zum Hauptinhalt

Berlin: Geb. 1939

Peter Sodemann

Was macht der Werbetexter? Er guckt aus dem Fenster. Und er fährt Cabrio – mit geschlossenem Verdeck.

Was soll man denn sagen zu „Venotrain“, einem zweiteiligen Kompressionsstrumpfset, mit dem man venenkranke, offene Beine effektiver heilen kann? Peter Sodemann hat „Doppelt hilft besser“ dazu gesagt, und das stand dann oben auf jeder Seite des Produktinformationshefts. Doppelt und besser in Dunkelbraun und hilft in Beige. Auf Seiten, die abwechselnd vanille- und terracotta-farbig sind. Wohlfühlfarben, eine tröstliche Botschaft und jede Menge medizinische Fachbegriffe. So sollte Werbung sein: informativ. Das mochte Peter Sodemann. Alte Schule, keine Effekte, kein Gekreisch.

Eingefallen ist ihm das, als er am Fenster seines Büros stand. Im fünften Stock, hoch über der Kreuzung Kaiserdamm/Messedamm. Es ist ein Erkerfenster, dicke Scheiben mit Sprossenmuster, zweiflüglig mit silberfarbenen Griffen, die wie hängende Türgriffe aussehen. Wenn man es öffnet und sich hinauslehnt, kann man nach links bis zur Siegessäule sehen, ehe die Stadt sich im Dunst verliert. Man sieht die Radarkugel vom Flughafen Tempelhof und den Turm vom Schöneberger Rathaus und rechts das SFB-Haus. Nur was direkt vorm Haus passiert, das sieht man nicht. Dachziegel und Regenrinne verhindern den Blick nach unten. Also hat Peter Sodemann auf die andere Straßenseite und die Kreuzung geschaut, wenn er Texte suchte, verschob, verwarf, variierte in seinem Kopf. Werbetexte, Slogans, Sprüche. Für Maschinenbaufirmen, fürs Auswärtige Amt oder für Kompressionsstrumpfhersteller. Unten rauschten die Autos auf vier Spuren stadteinwärts und in Richtung Spandau.

Er grinste, wenn gegenüber vorm Restaurant Dalmacija eine Frau mit Kittelschürze nicht nur den Kunstrasen saugte, auf dem Tische und Stühle standen, sondern den Bürgersteig gleich mit. Und er freute sich, wenn die Frau mit den vielen Einkaufstüten kam. Die ist oft zu sehen. Sie geht, sie hält, sie stellt die Tüten ab. Sie schimpft. Niemand da. Sie nimmt die Tüten, geht weiter, hält, stellt die Tüten ab. Schimpft. Noch fünf Schritte, bis sie die Taschen wieder abstellt? Oder noch zehn? Das fragte sich oben am Fenster Peter Sodemann mit dem Interesse des Forschers.

Vom Flur guckten die Kollegen in sein Zimmer und feixten: Was machen Werbetexter? Sie gucken aus dem Fenster.

Manchmal reichte es, dass ein Lufthauch hereinwehte. Dann drehte sich Peter Sodemann um, ging zum Schreibtisch und schrieb: „Die kühle frische Alternative mit den klaren Linien“. Für die Firma Berthold Fototype, die einen neuen Schrifttyp erfunden hat: Delta, Buchstaben ohne Endstriche, wo ein i einfach nur eine Linie ist. Oder er erfand „Flexibilität zählt“ für einen Blechumformungsbetrieb. Oder „die farbigste Adresse in Berlin“ für eine Malerfirma. Er schrieb das alles mit der Schreibmaschine auf. Den eleganten Macintosh-Computer hat er nie angemacht. Das Technische lag ihm nicht. Alte Schule eben. Diesmal ein bisschen kokett. Er gab seine betippten Zettel lieber der Assistentin und hielt gleich noch einen Plausch mit ihr.

Das war wichtig. Kontakt zu den Menschen. Sprechen, anfassen, lachen. Oder das Auto. Ein Cabrio. Sodemann hatte den Wagen gekauft, um seinen Enkel von der Schule abholen zu können. Offen gefahren ist er aber nur einmal – weil es so kompliziert war, das Verdeck aufzumachen. Dafür hat er den Wagen gern verliehen. Mit der Bitte, eben schnell noch zu tanken. Wusste er, wie man tankt? Augenzwinkern, lachen, winken, wieder einen leichten Moment gezaubert. Das mochte Peter Sodemann. Und das mochten die Kunden an ihm. Bei seiner Beerdigung fragte einer, wie die Firma ohne ihn eigentlich weitermachen werde.

Als Peter Sodemann Ende der sechziger Jahre werben lernte, war das ein konservativer Beruf. „Graduierter Werbefachmann“. Man lernte an der Meisterschule für Graphik, Druck und Werbung – und bekam hinterher ganz bestimmt eine Anstellung. Sodemann kam zu Rockwell, einer Firma, die Fotoaufsatzgeräte herstellte. Da dachte er sich Texte für die „Fototronic 1200“ aus. Ein Studienkollege fand toll, was er da machte, und gemeinsam mit einem dritten eröffneten sie ihr Atelier in Charlottenburg. Atelier, das war wichtig. Nicht Agentur, wie die anderen. Atelier.

Vor dem anderen bewahrt hat ihn das natürlich nicht. Werbung veränderte sich. Die Werber auch. Jung, smart und hip, und alle hatten sie ihr Cabrio im Griff. Peter Sodemann machte weiter seine Sachen und nebenher immer mehr: Er schrieb Geschichten für Kinder. Kollegen illustrierten die, gedruckt wurde auf eigene Kosten, dann gab’s die Bücher als Geschenk für gute Kunden. Die Geschichte von der Geburt des Zebras:

„Es war irgendwo in Afrika, genauer noch, es geschah am Ubangi. Wer es aber ganz genau wissen will, dem sei gesagt, es ereignete sich in Monbuttuland.“

Beim SFB wurden aus Sodemanns Geschichten vom kleinen Fridolin Hörspiele gemacht. In „Wie Fridolin am liebsten Gott sein möchte“ nimmt der Schuljunge eine Schnecke von der Wiese mit nach Hause, damit die auch mal was erlebe. Als sie aber in Fridolins Kinderzimmer auf dem roten Feuerwehrauto ihre Fühler gleich wieder einzieht, merkt er, dass es doch keine so gute Idee war, die Schnecke zu entführen und bringt sie wieder in den Wald. Er denkt an den lieben Gott, der so viele wunderbare Dinge mit Menschen und Tieren vollbringen kann, aber sicher noch nie eine Schnecke an einem Tag vom Wald ins Kinderzimmer und zurück gebracht hat. Biologielehrer wie sein Vater zu werden, findet Fridolin dort im Wald ja sehr schön, aber der liebe Gott zu sein, wäre sicher noch hundertmal schöner.

Sehr bekannt ist das alles nicht geworden, was Peter Sodemann geschrieben hat. Dafür hat er keine Werbung gemacht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false