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Berlin: Früh übt sich

Die vorgezogene Schulpflicht reicht manchen Eltern nicht. Deshalb wurden 800 Kinder noch früher eingeschult – mit fünfeinviertel

Berlins Eltern kann es mit der Einschulung ihrer Kinder offensichtlich gar nicht früh genug gehen. Trotz der vorgezogenen Schulpflicht für Kinder ab fünfeinhalb haben zahlreiche Eltern von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Antrag auf noch frühere Einschulung zu stellen: Fast 800 Kinder haben jetzt bereits ein ganzes Schuljahr hinter sich, obwohl sie erst zwischen dem 1. Januar und 31. März 2006 sechs wurden. Dies bedeutet, dass sie schon mit fünfeinviertel aus der Kita genommen wurden. Die Regelung fußt auf dem neuen Schulgesetz.

Dort heißt es, dass Kinder, deren Eltern einen entsprechenden Antrag stellen, „in die Schule aufgenommen werden“ (Paragraf 42,2) – ohne Wenn und Aber. Selbst wenn bei der Einschulungsuntersuchung festgestellt wird, dass das Kind große Defizite hat, kann man es nicht abweisen, sondern nur beratend auf die Eltern einwirken. Nicht immer führt das zu dem gewünschten Ergebnis.

„Eltern halten mitunter auch gegen das Wohl des Kindes an ihrem Antrag fest“, beobachtet Kinderarzt Dietrich Delekat, der in Friedrichshain-Kreuzberg Einschulungsuntersuchungen macht. Einigen Eltern gehe es gar nicht darum, ihr Kind besonders zu fördern, sondern sie wollten es nur aus praktischen Erwägungen einschulen – etwa, weil ein Nachbarskind auch zur Schule kommt. Er plädiert dafür, dass die Antragskinder einen Test absolvieren sollten, der das Leistungsvermögen objektiv testet. Auf dieser Grundlage müsse dann „der Schulrat das letzte Wort haben“, findet Delekat. Auch für das kommende Schuljahr liegen in seinem Bezirk bereits 62 Anträge vor.

Die CDU war von Anfang an dagegen, Kinder ohne Einschränkung früher einzuschulen. Ihr Bildungsfachmann Gerhard Schmid, Oberschulrat in Friedrichshain- Kreuzberg, bezeichnet es als „Verrücktheit der Berliner Politik“, dass es mit dem neuen Schulgesetz überhaupt keine Möglichkeiten mehr gibt, unreife Kinder vom Schulbesuch zurückzustellen. Wenn es nach ihm ginge, müsste man nicht nur bei den Antragskindern , die erst fünfeinviertel sind, sondern auch bei den älteren Kindern die Möglichkeit haben, sie bei mangelnder Schulfähigkeit noch ein Jahr in der Kita zu lassen.

Die rot-rote Koalition hatte sich im Rahmen des neuen Schulgesetzes gegen die Rückstellungen entschieden, weil diese immer häufiger vorkamen. Tausende Kinder wurden Jahr für Jahr von der Schulpflicht ausgeschlossen, weil die Kindergesundheitsdienste der Bezirke sie als nicht schulreif einstuften. In der Folge kletterte das durchschnittliche Einschulungsalter auf sechs Jahre und acht Monate.

Dass man jetzt ins andere Extrem verfällt, indem überhaupt keine Rückstellungen mehr möglich sind und sogar Antragskinder mit fünfeinviertel genommen werden müssen, findet die Bildungsverwaltung nicht so dramatisch. Sie geht davon aus, dass „Eltern ihre Entscheidung für eine vorzeitige Einschulung sorgfältig abwägen“, sagte gestern ihr Sprecher Kenneth Frisse. Probleme mit dieser Regelung seien der Verwaltung bisher „nicht bekannt“.

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