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Fünf Minuten Stadt: Im Strahl

In der U5 stadtauswärts, kurz vor 20 Uhr.

Von Maris Hubschmid

In der U5 stadtauswärts, kurz vor 20 Uhr. Die Bahn ist voll, viele stehen. Es ist gefühlt 40 Grad heiß, stickig. Ein Paar um die 30 mit Rucksäcken diskutiert seine Pläne für den Abend. „Lass uns in das Steakhausgehen“, sagt er zu ihr, „da hab ich Bock drauf nach dem Gerenne.“ „Och nee“, sagt sie, „da sind wir in Berlin und dann Steakessen. Hier gibt es doch alles! Ich bin für indisch.“ Er mault. Der Zug hält, keiner steigt aus, ein halbes Dutzend steigen zu. Es wird gerückt und geschoben, damit eine Kinderkarre Platz findet. So dicht stehen jetzt die Menschen, dass niemand mehr sicher sein kann, ob er den eigenen Schweiß oder den des anderen auf der Haut hat. Die Bahn fährt wieder an, stoppt aber im Tunnel. „So Hühnchenstücke mit Mangosoße, das schmeckt dir auch“, sagt die Frau. Dann wird sie abgelenkt von dem kleinen Mädchen, das der junge Vater aus der Karre hebt. Ein außerordentlich süßes Kind mit großen, dunklen Augen, das jetzt einem Fahrgast nach dem anderen ein Lächeln schenkt. „Die Berliner Kinder“, sagt die Auswärtige gerührt. „Denen macht das wohl gar nichts aus, das Gedränge hier, die dicke Luft. Die sind sowas gewöhnt.“ In dem Moment kotzt das Kind im Strahl, ein orangefarbener Brei ergießt sich über das Touristenpaar. Wortreiche Entschuldigungsbitten der Eltern, Taschentücher werden hervorgekramt. Als der Aktionismus der Ohnmacht weicht, sagt sie matt zu ihm: „Okay, Steak.“

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