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Nicht jeder fühlt sich wohl zwischen grölenden, schwitzenden Leibern. Kein Problem, oder doch?

© dpa

Fußball-WM 2014: Mehr Toleranz, aber nicht für Fußball-Muffel

Thomas Lackmann entdeckt sein Herz für eine bedrohte Weltreligion.

Die langen Schatten des globalen Events fallen von Brasilien über Katar bis aufs kleine coole Berlin. Wer mag sich an der Spree dem megaschönen Massensog – dabeisein, wetten, mitfiebern – entziehen? Die Fanmeile in uns allen macht sich breit: ein Volk, ein Ball, ein Pokal.

Anrüchig klingt das nur für jene Missvergnügten, die bei so einer Formulierung unbedingt Böses denken wollen. Zugegeben, in den nächsten Wochen haben es Andersfühlende überall verdammt schwer. Wer nicht mittickt, wird während der kommenden Wochen zum Paria. Fremd ist der Fremde nur in der Fremde: hat Karl Valentin, der verbockte Widerspruchs-Maniac, mal gesagt. Auf die Reibung zwischen Mehrheitstaumel und Minoritäten-Panik angewendet, würde das heißen: Eine Minderheit ist schließlich nur dort diskriminiert, wo andere in der Mehrheit sind.

Scham bei den Fußball-Hassern

Überraschenderweise herrscht aber gerade an dieser Konfliktlinie in unserer supertoleranten Stadt gewisser Nachholbedarf. So viele exotische Lebensformen, Ethnien, Geschlechter, Traumtänzer, Spinner, Künstler jeder Fasson zieht Berlin an, gibt ihnen sehr gerne vielfältigen Freiraum, und sei es nur am Tempelhofer Feld. Aber wohin eigentlich sollen denn diskriminierte Fußball-Muffel?

Mit gesenktem Haupt schleichen sie durch die Gassen, die Siegesallee des 17. Juni ist ihnen verboten. Dem Public Viewing, das Papst Franziskus (einer Bitte von Kaiser Franz folgend), rechtzeitig auf alle runden und eckigen Kirchen ausweiten wird, können sie sowieso nicht mehr entkommen, weil aus Kneipen, Tempeln, Pantoffelkinos, von Plätzen und Rasenflächen das synchronisierte Volksempfinden jauchzend, seufzend gen Himmel steigt.

Therapien bald auch für Fußball-Muffel

Wo wären für solche elenden Außenseiter tröstende Betroffenen-Gruppen, Ratgeber-Foren und Therapieangebote, da sie doch, obgleich Mimosen, ja nicht wirklich schlecht sind, sondern nur irgendwie etwas anders als gesunde Normalos – aber dem Psycho-Druck kaum standhalten und vielleicht nun kurzerhand in die Selbstzerfleischung getrieben werden? Wer versichert den Angeknacksten mit sanfter Stimme, dass sie mitnichten Bürger zweiter Klasse sind und echt dazu gehören, trotz ihres Handicaps, welches man ganz liebevoll als „kulturell herausgefordert“ bezeichnen darf? Wer entwickelt für solche Fehlfarben der Evolution das Inklusionsmodell, bevor sie, ohne attraktive Heimatinseln im Fernsehprogramm, verstört durch den Gröl-Chorus omnipräsenter Fans, gewissermaßen zum Selbstschutz in den No-Sports-Terrorismus abtauchen?

Dabei bedroht ja der expandierende Fußball als regierende Weltreligion – so prophezeien unsere Unterdrückten hinter geballter Faust – nicht nur den zivilisierten Pluralismus: zerstörte Vielfalt! (Merke: Freizeit ist immer auch die Freizeit des Andersdenkenden.) Sondern seinen eigenen Unschuldsglanz, die eigenen universalen Geschwader. Zerstörte Fifa.

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