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FÜNF  MINUTEN  STADT: Ein hervorragender Herr

Als durchaus blattpatriotischer Mitarbeiter einer Berliner Tageszeitung durchzuckt es einen dann doch immer wieder: Wenn da ein Wildfremder im öffentlichen Verkehrsmittel ein Exemplar der eigenen Zeitung entfaltet. Noch dazu in einem, das nicht auf kurzer Strecke durchs Kernverbreitungsgebiet der Publikation rollt.

Als durchaus blattpatriotischer Mitarbeiter einer Berliner Tageszeitung durchzuckt es einen dann doch immer wieder: Wenn da ein Wildfremder im öffentlichen Verkehrsmittel ein Exemplar der eigenen Zeitung entfaltet. Noch dazu in einem, das nicht auf kurzer Strecke durchs Kernverbreitungsgebiet der Publikation rollt. Wie jetzt zum Beispiel, in einem Schnellzug von Hamburg nach München. Da ist also jemand, der von einer Stadt, die nicht Berlin ist, in eine andere Stadt fährt, die nicht Berlin ist. Und da liest der weder „Abendblatt“ noch „Süddeutsche“, und auch nicht, als Reminiszenz an einen Streckenhalt zur Mitte, die „FAZ“. Nein, der gepflegte Herr im Sitz vor mir entscheidet sich für ein Qualitätserzeugnis aus der Hauptstadt. Gut, im Detail lässt das Leseverhalten natürlich zu wünschen übrig, wie genaueres Hinschauen nun erweist: Dem brillanten Leitartikel des Chefredakteurs folgt er keine fünf Sätze, die hervorragende Seite 3 wird schnöde überblättert. Immer schneller und lustloser pflügt sich der Blender durch den Berlinteil, „Oje, jetzt kommt meins“, denke ich, während er die „Mehr Berlin“-Doppelseite aufblättert. Ein Blick, schon will er weiter, doch irgendwas lässt ihn zögern, noch ein zweiter Blick – und dann liest er! 30 000 Zeichen! Satz für Satz! Champagner! Riefe ich, wäre jetzt eine Servicekraft anwesend. Für mich und den hervorragenden Herrn da vorn. Johannes Schneider

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