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Berlin: Für 92 Euro am Tag Zielscheibe spielen

Kleine Stellenanzeige, große Wirkung: Einen unerwarteten Ansturm erlebte das Hotel Maritim an der Friedrichstraße am Sonntag. Hunderte von zumeist jungen Menschen drängten sich von der Straße durch das Foyer bis in den ersten Stock des Hotels.

Kleine Stellenanzeige, große Wirkung: Einen unerwarteten Ansturm erlebte das Hotel Maritim an der Friedrichstraße am Sonntag. Hunderte von zumeist jungen Menschen drängten sich von der Straße durch das Foyer bis in den ersten Stock des Hotels. Gesucht wurden 350 Mitarbeiter für ein Projekt der US-Army. Etwa 800 hauptsächlich junge Menschen beiderlei Geschlechts und unterschiedlichster Nationalität hätten sich gemeldet, bestätigte eine Mitarbeiterin der Firma Optronic. Das baden-württembergische Unternehmen ist von den amerikanischen Streitkräften beauftragt worden, die Bewerber auszuwählen. Teilweise mussten diese in den Hotel-Fluren stundenlang auf ihr Casting warten. Ausgefüllt werden musste ein Personalbogen. Außerdem wurden Fotos der Kandidaten gemacht. Wer einen der begehrten Jobs bekommt, werden die Bewerber erst in den kommenden Tagen erfahren.

Gesucht werden von Optronic nicht Soldaten für die US-Armee, sondern Statisten für ein Manöver von NATO-Truppen auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels - zwischen Nürnberg und Regensburg gelegen. Die so genannten COBs (Civilians on the Battlefield) werden benötigt, um den Soldaten eine möglichst realitätsnahe Umgebung bei der Ausbildung zu bieten. Beworben haben sich im Hotel Maritim überwiegend jüngere Arbeitslose und Studenten.

Die "Zivilisten" sollen ab dem 26. Februar insgesamt drei Wochen lang in eigens errichteten Dörfern eines imaginären Landes leben. Allerdings nur am Tage. Nachts werden sie in den Kasernen des Truppenübungsplatzes schlafen. Die Kriegs-Statisten werden für ihren Dienst mit 92 Euro pro Tag entlohnt. Bezahlt werden auch die Anreise zum Arbeitsplatz und die Vollverpflegung für die Dauer des Manövers.

Nach Angaben der Firma Optronic werden die Mitarbeiter mit Infrarot-Detektoren ausgestattet. Diese geben Pfeiftöne ab, wenn der Träger des Detektors "versehentlich" von Geschossen getroffen wird. Die Soldaten benutzen keine scharfe Munition, sondern speziell präparierte Gewehre. Gefahr für Leib und Leben der beteiligten Personen bestehe nicht, beruhigte der Unternehmens-Sprecher Truppler.

In dem Fantasie-Land müssen die Statisten täglich zehn Stunden lang ihren zivilen Dienst versehen. Die unbewaffneten "Bürger" in dem angenommenen Krisengebiet müssen Verhandlungen führen, Hochzeiten abhalten oder nach Essen betteln. Um die Einsatzsituation möglichst realistisch zu gestalten, sollen einige Dorfbewohner damit beauftragt werden, gegen die Besatzungstruppen zu demonstrieren, andere sollen versuchen, den Soldaten Ausrüstungsgegenstände zu stehlen. Die entwendeten Sachen müssen am Ende des Manövers selbstverständlich wieder zurückgegeben werden - fügt Optronic-Sprecher Truppler hinzu.

Er zeigte sich sehr überrascht über das große Interesse in Berlin. Bei früheren Stellenanzeigen in Süddeutschland hätten sich meist nur rund 200 Bewerber zwischen 18 und 78 Jahren gemeldet. Hier "im Osten" seien es dagegen mehr als viermal so viele gewesen. Alle Teilnehmer hätten in der Vergangenheit viel Spaß an der Sache gehabt, viele meldeten sich jedes Jahr wieder. Proteste, gleich welcher Art, seien ihm kein einziges Mal zu Ohren gekommen.

Holger Kruggel

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