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Friedrichshain: Planungen für ein neues Stück Berlin

An der Boxhagener Straße in Friedrichshain soll ein Block mit 550 Wohnungen entstehen - ein Riesenprojekt mit einer neuen Form der Bürgerbeteiligung

Ein Zwölftonner donnert über die Boxhagener Straße und steuert so schwungvoll über den Bürgersteig auf das Grundstück, dass eine Passantin zusammenzuckt. Hinter dem Zaun, der die früheren Produktionsflächen des Automobilzulieferers Freudenberg von dem gründerzeitlichem Quartier abgrenzt, sind die Reste der zerschlagenen Betonplatten zu Hügeln aufgetürmt, bereit zum Abtransport. Der Boden wird geebnet für die Entwicklung eines rund 26 000 Quadratmeter großen Stückes Friedrichshain. Ein Areal, das nicht weit von den hart umkämpften Gebieten Media-Spree und Liebigstraße liegt. Und deshalb will der Bezirk mit seiner Planung hier ganz neue Wege gehen.

Rolf Tramp hat so manches im Kiez erlebt. Er war einer der „Betroffenenvertreter“ des Sanierungsgebietes Traveplatz/Ostkreuz, die mit Anwohnern, Eigentümern und Bezirksmitarbeitern über den Umfang von Modernisierungen und darauf folgende Mieterhöhungen verhandelten. Vor 20 Jahren begann die Aufhübschung des Arbeiterviertels. Inzwischen wird vor allem neu gebaut. „Oft sind wir dann überrascht, dass schon wieder Kräne in einer anderen Baulücke stehen“ – ohne dass irgendjemand wüsste, was dort entsteht. Deshalb gründeten Tramp und andere den Bürger-Verein Traveplatz/Ostkreuz. Deren Mitglieder haben die Pläne für das Freudenberg-Areal frühzeitig diskutiert. Mit dem Investor, dem Architekten, dem Bezirksbürgermeister. Und mit anderen Anwohnern. „So gesehen, ist das hier schon ein Fortschritt.“

Ein Fortschritt, den Bürgermeister Franz Schulz am Mittwoch bei einer Pressekonferenz als Durchbruch für eine neue Form der Bürgerbeteiligung feiern will. Bis zu 550 Wohnungen könnten an der Boxhagener Straße entstehen, ein Stadtplatz zwischen Häuserzeilen mit Vorgärten, die von einer verkehrsberuhigten Straße durchzogen sind. Bauland für eine Kita überlässt der Investor dem Bezirk kostenlos. Und hier sollen nicht nur zahlungskräftige Berliner kaufen oder mieten. Ein Teil des Wohnraums soll für Haushalte mit geringem Einkommen reserviert sein. Sozialwohnungen ohne Förderungen gleichsam. Das gab es in Berlin noch nicht. „Dafür musste ich den Investor ein Jahr lang bearbeiten“, sagt Schulz.

Der Investor ist die Berliner Bauwert. Die Firma besteht seit Jahrzehnten, errichtet seit der Wende Gewerbeimmobilien und nun Wohnungen, weil der Markt es eben so will. „Wir bauen immer in funktionierenden Kiezen“, sagt Bauwert- Chef Jürgen Leibfried, der in der Gierckezeile in Charlottenburg oder in der Vorbergstraße in Schöneberg baut. Auch die luxuriösen Kronprinzengärten in Mitte, sind ein Bauwert-Projekt. Die Helenenhöfe mit ihren schönen Innenhöfen nennt Leibfried als Vorbild für das Friedrichshainer Projekt. Auch er lobt das „kooperative Vorgehen“ im Bezirk – auch wenn er sagt: „Das, was Schulz hier rausgeholt hat, ist nicht normal.“

Die Notwendigkeit bringt sie zusammen.

Die Notwendigkeit, – oder besser: die Not? – bringt sie zusammen: Bezirk und Investor, weil der eine Baurecht will und der andere bezahlbare Wohnungen, und beide mit den Anwohnern, die unter der Wohnungsnot leiden. Friedrichshain- Kreuzberg ist nach Pankow der am stärksten wachsende Bezirk. Im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz hat sich die Bevölkerung seit 1995 verdreifacht.

„Die bauen jede Lücke zu, trotzdem gibt es keine bezahlbaren Wohnungen für normal Verdienende“, sagt Doreen Schulz. Die junge Mutter ist auf dem Weg ins Kindercafé, die dreijährige Tochter Lilly auf dem Laufrad vorneweg. „Wer einen WBS-Schein hat oder eine Eigentumswohnung bezahlen kann, der findet hier was“, sagt Doreen Schulz. Sie und ihr Mann dagegen, die beide berufstätig sind und das berlinüblich niedrige Einkommen beziehen, seien „gekniffen“.

