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Berlin: Frohe Botschaften

Nazizeit und Kalter Krieg zerstörten die traditionsreichen Residenzen am Tiergarten – doch jetzt ist die Welt zurückgekehrt. Viele neue Vertretungen haben zarte Töne, knallige Farben und verwegene architektonische Formen in die Stadt gebracht

Es gibt Leute, die gehen in die Bibliothek, um Geschichte zu studieren. Andere gehen auf die Straße dazu. Wer sich auf die Spuren des diplomatischen Berlins begibt, dem begegnet die Geschichte auf Schritt und Tritt, in ihrer ganzen Schönheit, ihrem Horror und Aberwitz – eine Geschichte mit Happy End. Denn die neuen Botschaften zählen zum Interessantesten und Originellsten, was an moderner Architektur in Berlin nach der Wende entstanden ist. Zarte Töne, knallige Farben und verwegene Formen haben sie in das zuweilen steingraue Berlin gebracht: die poppige britische Botschaft, die rasante holländische, die sperrige französische, die leichtfüßigen Nordischen, die folkloristische der Vereinigten Emirate. Es sind dreidimensionale Visitenkarten der Nationen – sie haben Berlin in eine internationale Bauausstellung verwandelt.

So locker und lebendig – so hatte Albert Speer sich sein Germania nicht vorgestellt. Gewaltige Pläne hatte Hitlers Architekt für die „Welthauptstadt“, riesige Achsen schnitt er durch die Stadt, was im Weg war, wurde kurzerhand weggeräumt. Auch im alten „Geheimratsviertel“ am südlichen Tiergarten-Rand mussten viele Villen dran glauben, wollte Speer doch hier das Diplomatenviertel etablieren. Und allein für die mächtigen Repräsentanzen der Freunde – Japan, Italien, Spanien – brauchte er jede Menge Platz.

Einst vor den Toren der Stadt gelegen, hatten die Reichen im „Geheimratsviertel“ einmal ihre Landhäuser und Sommerwohnungen, später zogen Dichter und Gelehrte ein, Geheimräte, Bankiers und hohe Beamte. Die Großmutter von Katja Mann, eine großbürgerliche Feministin, lebte hier am Tiergarten, Eichendorff und die Brüder Grimm, Lenné und der Schauspieler Iffland, von dessen Zuhause selbst die strenge Frau Schiller angetan war: „Allerliebst“, lobte Friedrichs Ehefrau, „ein Ideal von Gartenwohnung, sehr artig gebaut.“

Nach dem Ersten Weltkrieg siedelten sich in der zentral gelegenen und doch herrschaftlich-grünen Gegend immer mehr diplomatische Vertretungen an, meist in Villen aus der Kaiserzeit. Vorher hatten sie sich eher im Zentrum der preußischen Macht rund um die Wilhelmstraße geschart.

Artig sahen die Botschaften, die unter Speers Planung von 1937 entstanden, gewiss nicht aus. Aber kaum waren die pompösen Vertretungen erbaut, wurden sie von Bomben getroffen. Und nach dem Krieg? Wurde in Bonn regiert. Aus West-Berliner Botschaften wurden Konsulate, Villen verfielen zu Ruinen, Gärten wuchsen zu Urwäldern heran. Die Tiergartenstraße, an der sich heute eine Botschaft an die andere reiht, diente als Straßenstrich, auf Brachen wurden Schäferhunde trainiert. Und in Ost-Berlin entwickelte sich Pankow zum neuen Diplomatenviertel.

Nach dem Mauerfall kehrten viele Länder an ihre alten Adressen zurück. Die Belgier zum Beispiel residierten schon im 19. Jahrhundert in der Jägerstraße am Gendarmenmarkt, in früheren Wohnhäusern der Familie Mendelssohn. Die Botschaft wurde von Bomben zerstört, in den 60er Jahren schließlich durch einen Plattenbau ersetzt, der der Stasi diente und den die Berliner Architektin Elisabeth Rüthnick vor drei Jahren umgebaut, ja, geradezu verzaubert hat. Schon von weitem leuchtet das Knallorange auf der grauen Fassade mit den markanten Fensterrahmen den Passanten entgegen und zieht sie in die Straße hinein. Auch innen hat sich der Umbau bewährt, als praktisch und architektonisch interessant. „Für nicht zu viel Geld haben wir etwas sehr Schönes bekommen“, meint Botschafter Lode Willems, „wir sind glücklich in dem Bau. Die Architektin hat nie vergessen, dass hier Leute arbeiten.“

Ruthnick ist nicht die einzige Berlinerin, die für ein anderes Land ein Zuhause schuf. Hilde Léon vom Büro Léon / Wohlhage / Wernik hat gleich zwei Vertretungen entworfen: für Bremen und für Indien, nur wenige Schritte voneinander entfernt, moderne, heiter anmutende Gebäude, die etwas Sonniges, Warmes ausstrahlen. Die Architektin, die noch nie in Indien gewesen war, als sie den Auftrag bekam, hat auf Folklore verzichtet, den Bezug zu Indien durch Materialien wie den roten Sandstein der Fassade und die Anlage des Komplexes, eine Landschaft mit Treppen, Wasser und Grün, hergestellt.

Sie hat die Freiheit gut genutzt: Denn im alten Villenviertel wurde nicht die in Berlin übliche Blockrandbebauung verlangt, sondern eine lockere Bauweise, die zur Geschichte und zum Tiergarten passt. Aber selbst am Brandenburger Tor, wo die französische Botschaft ihren Neubau an alter Stelle errichtete, hat man den Eindruck, dass die Behörden den fremden Gästen mehr Individualität und Fremdheit gestatteten als üblich.

Was das diplomatische Berlin, nicht zuletzt auch das Auswärtige Amt, immer wieder beweist: dass man die Geschichte nicht wegwerfen oder verstecken muss – mit klugem Kopf und behutsamen Händen kann man sie mit der Moderne verbinden. Daher lohnt es sich auch, am Auswärtigen Amt entlang, die gesamte Strecke unseres Spaziergangs zu laufen.

Denn im ältesten Teil von Berlin tut sich eine dritte diplomatische Insel auf. Über die in diesem Jahr eröffnete niederländische Botschaft von Rem Kohlhaas ist reichlich geschrieben worden – aber wer kennt schon am gegenüber liegenden Spreeufer die brasilianische Botschaft, die viel bescheidener, aber sehr elegant auftritt, die australische oder die chinesische, die sich im ehemaligen Bau des FDGB niedergelassen hat?

Und wer noch immer nicht genug hat: Es gibt 16 Vertretungen der Länder beim Bund und 136 Botschaften in Berlin. Und es wird immer noch weiter gebaut.

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