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Berlin: Gastronomie: Für die "kleine Kneipe" ist bald dauerhaft Sperrstunde

In vielen Kiezen ist sie noch immer eine Institution: die kleine Kneipe an der Ecke. Doch wie viele andere Bereiche der Gastronomie müssen auch so genannte Klein- und Kleinstbetriebe seit Jahren Umsatzeinbußen hinnehmen.

In vielen Kiezen ist sie noch immer eine Institution: die kleine Kneipe an der Ecke. Doch wie viele andere Bereiche der Gastronomie müssen auch so genannte Klein- und Kleinstbetriebe seit Jahren Umsatzeinbußen hinnehmen. Joachim Büttner, Vizepräsident des Hotel- und Gaststättenverbandes für Berlin und Umgebung macht in Pessimismus. "Seit 1994 geht es bergab, und die Talsohle ist noch nicht erreicht", sagt er. Auch 2001 werde es der Berliner Gastronomie nicht gelingen, aus den roten Zahlen herauszukommen. "Es sei denn, man hat ein schickes Restaurant in Mitte, wo viele Touristen hinkommen und wo man auch entsprechende Preise nehmen kann", sagt Büttner. Von insgesamt 1400 Berliner Gastronomen können 800 gerade so überleben - viele davon sind kleine Kneipiers in Tiergarten oder Charlottenburg, in Pankow oder Köpenick.

Zwar verzeichnet der Verband keinen Rückgang der Mitglieder und damit der Anzahl von Gaststätten, doch sinkt seit Jahren der Umsatz. Seit 1994 ist er in der Berliner Gesamtgastronomie um rund acht Prozent geschrumpft. Büttner sieht dafür verschiedene Ursachen, in erster Linie die veränderten Gewohnheiten der Gäste. "Darauf haben sich viele Wirte nicht eingestellt und deshalb ist ein Teil der Probleme durchaus hausgemacht", betont der Vizepräsident. "Wir freuen uns, wenn Fritz, Karl und Otto aus der Nachbarschaft jeden Tag kommen, um ein Bier bei uns zu trinken, doch um neue Gäste kümmern wir uns zu wenig." Gasträume, die früher möglichst kleine Fenster und eine etwas schummerige Atmosphäre haben sollten, blieben über Jahrzehnte hinweg unverändert. Heute bevorzuge man jedoch helle, lichte Räume.

Büttner sieht allerdings auch die wachsende Konkurrenz als Ursache für die Probleme vieler Berliner Kneipen. "Nachdem mittlerweile jeder Bäcker und Fleischer einen Imbiss mit seinen Produkten aufmacht und dazu ohne Konzession Getränke aller Art servieren darf, kommen Gäste nicht mehr so einfach auf eine Bockwurst oder Boulette in die Kneipe - und den Rest geben uns die Tankstellen", sagt er. Einen schweren Schlag habe der Kneipenszene auch die 0,5-Promille-Grenze für Autofahrer versetzt. Denn wer erst lange nach einem Parklatz suchen und dann nach zwei kleinen Bier wieder gehen muss, der bleibt gleich zu Hause und trinkt aus der Flasche. Das sei außerdem angesichts schrumpfender Haushaltseinkommen billiger.

Jochen Schmitt, Geschäftsführer der Berliner Schultheiss-Brauerei GmbH, beklagt einen immer größer werdenden Mangel an echten "Wirtspersönlichkeiten". Für die durchschnittliche Kneipe gebe es immer weniger geeignete, weil erfahrene Gastronomen. Deshalb sei die Zahl der Seiteneinsteiger ohne Erfahrung sehr groß. "Kaum jemand geht doch in eine Kneipe, weil er Durst hat", sagt Schmitt. "Man geht in ein Wirtshaus, um in Gesellschaft ein Bier zu trinken und sich zu unterhalten." Nicht umsonst seien erfahrene Wirte auch "Seelenklempner". Für Schmitt gibt es heute viel zu viele Wirte, denen man den Spaß am Job nicht mehr ansieht. "Wer mit muffligem Gesicht am Zapfhahn steht und kaum den Mund aufbekommt, muss sich nicht wundern, wenn die Gäste wegbleiben", meint der Brauerei-Chef. Dass man mit neuen Ideen auch erfolgreich eine typische Berliner Kneipe betreiben kann, beweist Waldemar Thomas, Gastwirt des "Thomas-Eck" in Charlottenburg. "Man muss sich etwas einfallen lassen, um neue Gäste zu gewinnen, dabei aber nicht die Stammkundschaft vernachlässigen." Den neuen Trend, mit Fußball- und anderen Sportübertragungen per Premiere World Gäste ins Lokal zu locken, sieht er dabei nicht als Allheilmittel. Immerhin koste ein solcher Vertrag den Wirt rund 400 Mark im Monat, und die müssten erst einmal durch den Umsatz wieder hereinkommen. Thomas setzt vielmehr auf Tradition und gutbürgerliche Küche: "Ich beziehe meine Küchenprodukte von Bauern aus dem Berliner Umland und die liefern mir Bioqualität." Die traditionelle Berliner Küche mit Boulette, Eisbein, Gänsebraten und anderen Gerichten sei trotz viel beschworener neuer Küchentrends nicht out. Das beweisen auch die Nachfragen von Touristen.

Außerdem müsse man sich um den Nachwuchs unter den Gästen kümmern. "Junge Leute setzen sich heute nicht gern in verräucherte Kneipen, sondern suchen ihre Freizeiterlebnisse lieber in Fitness-Centern und Fast-Food-Lokalen", weiß der Wirt. Jeder neue Stammgast wolle gehalten werden. Deshalb hat Thomas eine Kartei angelegt, damit er jedem Wiedereinkehrer gleich sein Lieblingsbier zapfen kann. Die Fürsorglichkeit von Waldemar Thomas verfolgt die Gäste sogar bis nach Hause. Jeder Stammgast erhält zum eine Geburtstag eine Karte und ein kleines Geschenk.

Ditmar Hauer

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