Bürgermeister Schulz, der sozial bewegte Grüne, weiß das auch: „Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist das Ergebnis von zehn verlorenen Jahren“, sagt er mit Blick auf die SPD-geführte Senatsbauverwaltung. Diese habe die Realität des Wohnungsmarktes „verleugnet“. Andererseits erfüllt auch Schulz nicht alle Erwartungen. Größere Wohnungen für Familien mit mittleren Einkommen fehlen in Friedrichshain. In fast allen Baulücken entstehen Eigentumswohnungen, auch in den nahe gelegenen Gebieten Revaler Spitze, Rummelsburger Bucht oder Alter Schlachthof. „Eigentlich sind wir mal dran“, sagt ein Anwohner mit drei Kindern, der bis zu zehn Euro warm pro Quadratmeter für eine Mietwohnung bezahlen würde – aber nichts findet.

„Wenn es was Schickes und Nobles ist, wird es attackiert“, warnt ein Mitarbeiter des Copyshops an der Boxhagener Straße mit Blick auf das gegenüberliegende Baufeld. Der Farb- und Teer-Angriff auf das Almodovar-Hotel in der Holteistraße ist noch nicht vergessen. Und beim Gedenkmarsch für den ermordeten Hausbesetzer Silvio Meier unkten sogar Polizisten, dass auch dieses Gebiet bald zur Zielscheibe linksradikaler Aktionisten werden könnte. Das Quartier sei eben „stark alternativ besetzt“, sagt Vereinsvertreter Tramp. Früher habe es hier Lücken und Freiräume gegeben, wo mal ein Zirkuszelt aufgestellt wurde oder sich Initiativen entfalten konnten. „Je enger es wurde, desto härter wurden auch die Auseinandersetzungen“, sagt Tramp. „Instabil“ nennt Bezirksbürgermeister Schulz die Lage in der Rigaer Straße sogar, wo früher viele Häuser besetzt waren und heute noch an manchen Wochenenden Lagerfeuer entzündet werden, mitten auf Kreuzungen.

Wo Feindbilder regieren, kann die Kommunikation nur scheitern.

Dass solche Aktionen im Bezirk oder in den Initiativen auf stillschweigendes Wohlwollen treffen könnten, weisen Tramp und Schulz zurück: „Das ist keine adäquate Form der Auseinandersetzung“, sagt der Anwohner. Und Schulz meint, dass für diese Aktivisten „Staat und Investoren als Feindbild“ herhalten müssten, so dass man mit ihnen auch nicht zusammenkommen könne zu neuartiger Bürgerbeteiligung.

Im Nieselregen schiebt eine junge Mutter einen Kinderwagen. Acht Monate ist das Baby jung. Kurz vor der Geburt ist sie noch einmal umgezogen. „Wir wollten im Bezirk bleiben“, sagt sie. Und dass sie Glück hatte. Mehr Grün wäre schön, sagt sie, bis zum Treptower Park sind es 20 Minuten. Aber weil sie weiß, „wie schwer die Wohnungssuche im Kiez ist“, ist sie nicht gegen Neubauten. Auch beim Travekiez-Verein heißt es: „Wir sind gegen dichte Bebauung, aber wenn günstige Wohnungen entstehen, können wir uns schlecht dagegen verwehren.“

Am 12. Dezember soll das Projekt im Planungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung zur Diskussion gestellt werden. Mit dabei wird auch Carsten Joost sein. Der Architekt wurde durch sein Engagement in der Media-Spree bekannt. Heute ist er Bürgerdeputierter für die Piraten. Im Auftrag des Travekiez-Vereins hat er Pläne für eine lockere Bebauung entwickelt. „Das Bezirksamt wollte aber nicht über alternative Ansätze reden“, sagt Joost. Die Planung des Bezirks biete „zu wenig öffentlichen Raum und zu viel Baumasse“. Wenn dagegen die Bebauung des Freudenberg-Areals um nur zehn Prozent verringert würde, sei es möglich, einen „Platz mit Zentrumsqualitäten“ zu schaffen. Nun wollen die Piraten in der BVV ein „Werkstattverfahren“ beantragen. Ähnlich wie beim Mauerpark würden dann alle Beteiligten noch einmal über das Gebiet diskutieren.

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