V.“: Im Gemeindesaal der Evangelischen Samariter-Kirchengemeinde in Friedrichshain veranstalten Ehrenamtliche jeden Donnerstag ab 18 Uhr das „Nachtcafé“. Im Hinterhof der Samariterstraße 27 wird gemeinsam ein warmes Essen gekocht, wer will, kann duschen, anschließend wird im Speisesaal ein großes Nachtlager mit Isomatten und Decken errichtet. Weil der Bedarf so groß ist, dehnen die Leute vom Ehrenamtlichenverein, der einst von Studenten gegründet wurde, das Angebot auch auf den Sommer aus – dafür brauchen sie dringend Spenden.

Jetzt ist es voll, auch bei der Weihnachtsfeier, und Essen ist auch dank Spenden zu diesem Anlass reichlich vorhanden: Salate, Gulasch, Rosenkohlgemüse, Knödel, Blaukraut und zum Nachtisch Apfelstrudel mit Vanilleeis. Vor Florian türmt sich ein Berg geschälten Rosenkohls – wie er helfen manche Besucher beim Schnibbeln. Dafür liegen Einweghandschuhe bereit.

Florian heißt nicht wirklich so, „aber den Namen, der in meinem Pass steht, den kennt hier niemand“, sagt er. Fotografiert werden möchte er nicht, er fürchtet, dass Ladenbesitzer ihn rauswerfen, wenn sie ihn erkennen, beim Bäcker zum Beispiel. „Vor 15 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich einmal auf der Straße lebe“, sagt Florian. Früher hat er Instrumente restauriert und war Musiklehrer, vor allem für Klarinette. Jetzt ist das Wichtigste, was er hat, sein Fahrrad. Wirklich gerne kommt er nicht ins Nachtcafé, es führt ihm seine Situation vor Augen, und manchmal sei die Stimmung schon aufgeladen, bei den vielen unterschiedlichen Menschen in Notlagen. Aber dankbar ist er schon. Auch heute übernachtet er hier, im „Schnarchsaal“, wie er es nennt.

Nicht alle Gäste, wie die ehrenamtlichen Mitarbeiter die Besucher nennen, sind obdachlos. Alle eint jedoch, dass sie kein oder nur wenig Geld zum Leben haben. So wie Hans. Er kommt ins Nachtcafé, um Gesellschaft zu haben und weil hier selbst gekocht wird – „da sieht man noch, was da gemacht wird“, sagt er.

Das Nachtcafé wurde 1994 von Studenten vom Fach gegründet, seit 1996 gibt es im Gemeindesaal dafür Platz. André Löwenkamp fing während seines Soziologie-Studiums als Helfer an, inzwischen arbeitet er seit sieben Jahren ehrenamtlich im Nachtcafé. „Ich sage ‚Hotel Nachtcafé‘ dazu, weil wir den Gästen morgens ein Frühstück mit Kaffee, Schrippen und Eiern mit Speck machen“. Für die Nachtschicht werden mindestens drei Mitarbeiter benötigt, sonst muss das Nachtcafé ausfallen.

Rund 30 Leute schlafen jedes Mal dort, zum Essen erscheinen etwa doppelt so viele. Wer kommt, hat Regeln zu befolgen: kein Alkohol, keine Drogen, keine Waffen, keine Schlägerei. Wer dagegen verstößt, wird rausgeworfen. Hin und wieder müsse auch die Polizei gerufen werden, sagt Löwenkamp.

Die Kosten des Nachtcafés werden über den Winter zum Großteil über die Kältehilfe des Bezirksamts gedeckt. Das Nachtcafé ist jedoch eine der wenigen Einrichtungen für Obdachlose, die auch in den warmen Monaten von April bis Oktober geöffnet haben. Dafür ist es auf Spenden angewiesen – für Lebensmittel, Putzzubehör, Schlafutensilien und Büromaterial.

Deshalb hofft der Verein, dass Spenden der Tagesspiegel-Leser es ermöglichen, dass 2012 wie in den vergangenen Jahren bereits zweimal auch nach den Wintermonaten geöffnet werden kann. Besonders im Herbst sei das wichtig, „in den vergangenen zwei Jahren war es schon im Oktober sehr kalt, aber die anderen Einrichtungen hatten noch nicht geöffnet“, sagt André Löwenkamp.

Auch Florian kommt im Sommer hierher. „Es gibt dir eine gewisse Struktur und zumindest die Illusion von Heimat“, sagt er und legt den Rosenkohl in die Schüssel.

Spenden an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto 250 030 942. Namen und Anschrift für den Beleg notieren.

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