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Berlin: Ganz nach des Kaisers Geschmack

Der Berliner Dom feiert am Sonntag sein 100. Jubiläum – Zeitgenossen kritisierten das Gotteshaus als architektonisches Monstrum

Baupläne für den Berliner Dom füllen dicke Aktenschränke und einen Berg von Büchern. Bedeutende Architekten arbeiteten sich an der Aufgabe ab, die als Hofkirche genutzte mittelalterliche Dominikanerkirche in der Nähe des Schlosses durch einen der Größe des Hauses Hohenzollern und der Bedeutung der Hauptstadt Berlin angemessenen Dom-Neubau zu ersetzen. Friedrich II., der Große, selbst kein bedeutender Kirchengänger, ließ 1747 bis 1750 am Lustgarten durch Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff eine Hofkirche errichten, die bereits im frühen 19. Jahrhundert von Karl Friedrich Schinkel um- und ausgebaut wurde. Von Schinkel und anderen entwickelte Neubaupläne blieben liegen; erst nach der Reichseinigung von 1871 wurde das Thema neu aufgegriffen und nun von den Hohenzollern mit Macht vorangetrieben.

An die Querelen um die preußische Hauptkirche und Grablege des Hauses Hohenzollern und die vielen nicht realisierten Entwürfe mag Kaiser Wilhelm II. gedacht haben, als am 27. Februar 1905, vor einhundert Jahren, in seinem Beisein und in Begleitung der „Spitzen des Reiches“ und vieler auswärtiger Ehrengäste mit großem Prunk und Pomp der Berliner Dom eingeweiht wurde.

Der Monarch zeigte sich mit dem 11,5 Millionen Reichsmark teuren Ergebnis zwölfjähriger Bauzeit zufrieden. Bis in letzte Details hatte er Einfluss auf die Entwürfe genommen und den mit der Ausführung betrauten Architekten Julius Raschdorff mit ständig neuen Veränderungswünschen zur Verzweiflung gebracht. Wenn der Kaiser in Künstlerateliers und Entwurfsbüros auftauchte, und das tat er gern und unangemeldet, waren seine „Anregungen“ Befehl. Daher ist es sicher nicht übertrieben zu sagen, dass der Dom den merkwürdigen, zum Bombastischen neigenden Geschmack Seiner Majestät exzellent widerspiegelt, und das erregte Widerspruch.

Noch bevor die Orgel den ersten Choral des Eröffnungsgottesdienstes anstimmte, hagelte es Kritik. Denn nicht alle Zeitgenossen des zur Selbstüberhöhung neigenden Kaisers waren von der neuesten Berliner Errungenschaft begeistert, mit der der Bauherr natürlich auch Glanz auf sein Haupt zu lenken versuchte. Offiziell wurde der Dom als „Hauptkirche des deutschen Protestantismus“ über den grünen Klee gelobt und als ein Gott geweihtes Denkmal der großartigen Entwicklung Brandenburg-Preußens unter der Führung der Hohenzollern verherrlicht. Doch gab es auch Kritiker, die das Haus Gottes als zu groß, zu prunkvoll und mit zu viel Blattgold geschmückt empfanden und sich über die vielen Engelsköpfchen und Krönchen, die bunten Mosaiken und überhaupt die riesigen Dimensionen des Doms lustig machten. Man hätte die Millionen besser den Armen gegeben oder sie in soziale Einrichtungen gesteckt, hieß es.

Da man den in Kunstfragen überaus empfindlichen kaiserlichen Bauherren nicht direkt kritisieren konnte, weil man sonst ein Verfahren wegen Majestätsbeleidigung riskierte, richteten sich Kritikerpfeile gegen das die Stadtsilhouette dominierende Gotteshaus selbst. Der Dom wurde als architektonisches Monstrum, gar als Seelengasometer bezeichnet, als ein Bau, der den Formenschatz der Renaissance plündert. Auch war von seelenlosem Prunk und von kaltem Wind die Rede, der durch das Haus zieht.

Der bekannte und auch heute noch zitierte Architekturkritiker Karl Scheffler befand, der Dom sei nur dazu da, vor dem Volk den „Glanz und die Pracht und die Herrlichkeit des Kaisertums“ zu entfalten. Er empfand, wie viele Zeitgenossen auch, den Dom als „steingewordene Reklame für einen Gedanken der Staatsdisziplin und dynastischen Machtentfaltung“. Statt einer einfachen Predigtkirche sei ein Kuppelbau „mit Säulen und Statuen in Metall und Marmor, mit Bildern und Mosaiken, mit Logen für den Hof und für das seidene Hofgesinde“ entstanden. Die „Reichsrenommierkirche“ diene einzig dem Zweck, den Glanz und die Pracht und die Herrlichkeit des Kaisertums vor dem Volk zu entfalten.

Während des Ersten Weltkriegs, aber mehr noch nach dem Sturz der Monarchie (1918), als Wilhelm II. als oberster Protektor des Doms seine Macht verloren hatte, gab es Pläne, den als geschmacklos aufgefassten üppigen Zierrat abzuschlagen und auch die monumentale Kuppel zu verkleinern oder ganz zu entfernen. Ähnliche Bestrebungen zielten auch auf das Reichstagsgebäude, dessen prunkvolles Aussehen ebenfalls zurückgestutzt werden sollte. Doch blieb es in beiden Fällen bei Manifesten und nicht realisierter Fassadenkosmetik. Mit den Jahren gewöhnte man sich an das kaiserzeitliche Gotteshaus und seine übermächtige Präsenz im Stadtbild. Ideen in der Nazizeit, den „wilhelminischen“ Dom in eine klassizistisch-schlichte Kirche als Kulisse für nationalsozialistische Aufmärsche zu verwandeln und seine Gestalt den eher schlichten klassizistischen Bauten auf der benachbarten Museumsinsel anzugleichen, blieben wegen des Kriegsbeginns 1939 liegen.

Im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, aber nicht zerstört, überlebte die Oberpfarr- und Domkirche, so ihr heutiger offizieller Name, alle Abrisswellen der Nachkriegszeit. Während das Stadtschloss 1950 auf Geheiß Ulbrichts gesprengt und abgetragen wurde, blieb der Dom auf der anderen Straßenseite stehen und wurde sogar vor schleichender Zerstörung gesichert.

Wiederaufbaupläne für den Ostteil Berlins sahen zwar ein riesiges „zentrales Gebäude“ etwa auf dem Platz vor, auf dem der Fernsehturm steht, der Dom aber sollte mehr oder weniger authentisch stehen bleiben. Mit der Kirche wollte sich der SED-Staat nicht anlegen. Mit reichlichen West-Millionen wurde ab den siebziger Jahren das Gotteshaus aufgebaut, wobei die Kuppel etwas niedriger gestaltet und auch sonst mancher Fassadenprunk fortgelassen wurde. Mit jahrzehntelanger Verzögerung wurden doch ein paar Forderungen der Kritiker aus der Kaiserzeit und danach realisiert.

Helmut Caspar

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