zum Hauptinhalt

Berlin: Frithjof Kubsch: Geb. 1936

Ein kurzes Blitzen in den Augen. Mehr ließ Frithjof Kubsch nicht erkennen, wenn Ankläger und Rechtsanwälte in seinem Gerichtssaal hitzig aufeinander losgingen.

Ein kurzes Blitzen in den Augen. Mehr ließ Frithjof Kubsch nicht erkennen, wenn Ankläger und Rechtsanwälte in seinem Gerichtssaal hitzig aufeinander losgingen. Wenn als Gutachter getarnte Provokateure Tumulte auslösten. Wenn ein Angeklagter Lüge an Lüge reihte. Kubsch blieb besonnen, er fragte nach, insistierte. "Das ist ein kaum aufzulösender Widerspruch", sagte er zuweilen. Für Kubsch schon fast ein Gefühlsausbruch.

Seine Kollegen sagen Kubsch nach, einer "von der ganz alten Schule" gewesen zu sein: pflichtbewusst, bescheiden, freundlich, verschwiegen. "Er hatte ein Ansehen wie kaum ein Zweiter", heißt es im Kammergericht.

Sicher, den Toten sagt selten jemand etwas Schlechtes nach, nur: Der Vorsitzende des 1. Strafsenats am Berliner Kammergericht wurde von Beobachtern und Juristen auch schon zu Lebzeiten in seltener Einmütigkeit gerühmt.

Es war für den so unauffällig und freundlich aussehenden Richter eine lästige Begleiterscheinung, dass er mit seinem wohl berühmtesten Verfahren, dem Mykonos-Prozess, ins Rampenlicht der Öffentlichkeit rückte. "Ungemein präzise, ausführlich, prophylaktisch Revisionsgründe aus dem Weg räumend, führt er den Prozess... ", schrieb der Tagesspiegel 1994 über Kubsch. Drei Jahre später: "Ein ungewöhnlich souveräner wie fähiger Richter". Das Urteil seines Senats erklärte das iranische Regime für den blutigen Anschlag in dem Wilmersdorfer Restaurant verantwortlich und schrieb damit Rechtsgeschichte: Es war das erste Mal, dass ein deutsches Gericht einem anderen Staat die Hauptschuld für ein Kapitalverbrechen zuwies.

Damals musste Kubsch darauf verzichten, weiterhin mit dem Bus ins Gericht zu fahren. Der Staatsschutz hatte die Regie übernommen. Eine Polizei-Limousine eskortierte den Richter zum Prozess. Auch das Haus seiner Familie wurde - nicht zum ersten Mal - von bewaffneten Männern beschützt. Manche hielten Kubsch für leichtsinnig, andere für stur, als er sich weigerte, seine Privatadresse aus dem Telefonbuch löschen zu lassen, der dunklen Drohung aus Teheran zum Trotz. "Wer uns finden will, der findet uns ohnehin", erklärte er und fragte: Weshalb es also Freunden und Bekannten schwerer machen als nötig?

Seine Familie akzeptierte die Entscheidung. "Auch zu Hause war er eine ausgesprochene Autorität", sagt Ingeborg Kubsch. Sie hatte ihren Mann 1958 in Berlin kennen gelernt. Kubschs Liebe für seinen Beruf lehrten Frau und Kinder zwangsläufig, sich in Verzicht zu üben. Als er beispielsweise zwei Jahre komplett auf den Urlaub verzichtete und sich dann in den folgenden Jahren jeweils gerade mal zwei Wochen gönnte. Oder wenn er oft bis in die Nachtstunden oder am Wochenende arbeitete. Den Dreien vor dem Arbeitszimmer blieb dann zumindest ein Trost: "Wenn er den Aktendeckel zugemacht hat, war er hundertprozentig Familienmensch, der auch die Arbeit vergessen konnte."

Kubsch ging nicht gerne in Restaurants, er mied Empfänge und Stehpartys. Wenn er im Winter mit seiner Frau von einem Ball zum anderen zog, dann wollte er keine Kontakte pflegen, sondern tanzen. Grundsätzlich trennte der Jurist das Berufliche streng vom Privaten. Seine Freunde empfing der Mann mit dem trockenen Humor am liebsten zu Hause. In den geselligen Runden hatte man sich daran gewöhnt, dass Kubsch auch richtig laut werden konnte: Wenn er lachte.

In die Schlagzeilen geriet der Richter schon einmal Anfang der 90er Jahre. Als der 1. Strafsenat des Kammergerichts dem Bundesverfassungsgericht den Prozess gegen den letzten Chef der Hauptverwaltung des DDR-Staatssicherheitsdienstes, Werner Grossmann, vorlegte. Die Berliner Richter hielten die Strafverfolgung des DDR-Spionagedienstes für verfassungswidrig. Sie sei "Ungleichbehandlung" gegenüber den Agenten aus dem Westen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Kubsch-Senat vier Jahre später Recht gegeben.

Kubschs Vater arbeitete als Abteilungspräsident beim Bundesversicherungsamt, der Sohn studierte Rechtswissenschaft in Bonn und Berlin. Seine Frau Ingeborg führte das Pharmaziestudium nach dem ersten Examen nicht weiter und stellte sich fortan indirekt in den Dienst der Justiz. Sie hielt ihrem Mann, wie man so schön sagt, den Rücken frei, "damit er seine Arbeit machen konnte". Es war nicht geplant, doch die beiden Kinder führten fort, was die Eltern begonnen hatten: Anne-Marie, 34 Jahre alt, führt heute eine Apotheke in der Nähe von Köln. Martin, 31, arbeitet in Berlin als Anwalt.

Kubsch, seit 1965 in den Diensten der Berliner Justiz, hatte früh erste Erfahrungen mit politisch motivierten Straftaten gesammelt. Er leitete fünf Jahre die Staatsschutzkammer des Landgerichts, führte in mehreren RAF-Verfahren den Vorsitz - und kam damals das erste Mal in den "Genuss" des Personenschutzes. Sicher, sagt die Witwe, habe die Familie in diesen Zeiten immer unter einem gewissen Druck gestanden, "aber wir haben nie in Angst gelebt". Man verhielt sich umsichtig, abschotten kam jedoch für sie nicht in Frage. 1991 avancierte Kubsch zum Vorsitzenden des Ersten Senats am Kammergericht. Nebenbei arbeitete er viele Jahre im Vorstand des Richterbunds.

Die Kollegen sagen, Kubsch sei im menschlichen Umgang sagenhaft freundlich gewesen. Nur für sich selbst forderte der 64-Jährige nie Mitgefühl ein. Auch nicht, als die Ärzte vor dreieinhalb Jahren bei ihm einen Tumor entdeckten. Es war Krebs, es gab keine Heilungschancen. Seine Frau hätte sich gewünscht, jetzt mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Aber ihr Mann wollte weiterhin "so normal wie möglich leben", und das hieß für ihn: arbeiten. Als die Chemotherapie einsetzte, ging der Richter zuweilen mit der Infusionsflasche in der Hosentasche in den Dienst.

Als Frithjof Kubsch während des Mykonos-Prozesses zu einem der prominentesten Richter des Landes avancierte, gab es viele Journalisten, die sich für diesen furchtlosen Juristen interessierten. Dutzende baten damals um Termine für ein Porträt - vergeblich. Ob Fernsehen, Radio oder Zeitung, der Vorsitzende lehnte alle Anfragen ab. "Ich mache hier nur meine Arbeit", ließ er knapp ausrichten. Frithjof Kubsch, ein überzeugter Christ, ist am 20. Oktober gestorben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false