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Berlin: Für eine Hand voll Nägel

Drei Lastzüge Kunst: Zum 75. Geburtstag wird Günther Uecker mit einer Werkschau geehrt

Den größten Ärger gibt’s beim Umzug meist zuletzt. Vorsichtig wird der kostbare Spiegel aus der Plastikfolie geschält, ein prüfender Blick, jähes Erschrecken – lange Sprünge ziehen sich durchs Glas. Folgen jetzt sieben Jahre Pech?

Das kann Günther Uecker nicht schrecken. Der Spiegel ein Transportschaden? Er lacht: „Nein, der war schon kaputt.“ Macht aber nichts, längst ist der Gebrauchs- zum Kunstgegenstand mutiert, und die Splitterlinien im Glas passen doch auch ganz gut zu dem Namen, den der Künstler dem Spiegelschrank gegeben hat: Eine Kaskade aus weißer Farbe und Nägeln hat sich darüber ergossen – ein „Wasserfall“. Nägel reihen sich auch dicht an dicht auf einem Fernseher der Traditionsmarke „Graetz“, noch aus der Schwarzweiß-Ära, mit „Magischem Auge“ und Einstellrädchen für „Discant“, „Plastisch“ und „Dezi“.

Beide Arbeiten stammen von 1963, erläutert Uecker bereitwillig, während Kunstmöbelpacker im Gropius-Bau weitere Werke auswickeln, Teile der Werkschau, mit der Uecker zu seinem 75. Geburtstag geehrt werden soll. Damals hatte er seine Nagelflächen, die zuvor noch auf herkömmlichen Wandbildern auftauchten, auf die Alltagswelt übertragen, einen Fernseher eben, eine Spiegelkommode oder ein Nachtschränkchen. „Eine Überflutung der Welt mit Kunst“, beschreibt es Uecker und lacht, wie er das gerne tut, besonders, wenn er auf typische Heimwerker-Fragen antwortet: Nein, beim Arbeiten an den Nagelwerke haue er sich nie auf den Daumen. Wenn er aber einen Nagel in die Wand schlagen wolle …

1930 im mecklenburgischen Wendorf geboren, hatte Uecker in Wismar und Berlin-Weißensee Kunst studiert. 1953 floh er nach West-Berlin, lebte hier einige Zeit, bis er 1955 nach Düsseldorf zog. Mit der großen Werkschau, verteilt auf zwei Ausstellungen und drei Orte, ausgerichtet vom Neuen Berliner Kunstverein (NBK), kehrt Uecker, der seit zwei Jahren auch ein Atelier in Wedding-Gesundbrunnen hat, gewissermaßen zu den Anfängen seiner international längst hoch geschätzten Kunst zurück.

Ein solches Projekt ist keine leichte Sache. Drei Lastzüge werden 15 Tonnen Kunst aus Düsseldorf nach Berlin transportieren. Die erste Fuhre kam gestern an, die anderen folgen nächste Woche, und dann kommen noch als Nachzügler Leihgaben aus Museen, berichtete NBK-Direktor Alexander Tolnay. Rund 240 Arbeiten haben er und Uecker ausgewählt, verteilt auf 20 „Kapitel“-Räume: 19 im Erdgeschoss des Gropius-Baus, das 20. mit sieben „Sandmühlen“ in der Neuen Nationalgalerie. Beim NBK selbst werden Aquarelle des Künstlers gezeigt.

An der neuesten Arbeit, die eigens für Berlin entstand, hat Uecker noch am Wochenende gearbeitet: „Friedensgebote“, eine Installation mit großen Stoffbahnen, darauf in lateinischer, arabischer und hebräischer Schrift Zitate aus Bibel, Koran und Thora, ethische Grundlagen der drei großen Religionen, die sich doch aus einer Quelle speisen. Uecker hat sie selbst auf die Bahnen gemalt, fürs Arabische und Hebräische von Schriftkundigen beraten. Auch eingewickelte Körper gehören zur Installation. Man könne an Palästinenser denken oder an getötete US-Soldaten, Uecker ist beides recht.

Ausstellungseröffnung im Martin-Gropius-Bau 11. März; Neue Nationalgalerie 20. April; NBK 12. März.

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