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Berlin: Ganz nach ihren Bedürfnissen

„Tour de Toilet“, so lautet ein Stadtspaziergang an die intimsten Orte Berlins

Treffpunkt Toilette, direkt auf dem Gendarmenmarkt, okay? Vor dem dunkelgrünen Häuschen, auch „Café Achteck“ genannt, steht Anna Haase und wartet – auf Publikum. Denn vor diesem markanten Toilettenhäuschen mit seinen Wänden aus Gusseisenplatten startet sie einmal monatlich ihre Stadtführung. Wo die Berliner Mauer stand, wie hoch denn der Fernsehturm nun ist und wie alt der Reichstag – das ist in jedem billigen Reiseführer nachzulesen. Anna Haase aber will mehr sagen auf ihrer ganz eigenen Reise durch die Stadt, auf ihrer „Tour de Toilet“.

Hochmoderne WCs auf Bahnhöfen, Schmuddel-Pissoirs in Grünanlagen, Dixie-Klos vor jeder Baustelle. Toiletten gehören zum Bild der Großstadt dazu. Anna Haase wirft erst einmal einen kurzen Blick zurück: Das „Café Achteck“, dessen wahre Bedeutung höchstens Touristen irritieren kann, bot in seiner Entstehungszeit zum Ende des 19. Jahrhunderts Platz für exakt sieben Stehpissoirs – zu einer Zeit, als Frauen noch nicht öffentlich müssen durften. Heute befinden sich im Inneren eine Damen- und eine Herrentoilette. Dort, bei den Männern, ist übrigens eine aufgemalte Fliege im Pissoirs zu erkennen, was die Trefferquote erhöhen und beim Reinigungspersonal den Arbeitsaufwand senken soll. Den Namen verdankt das „Café Achteck“, entworfen von Carl Theodor Rospatt, seinem achteckigen Grundriss. In den Zwanziger Jahren gab es etwa 140 dieser Häuschen, etwa 30 von ihnen sind heute noch erhalten.

Die Benutzung kostet nichts, ganz anders als beim modernen Toilettenhäuschen gegenüber. Nach dem Einwurf von 50 Cent öffnet sich mit einem hydraulischen Summgeräusch eine Schiebetür, die den Weg in einen grell beleuchteten Raum freigibt. Für sein Geld darf man ruhig etwas erwarten, erzählt Haase. Sie habe sich beim Betreiber mal über die mangelnde Sauberkeit eines solchen Häuschens beschwert und bekam prompt ihr 50-Cent-Stück per Post mit einem freundlichen Entschuldigungsschreiben zurück. Doch geht es Anna Haase um mehr, als nur um die Sauberkeit. Für sie ist die Toilette auch ein Ruhepunkt in der Hektik der Großstadt.

Aus diesem Gedanken entstand die Idee für ihre Tour. Vor einem Jahr stand der jährliche Welttag des Gästeführers unter dem Motto „Oasen der Ruhe“. Anna Haase entschied sich für eben diese stillen Orte der Stadt. Anfangs wurde sie wegen der Tour angefeindet. Das Thema sei anrüchig und unästhetisch. Doch sie hält dagegen: Es ist es wichtig, auf die hohe Stufe hinzuweisen, auf dem sich die Toiletten- und Hygienekultur in unserer Gesellschaft befindet und darauf, dass es nicht selbstverständlich ist, eine Toilette und eine Badewannen in jeder Wohnung zu haben oder auf Fernbahnhöfen duschen zu können. In anderen Ländern ist das schließlich oft undenkbar.

Zugegeben, das Thema ist gewöhnungsbedürftig, aber eventuelle Berührungsängste Gäste redet Anna Haase – die sowohl zwei Diplom-Abschlüsse gemacht, als auch selbst eine Zeit lang als Toilettenfrau gearbeitet hat – mit vielen wissenswerten Details einfach weg. So erfährt man beim Rundgang durch die Stadt, dass es in Deutschland mehr als fünf Millionen Dixi-Klos gibt – eine Armada dieser kleinen Häuschen ist bei jedem Karneval der Kulturen oder bei den Silvesterparty am Straßenrand zu sehen – , man weiß nach dem Stadtrundgang auch, dass der Welttag der Toilette der 19. November ist und dass jeder Toilettenbesuch sieben bis elf Liter Wasser verbraucht.

Die dicke Mappe unter Haases Arm ist vollgestopft mit Bildern, Daten und auch Zeitungsartikeln über die bekannteste Toilettenfrau der Stadt, Helga Schmidt aus der Schlagerdisko „Hafenbar“. Auch Fotos von derart verdreckten Toilette zeigt sie herum, dass einem beim Anblick des Schildes mit der Aufschrift „Verlasse diesen Ort so, wie du ihn vorzufinden wünschst“, spontan nur eine Komplettsanierung einfällt. Ganz anders ist das an der nächsten Station, der McClean- Toilette im Bahnhof Friedrichstraße. Was immer an Hygieneartikeln für den Hausbedarf benötigt wird, kann dort im integrierten Shop erworben werden und zeitgemäß gibt es hier Baby-Wickeltische, auch auf der Herrentoilette.

Wo der Kaiser zu Fuß hinging, sieht man im Kaisersaal am Potsdamer Platz. In den Toilettenräumen Kaiser Wilhelms II stammen Wände, Waschbecken und die Marmorpissoirs noch aus der wilhelminischen Zeit und sind originalgetreu restauriert worden. Weniger original hingegen ist noch das Klohäuschen am KaDeWe. Einst war es eines der am besten besuchten Toilettenhäuschen der Stadt, nach dem Verkauf wird jetzt darin eine Pizzeria betrieben. Raphaela Solich

Mehr Informationen im Netz:

www.annahaase.de

Raphaela Solich

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