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Berlin: Funktionierender Rechtsstaat oder leichtfertige Begnadigung? Krenz & Co. werden wohl vorzeitig entlassen

Befürworter berufen sich auf den Gleichheitsgrundsatz - Gegner monieren, "kein Totschläger" sei so leicht begnadigt wordenHans Toeppen Sämtliche Spitzenfunktionäre der DDR und Verantwortlichen für die Mauerschüsse können damit rechnen, nach der Hälfte ihrer Strafe in Freiheit zu kommen. Dies dürfte auch für Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber gelten.

Befürworter berufen sich auf den Gleichheitsgrundsatz - Gegner monieren, "kein Totschläger" sei so leicht begnadigt wordenHans Toeppen

Sämtliche Spitzenfunktionäre der DDR und Verantwortlichen für die Mauerschüsse können damit rechnen, nach der Hälfte ihrer Strafe in Freiheit zu kommen. Dies dürfte auch für Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber gelten. Als der Senat den ehemaligen Grenztruppenkommandeur ("Dauerfeuergeneral") Klaus-Dieter Baumgarten zum 15. März begnadigte, hat er sich nämlich vor allem auf den Gleichheitsgrundsatz gegenüber anderen Häftlingen berufen.

Alle schon vor den obersten Politbürokraten verurteilten Verantwortlichen für die Mauer-Toten waren von Berliner Gerichten weit vorfristig auf freien Fuß gesetzt worden - ganz normal nach dem Strafgesetzbuch. Unter Juristen sind die Meinungen nun geteilt: Während die einen dies für einen Beweis des funktionierenden Rechtsstaates halten, sind über die Baumgarten-Begnadigung sowohl der ehemalige Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen als auch der Baumgarten-Richter Friedrich-Karl Föhrig empört. Schaefgen ließ sich im "Spiegel" mit dem Satz zitieren, dies sei faktisch eine Korrektur der Gerichtsentscheidung: "Ich kenne keinen Totschläger, der so leicht begnadigt worden ist". Und der vorsitzende Richter Föhrig, der Baumgarten 1996 zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt hatte, sprach gestern gegenüber dem Tagesspiegel von einem "Schlag ins Gesicht der Justiz". In einer Fachzeitschrift will der Richter die Entscheidung des Senats jetzt "energisch und ironisch" kritisieren. "Selbstverständlich" habe er, sagt Föhrig, eine Begnadigung abgelehnt, als sein Gericht gefragt wurde.

Abgelehnt hatten auch der fünfköpfige parlamentarische Gnadenausschuß des Landes Berlin und die Staatsanwaltschaft. Auf Antrag des damaligen Justizsenators Ehrhart Körting setzte sich der Senat aber über das Votum des Gnadenausschusses hinweg, was in der letzten Legislaturperiode drei oder vier Mal geschehen ist. Körting wollte sich jetzt nicht zur "Gnadenwürdigkeit" Baumgartens äußern, legte aber Wert darauf, dass dies keine "politische, moralische oder amnestierende" Entscheidung gewesen sei. Über die Haltung des Senats zu den verurteilten Politbürokraten sage sie überhaupt nichts aus.

Offenbar ging es um Gleichbehandlung. Nach dem Strafgesetzbuch wird eine Strafe normalerweise nach zwei Dritteln der Haftzeit ausgesetzt. Dies kann aber auch schon nach der Hälfte geschehen, wenn Tat, Persönlichkeit und Entwicklung des Verurteilten dies rechtfertigen. Dabei spielen vor allem die Erst-Verurteilung und fehlende Wiederholungsgefahr ein Rolle - bei den SED-Funktionären durchgängig kein Problem. So haben Gerichte die DDR-Militärs Keßler (7 Jahre, 6 Monate Strafe) nach gut vier Jahren entlassen, Keßler (5 Jahre, 9 Monate) nach gut drei Jahren und Lorenz (3 Jahre, 3 Monate) nach einem Jahr und acht Monaten. Alle sind längst wieder frei, bei Baumgarten wird es allerdings relativ am schnellsten gehen.

Auch Egon Krenz kann auf diese Praxis hoffen. Sein Fall liegt immer noch in Karlsruhe. Die Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts, Uta Fölster, sagte gestern, einen Termin gebe es noch nicht. Eine Entscheidung noch in dieser Woche sei aber auch nicht ausgeschlossen.

Hans Toeppen

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