zum Hauptinhalt
Politischer Gast. Barack Obama

© REUTERS

GÄSTELISTE: Die Kantine der Stars

Madonna, Tarantino und Obama waren schon da, Joschka Fischer und Thomas Gottschalk sowieso Vor 20 Jahren eröffnete das Borchardt in der Französischen Straße – Beginn eines nachhaltigen Erfolgs.

Im Grunde gibt es das Restaurant Borchardt zweimal. Im einen sitzen Touristen Schulter an Schulter mit anderen Touristen, finden das Essen so na ja, aber ziemlich teuer – und lassen den ersten Besuch auch den letzten sein. Im anderen Borchardt drängen sich glückliche Weltstars, Wirtschaftskapitäne und Chefredakteure, wähnen sich eins mit dem Weltgeist und planen schon mal, wann sie wieder reinschauen, im Zweifel gleich morgen.

Jeder mag selbst testen, in welches der beiden er gehört: Fühlt er sich wohl im laut widerhallenden Saal und kann er sich einer bedeutenden Gruppe anschließen, die seine Zugehörigkeit zur höheren Entscheiderebene dokumentiert, dann ist alles in Ordnung. Sonst: die Rechnung, bitte. Der Restaurantführer Gault-Millau, der das Etablissement schon sarkastisch mit vier Kopf stehenden Kochmützen gewürdigt hat, höhnte einmal zutreffend, kein Gast werde hier schlechter behandelt, weil er unbekannt sei, manch Prominenter aber durchaus ein wenig besser. Und Matthias Matussek spricht im „Spiegel“ vom „wahrscheinlich sympathischsten Flecken Berlins“.

20 Jahre ist es jetzt her, dass der gebürtige Saarländer und gelernte Kfz-Mechaniker und Optiker Roland Mary das Restaurant in der Französischen Straße direkt am Gendarmenmarkt eröffnete. Am 5. März 1992 gingen die Türen auf; von einer Feier ist der Nachwelt nichts bekannt, das passt auch zu dem betont diskreten Chef, der es nur einmal in seinem auf- und abschwellenden Reich so richtig krachen ließ, als er 2007 das „San Nicci“ mit Promis und Überdrüber-Gastkoch aus Rom in die Welt setzte – und was daraus geworden ist, sieht man ja.

Mary machte noch einen anderen, scheinbaren Fehler, als er das schon gut laufende und international beraunte Restaurant nach einer Weile wegen der Straßenbauarbeiten vor der Tür wieder schloss. Doch als es weiterging, waren alle alten Gäste sofort wieder da und noch ein paar mehr dazu, als wäre nichts gewesen: mittags Kantine von Politik, Wirtschaft und allen Journalisten, die grad Zeit haben, abends großbürgerliche Speisestätte und nachts, dem Vernehmen nach, auch mal Partyhölle im späten Kir-Royal-Stil. Alles unverändert, bis heute. Nicht einmal der unfrohe Abgang des sehr langjährigen Restaurantleiters Rainer Möckel scheint Spuren hinterlassen zu haben.

Das Geheimnis? Kennt auch der geheimniskrämerische Mary nicht. Denn wenn doch, hätte ja auch sein Versuch geklappt, mit dem ähnlichen „San Nicci“ ein Double zu kreieren. Grundlage ist zweifellos die Tradition. Gegründet wurde das ursprüngliche Unternehmen 1853 von August F. W. Borchardt, der mit seinem Delikatessenhandel zum Hoflieferanten aufstieg und sich 1895 den Gründerzeitsaal bauen ließ, der auch heute noch weitgehend erhalten ist. Nach dem Krieg war es HO-Fischrestaurant, Jugendtanzlokal und schließlich Bauarbeiterkantine, nach der Wende verrammeltes Lager – bis schließlich Mary kam, der mit dem „Shell“ am Savignyplatz viel Geld verdient hatte, nach Herausforderungen suchte und seine eigene Belle Époque startete.

Das Konzept hat er seitdem so gut wie nicht geändert. Vorbild ist die französische Brasserie, die ihr Küchenprogramm auf bekannte Standards stützt, immer getragen vom Wissen, dass die Gäste vor allem eins wollen: nicht vom Gespräch abgelenkt werden. Es gab ambitionierte Küchenchefs, Manfred Heissig, Christian Loisl, Alexander Dressel, die dieses Prinzip nach oben durchbrechen wollten und scheiterten. Seit Jahren steht nun der Franzose Philippe Lemoine in der Küche, der die unausweichlichen Wiener Schnitzel klaglos zu Millionen brät und seinen Ehrgeiz nur minimal in manchen Tagesgerichten aufblitzen lässt. Es ist eben vollkommen sinnlos, dagegen anzukochen, dass ständig Joschka Fischer und Thomas Gottschalk und Maria Furtwängler zur Beobachtung anstehen, zu Berlinale-Zeiten sogar echte Weltprominente wie Madonna oder Tarantino, auch Obama, noch Kandidat, war schon mal da.

Dokumentiert wird das alles nur in Spurenelementen – es weiß ja ohnehin jeder, dass das hier eine Institution der Berliner Republik ist wie der Reichstag oder seine Kuppel. Fotografen werden nicht geduldet, eine Chronik offenbar nicht geführt. Insofern hebt auch einfach das freie Hörensagen den überirdischen Ruf des Hauses über die Tatsache hinaus, dass man durchaus recht oft hingehen kann, ohne irgendeinen aus Funk und Fernsehen bekannten Menschen zu treffen. Voll ist es dann sicher trotzdem, aber die Fülle ist demokratisch organisiert. Jeder bekommt einen Platz, der rechtzeitig reserviert hat – allerdings bekommt nicht jeder den Platz, den er sich insgeheim erhofft hat. Soviel Gefälle erwarten die prominenteren Gäste einfach.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false