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Berlin: Fritz Feyerherm (Geb. 1935)

In Deutschland wird kaum Rugby gespielt. Er wollte das ändern.

Der Ball ist nicht rund. Der Ball ist ein Ei. Auf einem etwa 60 mal 100 Meter großen Rasenplatz werfen, tragen und treten zwei Mannschaften diesen Ball, der oval ist, weil er einst aus Schweinsblasen genäht wurde, umklammern sich, fallen zu Boden, geben alles hinter eine Linie zu laufen, den Ball dort abzulegen. Die Trikots, kurzen Hosen, Stutzen und Stollenschuhe der Spieler sind grasfleckig oder schlammbespritzt, je nach Witterung.

Ein uneingeweihter Zuschauer versteht nichts, schüttelt den Kopf über dieses anscheinend regelarme, brutale Spiel. Auch wenn man ihm diesen Satz, den jeder Rugby-Spieler kennt, sagen würde: Fußball ist ein Sport für Gentlemen, ausgeführt von Barbaren, Rugby ist ein Sport für Barbaren, ausgeführt von Gentlemen.

Sähe der Zuschauer genauer hin, entginge ihm nicht, dass nur der Ballträger angegriffen werden darf, dass Schlagen und Beinstellen verboten sind, dass die Spieler nach einer gelungenen Aktion nicht ihre Hemden nach oben reißen, sich stürmisch umarmen und grölen, sondern einander schlicht die Hand geben, sich vielleicht gegenseitig auf die Schultern klopfen.

Auf der ganzen Welt wird Rugby gespielt, vor allem im britischen Commonwealth, in den Nationen der südlichen Hemisphäre, aber auch in Italien und Frankreich, ähnlich fußballverrückten Ländern wie Deutschland. Doch in Deutschland klappt es nicht. Hier fehlen Geld, Nachwuchs und Zuschauer.

Fritz Feyerherm wollte das ändern.

Schon 1948, als 13-Jähriger, schließt er sich nach einem Gastspiel der Oxford Greyhounds einer Jugendmannschaft an, wird Nationalspieler, Präsident des Berliner Rugby-Clubs, Ehrenmitglied des Deutschen Rugby-Verbandes. Er ist bei jedem Training, jedem Spiel, im Land und außerhalb, dabei, fährt mit der Mannschaft im Herbst nach England, zu Ostern nach Frankreich. Während einer Tagung gehen die anderen am Abend in eine Jugendherberge, Fritz Feyerherm lässt sich den Schlüssel der Vereinsräume geben, schläft auf einer Isomatte in der Kabine. Er fordert viel von seinen Spielern, doch nie mehr, als er selbst leisten könnte. Gibt einer nicht alles, rennt lahm über den Platz, sagt er es unumwunden und deutlich, nennt Faule „Friseur“, eckt bisweilen an mit seiner geradlinigen, beharrlichen Art. Nicht jeder kommt damit zurecht.

Latein und Altgriechisch – und Rugby. Fritz Feyerherms Leben, bestehend aus zweien, verknüpft miteinander, das eine Leben schöpft aus dem anderen. Er unterrichtet am humanistischen Arndt-Gymnasium, ist wie als Trainer konsequent, aber gerecht. Lädt miserable Lateinschüler zum Rugby ein, bestärkt sie immer wieder, wenn sie müde und lustlos sind. Aus miserablen Lateinschülern werden gute Rugby-Schüler und dann auch Schüler mit besseren Lateinnoten.

Er unternimmt Skifahrten mit den achten Klassen. Die Schüler, mit denen er in einem Lift sitzt, schauen erwartungsvoll den Gletscher hinauf, da holt Herr Feyerherm ein Büchlein hervor und sagt: „Übersetzen sie mir bitte mens sana in corpore sano.“ Dann spielen alle Rugby im knietiefen Schnee. Er verteilt übrig gebliebenes Essen vom Vorabend am nächsten Tag als Proviant. Er dichtet auf jeden Schüler einen Reim. Als er pensioniert wird, geben die Abiturienten dem Sportplatz ihrer Schule seinen Namen.

Eine Familie hat Fritz Feyerherm außerdem, eine Frau, zwei Töchter. Er ist da, wenn die Mädchen ein Problem haben, sonst hält er sich eher zurück. „Der Rugby-Club braucht mich, meine Familie läuft von allein“, erklärt er anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Latein, Altgriechisch, Rugby. Oder umgekehrt.

Anfang Dezember, auf einer Feier, sagt er unerwartet: „Ich fühle mich unwohl. Es kann sein, dass ich mit dem Rugby aufhören muss.“ Am 30. Dezember stirbt er. Tatjana Wulfert

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