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Berlin: Gabriele Schopp (Geb. 1955)

Am kleinen Makel stören sich Kleingeister. Sie sah darüber hinweg

Wabi-Sabi, das ist ein ästhetisches Konzept aus Japan, nach dem Vollkommenheit erst in der Brechung zur Geltung kommt. Der kleine Fehler macht die Teeschale perfekt, nicht ihre makellose Rundung. Der Satz „Das ist ein echter Gabi“ bedeutete, dass die Tür ein wenig klemmte, die Figur wackelte, die Küche nach dem Kochen wie ein Schlachtfeld aussah. Der große Wurf war wichtig, das Ergebnis als Ganzes musste stimmen. Am kleinen Makel stören sich Kleingeister – sie sah darüber hinweg. Der rechte Winkel lag ihr nicht und der millimetergenaue Anschluss gelang ihr selten.

Sie blühte auf, als sie mit Naturholz zu arbeiten begann, das Material so nahm, wie sie es vorfand. Rundungen und Kanten, von der Natur geschaffen, so zusammenzufügen, dass daraus ein brauchbares Möbelstück entstand, das war ihr Ding.

Gabi suchte sich das Umfeld, wo ihre Ecken, Kanten und Rundungen akzeptiert wurden, wo niemand an ihr herumfeilen wollte. Über die Hausbesetzerbewegung, zu der sie schon in Bielefeld Kontakt hatte, fand sie in Berlin ihr Zuhause in der Kreuzberger Regenbogenfabrik. Der politische Anspruch sollte sich verbinden mit dem guten Leben, die Solidarität mit den Schwachen sollte sich paaren mit der Toleranz gegenüber jeglichen Schwächen, den eigenen und denen der anderen. Viele Projekte der Hausbesetzerszene begannen mit großen politischen Konzepten und endeten als Eigentümergenossenschaft mit peinlich hoher Rendite. Die Leute aus der Regenbogenfabrik wollten immer mehr als ein mietfreies Zuhause: Zusammen leben und miteinander arbeiten.

Es war ein weiter Weg vom wohlgeordneten Zuhause bis in die besetzte Fabrik. Die Fürsorge von Mutter und Vater zielte darauf, dass auch bei Gabriele alles in geordneten Bahnen läuft, solide Ausbildung, sicherer Job. Dafür aber war sie nicht die Richtige. Vielleicht wurde der Keim ja schon gelegt, als sie die Bielefelder Laborschule des Reformpädagogen Hartmut von Hentig besuchte. Auf jeden Fall haben Reisen nach Südamerika und auf den Balkan Weichen gestellt. Da erlernte sie die Kunst der Improvisation. Und dann gab es noch die große Schwester, die schon vor ihr in die alternative Szene von West-Berlin eingetaucht war.

In einem Film über solidarische Ökonomie sagte Gabi über ihre Arbeit in der Regenbogenfabrik: „Ich bin 1987 nach Berlin gezogen, zufällig ins Vorderhaus und da ich Tischlerin war, passte mir das natürlich ganz gut, dass hier eine Werkstatt war. Es waren Tischlerinnen und Tischler schon drin, aber die Werkstatt war ziemlich runtergekommen, und es war alles zugerümpelt, und die waren eigentlich dabei auszuziehen. Ich wurde anfangs sehr skeptisch von den Leuten der Regenbogenfabrik beäugt: Na, was ist denn das für eine?“

In der Werkstatt hat sie Herzblut gelassen. Und auch im Regenbogenkino mischte sie kräftig mit. In der letzten Zeit hat sie häufig in der Kantine gearbeitet. Ihre Kochkünste waren legendär, das Chaos, das sie in der Küche hinterließ, gefürchtet. Unschlagbar waren ihre „Malfatti“, eine Art Spinat-Gnocchi. Einige wenige kennen das Rezept, ab und zu kommt es noch auf den Tisch in der Kantine.

Gabi hinterließ Spuren. Sie baute Puppen, malte Bilder, inszenierte Stücke, drehte Filme, prägte Kinder und Jugendliche in wichtigen Phasen ihres Lebens. Nichts von dem, was sie tat, war vollkommen, Preise gewann sie keine mit ihren diversen Unternehmungen. Aber sie erntete spontanen Applaus und bewegte die anderen mitzumachen.

Gabi konnte nerven, brachte Leute zur Verzweiflung; sie nannte ihre Art „spontan“, andere fanden sie chaotisch. Sie war so schnell und assoziativ, dass es nicht ganz leicht war, ihr zu folgen. Manchmal schien es, als könne sie selbst mit dem eigenen Tempo nicht Schritt halten.

Fassungslos war sie, als man vor zwei Jahren Lungenkrebs bei ihr diagnostizierte. Sie wollte leben und wehrte sich gegen den Tod. Und die Chemotherapie wirkte. Im April verkündete sie: „Ich glaube, ich hab’s geschafft.“ Dann aber kam die Krankheit zurück, und wieder reagierte sie fassungslos und hielt dagegen. Diesmal siegte der Krebs.

Jörg Machel

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