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Berlin: Ganz nah dran – mit Distanz

In der Charité hat kürzlich eine Pflegerin mehrere Patienten getötet. Wie kann es dazu kommen? Ein Besuch auf der Intensivstation

Das Geräusch beherrscht den Raum: Das heisere, monotone Fauchen der Beatmungsgeräte. Sonst ist es ruhig in Zimmer 18 der Intensivstation des Unfallkrankenhauses in Marzahn. Zwei Brustkörbe heben sich regelmäßig. Die beiden Frauen, eine jung, eine alt, liegen im Koma. Von Zeit zu Zeit ertönt ein Piepen von einer der vielen Maschinen. Meist stimmt etwas mit dem Blutdruck der Patientinnen nicht. Gelassen kontrolliert Michaela Danielowski die Monitore. Die Krankenschwester reguliert die Medikamentenzufuhr und stoppt das Signal per Knopfdruck. Routine. Sie wird diese Bewegung in den nächsten acht Stunden noch einige hundert Mal machen.

Es ist viertel vor sieben an einem Donnerstagmorgen. Gerade hat die Frühschicht begonnen. Die Pflegerin wird sich bis zum Nachmittag ausschließlich um die beiden Frauen kümmern. Bis eben kannte sie sie noch nicht. Flüsternd informiert ein Kollege von der Nachtschicht Michaela Danielowski: Die alte Dame hat einen Oberschenkelhalsbruch mit Komplikationen. Außerdem funktionieren ihre Nieren nicht mehr richtig. Neben ihrer Beatmungsmaschine steht ein Dialysegerät. Sie soll heute operiert werden. Michaela Danielowski sieht sich die Patientin an. Mit dem Daumen öffnet sie eins der Augenlider und streicht ihr sacht über den Kopf. Fast liebevoll.

Pfleger und Schwestern, die auf der Intensiv-Station arbeiten, sind besonderem Druck ausgesetzt: Der Tod und das Leiden sind hier gegenwärtiger als in anderen Abteilungen. Irene B., Krankenschwester an der Charité, hielt diesem Druck anscheinend nicht stand. Sie gestand vor kurzem, mehrere Patienten getötet zu haben – aus Mitleid. Wie aber kommen andere Pfleger und Schwestern auf Intensivstationen mit der seelischen Belastung zurecht?

„Ich achte darauf, keine allzu persönliche Beziehung zu den Patienten aufzubauen“, sagt Michaela Danielowski. Sonst könne sie das Erlebte nicht verarbeiten. Die 39-Jährige arbeitet seit fast 15 Jahren auf Intensivstationen. Sie hat gelernt, das Leid der Patienten auf Distanz zu halten. Wie die meisten Schwestern und Pfleger betrachte sie die Patienten eher als „Fälle“, sagt sie: Die Bypass-Operation. Der Schädelbruch. Die Leberzirrhose. So funktioniert ihr „Schutzschild.“ Trotzdem hat sie nach der Arbeit oft „großen Bedarf“, sich den Tag bei ihrem Mann zu Hause „von der Seele zu reden“. In den Pausen spricht sie mit den Kollegen. Auch über Irene B. „Wir haben überlegt: Könnte es auch hier passieren?“, sagt Pflegeleiter Thomas Brandenstein. „Keiner kann sagen, dass das ausgeschlossen ist.“ Trotzdem gebe es seit dem Fall in der Charité kein Misstrauen auf der Station.

Inzwischen ist es kurz vor zehn. Die alte Frau ist schon operiert worden: Jetzt führt der Beatmungsschlauch direkt durch einen Schnitt im Hals in die Luftröhre. So wird der Kehlkopf geschont, wenn der Patient längere Zeit im Koma liegt. Vor der Operation hat Michaela Danielowski ein transportables Beatmungsgerät an die Schläuche angeschlossen. Sie hat die alte Dame in den Operationssaal gebracht und wieder abgeholt. Die jüngere Patientin braucht Ruhe – damit ihre Schädelverletzungen, die von einem Autounfall stammen, heilen. Die Krankenschwester hat ihr lediglich Blut abgenommen. All das hat sie in die Patientenkurven an den Fußenden der Betten eingetragen. Auch, welche Medikamente sie gegeben hat. Pflegeleiter Brandes kontrolliert die Aufzeichnungen regelmäßig. Werden Betäubungsmittel verabreicht, sind die Kontrollen noch strenger. Dabei werde genau darauf geachtet, wer wem welches Medikament gibt – bevor es verabreicht wird. Sie hätten maximale Kontrollen, sagt Brandes. „Trotzdem könnte man einen Fall wie in der Charité auch bei uns im Vorfeld nicht verhindern. Aber er würde den Ärzten oder mir sofort auffallen.“

Nach dreieinhalb Stunden Arbeit hat Michaela Danielowski Pause. Die Kaffeemaschine in dem kleinen Aufenthaltsraum piept. Im ersten Moment meint man, es sei eines der Geräte im Krankenzimmer. „Die Arbeit macht mir trotz allem Spaß “, sagt Danielowski. Denn sie sehe immer das Positive und für jeden Patienten eine Chance. „Man muss daran glauben, dass sie wieder hergestellt werden.“ So lässt sich ihre heitere Gelassenheit erklären. Der intensive Kontakt zu den Patienten mache für sie den besonderen Reiz ihrer Arbeit aus, sagt sie. Ihr gelingt anscheinend der Spagat zwischen der Nähe, die beim Pflegen entsteht und der notwendigen Distanz.

Mit ihrer Begeisterung für ihren Job steht sie nicht allein da. Alle Kollegen, die heute mit ihr frühstücken, stimmen zu: Alle mögen ihren Arbeitsplatz und wollen bleiben. „Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Arbeit wirklich etwas bewirken kann“, sagt Antje Reuss. Ihre Kollegen nicken. Doch viele von ihnen arbeiten Teilzeit, auch Michaela Danielowski: „So ist man nicht der vollen Belastung ausgesetzt. Mit den Auszeiten kompensiert man eine Menge.“

Dann macht sich die Schwester wieder an die Arbeit . Die alte Frau muss gewaschen werden. Die Maschinen fauchen noch immer – bis der Patient aufwacht oder stirbt.

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