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Berlin: Friedrichshain-Kreuzberg: Beiderseits der Spree sind die Nächte lang

Noch wenige Monate bis zu einer Hochzeit, die kaum einer wollte: Friedrichshain und Kreuzberg sollen fusionieren. Doch auch wenn Politiker gerne Unterschiede hervorheben - eines haben die Partner gemein: Die Bar- und Cafészene ist quietschbunt.

Noch wenige Monate bis zu einer Hochzeit, die kaum einer wollte: Friedrichshain und Kreuzberg sollen fusionieren. Doch auch wenn Politiker gerne Unterschiede hervorheben - eines haben die Partner gemein: Die Bar- und Cafészene ist quietschbunt. Der Tagesspiegel hat einen Streifzug durch die Nacht beiderseits der Spree unternommen.

Die Nacht hat sich über den Urbanhafen gelegt, einige Pärchen liegen mit Bierflaschen in der Hand im Ufergras. Wenn sich in lauen Sommernächten der Mond im Wasser des Landwehrkanals spiegelt, dann erwacht Kreuzbergs maritime Kultur. Auf den unweit ankernden Restaurant-Schiffen balancieren die Kellner Tabletts aus der Kombüse zu den voll besetzten Tischen. Das Zentrum der Kreuzberger Nachtschwärmer zur See liegt jedoch fünf Minuten Fußweg weiter, dort, wo der Kanal den Kottbusser Damm kreuzt.

Während direkt unter der Kneipe ein Ausflugsdampfer in der Dunkelheit ankert, herrscht oben buntes Treiben. In blau leuchtenden Neonbuchstaben steht "Ankerklause" über dem Eingang. Wer hier im Bier ertrinkt, ist nicht ganz verloren: An der Wand hängt ein zerknautschter Rettungsring. Auf blau gestrichenem Untergrund blubbern goldene Fische Luftblasen. Die Getränke müssen bei den Frauen am Tresen abgeholt werden. "Hier kann man sich drei Stunden an einem Bier festhalten, und man muss keine Kellnerinnen einfangen", sagt Kneipengast Lars zufrieden.

Im "Kafka" an der Oranienstraße dagegen herrschen andere Sitten. Die weiß beschürzte Bedienung bringt die Karte und höfliches Lächeln: Französische Flugentenbrust, rosa gebraten auf Calvadossauce. Dazu passend ein Roero Arneis mit "femininem Charakter, erinnert an exotische Früchte". Noch vor einigen Jahren hätten die Hausbesetzer auf den exklusiven Weingenuss vielleicht mit Farbbeuteln geantwortet, jetzt sind es vor allem Touristen, die im Sommergarten unter den Kastanien Platz nehmen.

Auf der Skalitzer Straße sind bereits Radfahrer Richtung Friedrichshain unterwegs. Doch am hell erleuchteten "Hühnerhaus", in dem Nachtschwärmer in gegrillte Schenkel beißen, lohnt sich das Abbiegen. Die Kneipenname "Konrad Tönz (Bar)" ist eine Hommage an den gleichnamigen, mittlerweile pensionierten "Aktenzeichen XY"-Fahnder ("Bisher ist der Abend hier in Zürich recht ruhig verlaufen"). Entsprechend weist ein Zettel auf dem Tisch darauf hin, dass man sich im "Kanton Kreuzberg" befinde. "Teilweise hätte ich das Mobiliar hier schon gerne zu Hause." Katrin lässt den Blick über das gut konservierte Sofa aus Papas und Mamas Erstausstattung, den braunen Kunstfaserteppich und die orangefarbenen Hartschalenstühle gleiten. "Aber billig ist so was mittlerweile nicht mehr", sagt sie fachmännisch. Auch Armin, dem Besuch aus München mit den an eine Perücke erinnernden schwarz gefärbten Haaren, gefällt es. Gleich, sagen sie, wollen sie weiterziehen - nach Friedrichshain.

Der Kneipen-Trampelpfad führt über die Oberbaumbrücke. In der Rigaer Straße, gegenüber von einem ehemals besetzten Haus, von dessen Balkonen Transparente hängen, liegt das "Ex". Mit dem gleichnamigen legendären Kreuzberger linken Szenetreffpunkt allerdings ist es weder verwandt noch verschwägert - hier fließen die Cocktails ohne "Solizuschlag" bis zu später Stunde ins Glas. Über dem Tresen hängen stählerne Fischskelette mit Ehrfurcht einflößenden Stahlzähnen. An einem der Tische sitzt Christina mit zwei Freundinnen. "Ich wohne gleich um die Ecke", sagt sie. Erdbeer-Margarita und Cuba Libre, der auf eigens mit dem Logo der Bar bedruckten Servietten gereicht wird, haben sie bereits hinter sich. Auch im nahe gelegenen "Fischladen", einer Volksküche ehemaliger Hausbesetzer, war Christina gelegentlich Gast. "Aber der wird zurzeit renoviert."

Ein Cocktail später: Letzte Station, Simon-Dach-Straße. In der "Astro-Bar" quäkt "Reggae-Reggae" durch die feuchtheiße Luft. Hier kann man mit einer Flipperkugel Angreifer vom Mars bekämpfen, im Hinterzimmer flimmern auf schwarz-weiß-Fernsehern allerlei Außerirdische der Commodore-64-Dynastie. Dass der Laden mittlerweile in Touristenführern steht, stört Vernon nicht - "auch wenn ich in den letzten drei Wochen hier vor allem Englisch geredet habe."

Es ist spät geworden. Doch zu Ende ist die Nacht noch lange nicht - die Mono-Singles auf dem Plattenteller werden noch ein paar Stündchen weiterrotieren. Friedrichshain-Kreuzberger Nächte sind lang.

Johannes Metzler

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